"Intersect-Festival" in Las Vegas

Am Ende zaghafter Künstlerprotest gegen Amazon

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Ein Mann hält ein Paket in der Hand, auf dem das Amazon Logo anders herum abgedruckt ist, sodass sich ein trauriger Smiley ergibt.
Protest gegen Amazon in New York City. Nun protestieren auch Musiker und Musikerinnen gegen den Tech-Giganten. © Getty Images / Stephanie Keith
Dirk Schneider im Gespräch mit Vivian Perkovic · 25.10.2019
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Für Anfang Dezember lädt der US-Konzern Amazon in Las Vegas zu einem Festival ein. Nachdem Black Madonna, die Kritik an Amazon geübt hatte, wieder ausgeladen wurde, gibt es Proteste. Über 700 Musiker rufen dazu auf, nicht bei Amazon-Events aufzutreten.
Vivian Perkovic: Am 6. und 7. Dezember wird der US-Konzern Amazon in Las Vegas ein Festival namens "Intersect" abhalten. Der Name bezieht sich darauf, dass es sich dabei nicht nur um ein Musikfestival handelt, sondern dort grenzüberschreitend Musik, Kunst, Computerspiele und neue Technologien präsentiert werden sollen. Nachdem eine Künstlerin, die Kritik an Amazon geübt hatte, wieder ausgeladen wurde, haben mittlerweile über 700 Musiker und Musikerinnen einen offenen Brief unterschrieben, der dazu aufruft, nicht bei Veranstaltungen aufzutreten, an denen Amazon beteiligt ist. Unterschrieben haben unter anderen die Bands Deerhoof, Xiu Xiu, Of Montreal und Girlpool und Musikerinnen wie Xenia Rubinos.
Dirk Schneider aus der Tonart-Redaktion, was sind denn die Vorwürfe gegen Amazon?
Dirk Schneider: In dem Offenen Brief heißt es unter anderem: "Wir werden nicht zulassen, dass Amazon unsere Kreativität dazu benutzt, für seine Marke zu werben, während es Angriffe auf Immigranten, People of Color, Arbeiter und lokale Wirtschaftsstrukturen unterstützt." Konkret geht es bei den Vorwürfen um ein Tochterunternehmen von Amazon mit dem Namen Amazon Web Services, kurz AWS. AWS veranstaltet schon seit 2012 eine jährliche Tech-Konferenz in Las Vegas. Deren Abschluss bildete immer eine große Party mit Livemusik - das "Intersect Festival" ist nun eine größere Ausgabe dieser Party, und das mit Zugang für alle.
Perkovic: Und wieso ist AWS – den Künstlern zufolge – in Angriffe auf Immigranten, Minderheiten und Arbeiter verwickelt?
Schneider: AWS ist einer der größten Anbieter von cloudbasierten Computeranwendungen überhaupt und AWS spielt eine entscheidende Rolle zum Beispiel bei der Speicherung biometrischer Daten des U.S. Immigration and Customs Enforcement (ICE) – einer amerikanische Behörde, die für die Regelung von Einwanderung zuständig ist, aber auch für die Terrorabwehr. Und ICE wird vorgeworfen, Immigranten zu kriminalisieren, indem biometrische Daten erhoben werden, die zur automatischen Gesichtserkennung genutzt werden. Man spricht hier auch von Racial Profiling. Es werden aber auch DNA-Proben von Immigranten genommen, auch von Minderjährigen – was sehr umstritten ist. Und die Behörde war auch in die letztes Jahr bekannt gewordene Trennung von Immigrantenkindern von ihren Eltern verwickelt.

Nicht der erste Protest dieser Art

Perkovic: Die erste Kritik am "Intersect-Festival" kam ja bereits Ende letzter Woche von der amerikanischen Musikerin The Black Madonna.
Schneider: Ja, sie hatte sich auf Twitter darüber echauffiert, dass aus ihrem Vertrag nicht hervorging, dass das "Intersect Festival" von Amazon Web Services veranstaltet wird, und dass sie mit dieser Firma auf keinen Fall etwas zu tun haben möchte. Sie wurde daraufhin von den Veranstaltern wieder ausgeladen, und das hat dann den Stein ins Rollen gebracht, auch für diesen offenen Brief.
Perkovic: Ist es denn das erste Mal, dass gegen die Verwicklung von Amazon in Menschenrechtsverletzungen des amerikanischen Staats protestiert wird?
Schneider: Nein, das Thema ist in den USA schon länger aktuell. Es gab auch schon im August eine großangelegte Protestaktion in mehreren Amazon-Buchhandlungen, der Internetriese hat ja in den USA richtige Buchhandlungen, er macht das alles nicht nur online. Die waren allerdings nicht so öffentlichkeitswirksam wie der Protest der Musiker und Musikerinnen jetzt. Es gab auch schon Proteste aus der Firma selbst, von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen von Amazon. Man muss auch sagen, dass Amazon nicht das einzige große Unternehmen ist, das in diese Dinge involviert ist: Auch die Belegschaften von Microsoft und Apple haben sich schon kritisch dagegen ausgesprochen, dass ihre Firmen in menschenrechtsverletzende Praktiken der amerikanischen Regierung verwickelt seien.

Angst, sich selbst das Wasser abzugraben

Perkovic: Jetzt sind es ja eher Bands mittlerer Größe und Bekanntheit, die bisher abgesagt haben. Es gibt aber auch prominente Headliner beim "Intersect Festival": Kasey Musgraves, Beck, Foo Fighters oder Anderson Paak. Wie ist es denn mit denen?
Schneider: Zur Stunde liegen mir da keine Infos vor, dass die abgesagt hätten. Und auch von den weniger prominenten Namen wie Jamie XX, Weyes Blood, Snail Mail, Flying Lotus oder Sudan Archives gab es bis jetzt keine Absagen und noch nicht einmal Kommentare zu der Sache, was mich, ehrlich gesagt, enttäuscht. Ich glaube, man muss sich im Klaren sein, wie mächtig Amazon inzwischen ist und welche Rolle der Konzern auch für die Popmusik spielt. Selbst dieser offene Brief ist ja in gewisser Weise zurückhaltend: Man könnte ja auch zum generellen Amazon-Boykott aufrufen, aber auch da wird ja nur dazu aufgerufen, nicht bei Amazon-Veranstaltungen aufzutreten und keine exklusiven Partnerschaften mit dem Konzern einzugehen.
Amazon ist ja auch eine wichtige Verkaufsplattform für Musik, und ich glaube, man kann davon ausgehen, dass die Musiker und Musikerinnen durchaus Angst haben, sich selbst auch das Wasser damit abzugraben. Und deswegen gehen sie doch vorsichtig vor. Ich finde es durchaus beängstigend, und ich bin wirklich sehr gespannt, ob die Sache jetzt noch größere Kreise zieht oder ob das Festival Anfang Dezember mehr oder weniger wie angekündigt über die Bühne gehen kann.
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