Integrationsprojekt "W.I.R"

Frauen weg vom Herd bekommen

Die Medizinisch-technische Assistentin Betül Caliscan bei ihrer Arbeit in einem Krankenhaus.
Viele der geflüchteten Frauen kommen aus eher traditionellen Familien - und oft tragen sie Kopftuch. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Von Maike Strietholt · 10.05.2016
Sie gelten als gesellschaftliche Gruppe mit besonders geringer Neigung, arbeiten zu gehen: Es ist schwer, nach Deutschland geflohene Frauen eine Arbeit zu verschaffen, oftmals sind sie noch in sehr traditionellen Rollen gefangen. Mit dem Projekt "W.I.R" soll sich das in Hamburg nun ändern.
"Morgen! Was kann ich für Sie tun?" - "Ich muss mich arbeitslos melden." - "Haben Sie Ihren Ausweis dabei?" - "Ja..."
Maryam Sheykhzadeh – 22 Jahre alt, lange, dunkle Haarwellen – steht ganz gelassen hinter dem Empfangstresen der Hamburger Arbeitsagentur. Und dabei ist sie erst seit gut einer Woche hier tätig...
"Ich bin in der Geschäftsstelle Wandsbek eingesetzt, und dort darf ich dann hospitieren. Zuerst durfte ich nur zusehen, wie der Arbeitsprozess läuft, und heute war ich zum ersten Mal am Tresen und durfte selber die Kunden bedienen. Ich war etwas aufgeregt – aber es war super interessant!"
Die Kommunikation mit den Kunden in der Arbeitsagentur ist für die junge Afghanin, die vor viereinhalb Jahren gemeinsam mit ihrem Bruder nach Deutschland flüchtete, kein Problem. Mit den vielen Fachbegriffen in der neuen Sprache wird es da schon schwieriger. Deshalb erhält Maryam, gemeinsam mit drei weiteren jungen Geflüchteten, vor ihrer Ausbildung eine Einstiegsqualifizierung – erklärt ihre Betreuerin, Martina Herzberg:
"Also wir haben hier in der Arbeitsagentur in Hamburg das noch nicht durchgeführt. Wir versuchen, im Rahmen dieser sechs Monate den Ausbildungsberuf vorzustellen und auch begleitend die Sprachkompetenz zu erweitern – damit dann auch zum 1.9. die Ausbildung ganz normal durchgeführt werden kann."

Melika war zuerst skeptisch

Zumindest, wenn die Geflüchteten bis dahin einen dauerhaften Aufenthaltstitel bekommen – Maryam ist bislang noch im Asylverfahren. Dieser Unsicherheit ist eine Kollegin schon entkommen: Melika Azarpeyk kommt aus dem Iran, ist 21 Jahre alt und die zweite weibliche Geflüchtete im Betrieb. Sie ist zwar erst seit eineinhalb Jahren in Deutschland, hat aber bereits eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Im Iran studierte sie Elektrotechnik.
"Es ist ein ganz schlimmes Fach im Iran, das ist eigentlich nur für Männer. Und ich habe ganz schlimme Erinnerungen. Es ist nicht so schön, wenn ein Professor sagt :'Wenn du gute Noten brauchst, können wir uns treffen...' Ich sage ganz ehrlich: Wenn eine Frau im Iran lebt, gibt es immer viele Augen auf ihrem Körper'."
So war Melika auch in Deutschland erst einmal skeptisch, wie die Zusammenarbeit mit Männern funktionieren würde. Doch diese Sorge erwies sich schon bei einem Praktikum, das sie zuvor machte, als unbegründet...
"Ich war in einer Firma mit 800 Männern, und ich war alleine Frau. Aber es war ganz gut, die Leute waren richtig nett und haben mir gut geholfen.”
Was Melika wiederum dazu anregte, nun einen Job anzusteuern, bei dem auch sie anderen Menschen helfen kann – hier in der Arbeitsagentur.
Diese Zielstrebigkeit auf dem Weg in den Beruf ist keinesfalls selbstverständlich, meint Petra Lotzkat, in Hamburg städtische Beauftragte des Kooperationsprojekts 'W.I.R. - work and integration for refugees' und erlebt Frauen in ihrer alltäglichen Arbeit eher zögerlich:
"Wir haben rund 15 Prozent Frauen in der Beratung, aber 30 Prozent in den Aufnahmeeinrichtungen.Das bedeutet, dass wir schon davon ausgehen, dass die Frauen mit der familiären Versorgung etwas stärker beschäftigt sind, dass ihre Erwerbsneigung vielleicht auch etwas geringer ist..."
Petra Lotzkat führt das auf die traditionellere Aufgabenteilung in den Herkunftsländern zurück. Die Frauen sähen ihre Arbeit oftmals Zuhause: Kinder und Kochen…
"Ich werde durchaus in Veranstaltungen damit konfrontiert, warum ich es für so wichtig erachte, dass Frauen berufstätig sind. Das fragen auch Frauen, ja...: 'Für uns ist es gar nicht wichtig, ich möchte meine Familie versorgen!'"

Das Kopftuch ist eine Barriere für Unternehmen

Das ist Petra Lotzkat aber nicht genug: Im Integrationsprojekt "W.I.R" setzt sie sich dafür ein, dass gerade die zugewanderten Frauen ihr eigenes Geld verdienen. Noch sind sie die gesellschaftliche Gruppe mit der niedrigsten Erwerbsbeteiligung in Deutschland – ein selbstbestimmtes Leben ist so nicht möglich. Dabei gibt es in der Beratung viele Frauen mit Potential:
"Ich hab die Landschaftsplanerin hier, die technische Laborantin, die Architektin, die Sportlehrerin. Aber auch die Kosmetikerin, die Schneiderin, die Kellnerin..."
Diese jungen Frauen auf den Arbeitsmarkt zu bringen, gestalte sich meist unproblematisch. Es sei denn, das Thema "Kopftuch" kommt ins Spiel...
"Dann ist das immer eine Barriere für Unternehmen, Frauen mit Kopftuch einzustellen. Manchmal ist es auch eine Unsicherheit von Vorgesetzten – wie gehen Kunden damit um? Und solche Themen muss man offen ansprechen. Und meistens erledigt sich das ganze Thema, wenn die Frauen vor Ort sind und zeigen, was sie können und wer sie sind."
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