Intimitätscoach in Theater und Film

Choreografie für intime Szenen

05:28 Minuten
Eine nackte Frau und Mann in zärtlicher Umarmung.
Sexszenen beim Film werden gut vorbereitet © Getty Images / PhotoAlto Agency / Marin
Von Stefan Keim · 12.02.2022
Audio herunterladen
Sexszenen, aber auch ein Kuss oder eine Berührung an den Brüsten: Darstellerinnen und Darsteller spielen Rollen, aber sie stellen ihren eigenen Körper zur Verfügung. Dass sich alle wohl fühlen, ist das Anliegen von "Intimitätssensiblem Arbeiten".
Wilde Sexszenen gehören zum Beruf einer Schauspielerin oder eines Schauspielers, Nacktauftritte ebenso. Wer sich sträubt, dem mangelt es an Hingabe an die Kunst. Solche Aussagen waren lange in Theatern oder auf Filmsets keine Seltenheit. Zeitgemäß wirken sie nicht mehr, denn längst sehen sich Schauspielerinnen und Schauspieler nicht mehr als Gefäße für die Fantasien der Regie, sondern als eigenständige Künstlerinnen und Künstler. Die Regisseurin Magz Barrawasser hat in einem Essay auf dem Theaterportal Nachtkritik die Idee formuliert, dass Bühnen Intimitätscoaches hinzuziehen, wenn es darum geht, erotische Szenen zu inszenieren.
Ein Rückblick: Der Film „Der letzte Tango in Paris“ löste in den 70er-Jahren einen Skandal aus. Vor allem eine Vergewaltigungsszene erregte die Gemüter. Marlon Brando als Amerikaner Paul benutzte Butter für den Analverkehr. Die Penetration war zwar simuliert, aber die damals 19-jährige Maria Schneider, Brandos Spielpartnerin, fühlte sich – wie sie später sagte – vergewaltigt. Sie starb 2011, einige Jahre später überraschte Regisseur Bernardo Bertolucci mit einem Geständnis in einem Fernsehinterview. Maria Schneider habe nicht gewusst, was auf sie zukomme. Er habe echtes Entsetzen sehen wollen, nicht das Spiel einer Darstellerin, sagte Bertolucci.

Angst vor dem Neinsagen

Magz Barrawasser schließt einen solchen Missbrauch am Filmset oder auf der Bühne auch heute nicht aus. Denn es gebe immer noch Leute, die sagten, „die kreative künstlerische Freiheit darf alles“. An Schauspielschulen werde noch immer gelehrt, man müsse Angebote annehmen. „Es gibt deswegen unter Schauspielenden eine weit verbreitete Angst davor, 'Nein' zu sagen oder sich vorher abzusichern, weil man dann als schwierig gelten könnte, vielleicht nicht mehr besetzt wird.“
Seit einiger Zeit beschäftigt sie sich mit dem Thema „Intimitätssensibles Arbeiten“, im Film wie im Theater. Auch wenn die Schauspielerinnen und Schauspieler natürlich Rollen spielen, stellen sie doch ihren eigenen Körper zur Verfügung. Nicht immer geht das ohne Überwindung. Viele Filmfirmen beschäftigen bereits Menschen, die sich besonders auf Szenen fokussieren, in denen Schauspielerinnen und Schauspieler sich sehr nahekommen. Zum Beispiel Netflix oder der amerikanische Serienproduzent HBO.

Klares Protokoll und Vorgespräche

Beim Film gebe es ein klares Protokoll, erklärt Barrawasser. In der Vorarbeit werde geschaut, wo Szenen sein könnten, für die eine Intimitätskoordination gebraucht wird. „Wie stellt sich die Regie das vor? Dann gibt es Vorgespräche, wie können sich die Schauspielenden das vorstellen, wie kann das alles zusammenpassen?“
Dabei geht es nicht nur um Sexszenen. Sondern vielleicht auch um einen Kuss oder eine Berührung an den Brüsten. Da reagiert jeder Mensch unterschiedlich. Natürlich gehören solche Szenen zum Job einer Schauspielerin oder eines Schauspielers.

Nicht improviert herumgrabbeln

Die Schauspielerin Lesley Jennifer Higl baut gerade in Bochum mit ihrem Partner Dirk Hermann das Netzwerk „Pottcast“ für Schauspielerinnen und Schauspieler auf. Dabei geht es auch um Intimitätscoaching. „Dadurch, dass du gewisse Dinge ansprichst und in Kontakt bist, auch mit dem Partner, auch vielleicht über deine Ängste sprichst, kannst du dich ja viel mehr fallen lassen und viel besser öffnen", sagt Higl.
Nach der Absprache wird die intime Szene genau erarbeitet. Natürlich auch nach den Vorstellungen der Regie. Es wird nicht improvisiert herumgegrabbelt. Jedes Streicheln, jeder Griff, jeder Kuss werden genau festgelegt. „Wie eine Kampfchoreografie, wie eine Tanzchoreografie gibt es auch eine Intimitätschoreografie.“

Widerspruch hinter vorgehaltener Hand

Doch es regt sich Widerspruch – meist nicht öffentlich, aber hinter vorgehaltener Hand. Manche befürchten eine Überregulierung der Proben, das Ende der Spontaneität und der künstlerischen Freiheit. Meist komme das von Leuten, die sich nicht so sehr mit dem Thema auseinandergesetzt hätten, sagt Magz Barrawasser, und es werde stark aufgebauscht. „Dann wirkt es wie ein Wahnsinns-Regelkatalog, und man muss stundenlang sprechen und so.“ Dabei gehe es lediglich darum, eine Kommunikationsstruktur zu ermöglichen und die ein bisschen zu trainieren.
Die junge Regiegeneration, so Barrawasser, sei offen für das Thema. Probleme hätten meist die Älteren. Einen fest angestellten Intimitätscoach gibt es in der Theaterwelt bisher nur am Schauspielhaus Zürich. „Für die ganz ferne Zukunft ist die Idee, dass es toll wäre, wenn das tatsächlich feste Stellen an Häusern wären, weil man da mit einer anderen Selbstverständlichkeit damit umgehen kann.“ Für die nähere Zukunft sei ihre Idee, viel Weiterbildung, viele Workshops und Empowerment für die Probenbeteiligten zu machen. So könne der Bedarf, den es gibt, erst einmal aufzufangen werden, in der Haltung: 'Ja, das ist ein wichtiges Thema, lasst uns uns damit beschäftigen.'

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema