Friseurin für Flüchtlinge

Haarschnitt plus Zuwendung

Friseurin Susanne Toraman schneidet am 28.09.2015 in Bremen einer Frau aus Syrien die Haare. Einmal die Woche schneidet Toraman Flüchtlingen in einem Übergangswohnheim kostenlos die Haare.
An den Haaren spürt man zum Beispiel auch den Stress, erzählt Jutta Lehmann. © picture-alliance / dpa / Carmen Jaspersen
Von Ludger Fittkau · 19.03.2016
Jutta Lehmann war Deutsche Meisterin im Wettbewerb der Friseure. Seit einigen Monaten schneidet die Darmstädterin Flüchtlingen ehrenamtlich und kostenlos die Haare - ausschließlich Frauen. Was beide Seiten dabei voneinander lernen und warum keine Männer zu ihr kommen.
Die Mitarbeiter des Security-Dienstes werden ein wenig hektisch, als Jutta Lehmann in die Turnhalle kommt, die nun als Flüchtlingsunterkunft dient. Der Raum, in dem sie sonst Haare schneidet, ist mit Betten vollgestellt.
"Wir hatten gestern Nacht neue Flüchtlinge, die mussten erst registriert werden, die sind gerade fertig geworden."
Jutta Lehmann: "Okay. Aber da ist noch ein Spiegel drin."
Sicherheitsmann: "Dann müssen wir den Spiegel rausnehmen und hier rein."
… in eine Umkleidekabine. Aus dem Duschraum nebenan sind Männerstimmen zu hören. Ein Security-Mann zückt ein Klebeband, verdeckt schnell das Guckloch. Jutta Lehmann lacht:
"Ich habe selber einen Mann zu Hause."
Den Männern wird sie nach dem Duschen nicht die Haare schneiden. Sie gehen lieber zu einem Mann, zu einem der Flüchtlinge, der ausgebildeter Friseur ist. Die Frauen aber kommen gern zu der Ehrenamtlichen mit dem runden, fröhlichen Gesicht. Der ehemaligen deutschen Friseurmeisterin. Die bisherigen Räume waren ideal, erklärt die …
"… weil die Muslima gerne unter sich sind, weil da waren keine Fenster. Das war optimal, einfach so von den Bedingungen."
Heute sind die Bedingungen schlechter. Ein fremder Raum, dann haben die Security-Leute auch noch vergessen, einen Aushang zu machen. Sie versprechen aber, die Frauen sofort zu informieren. Jutta Lehmann gibt ihnen eine Anweisung mit auf dem Weg:
"Die Damen müssten mit gewaschenen Haaren kommen. Sagen sie ihnen Bescheid."

"Das tut auch gut"

Das ist für sie nicht in erster Linie eine Frage der Hygiene. Nasse Haare lassen sich einfach besser schneiden. Doch es geht der Friseurmeisterin in der Flüchtlingsunterkunft nicht nur um den Haarschnitt.
"Man hat schon das Gefühl, allein die Berührung und das man mal so eine Zuwendung persönlich gibt, dass dies denen schon sehr gut tut. Man merkt richtig, wie die dann am Schluss immer lockerer werden und auch lächeln, das tut auch gut."
Die erste "Kundin" ist zunächst ein wenig schüchtern, als sie die Umkleidekabine betritt. Und ihre glänzenden, schwarzen langen Haare hat die 15 Jahre alten Nevin aus Aleppo nur kurz angefeuchtet. Jutta Lehmann lässt das durchgehen:
"Das ist jetzt ein sehr gepflegtes Haar, das merkt man. Das glänzt schön, lässt sich gut kämmen."
Jutta Lehmann zeigt Nevin einige Hefte mit Musterfrisuren. Während Nevin darin blättert, erklärt die Friseurin, warum das besonders wichtig ist:
"Das ist schon sinnvoll, dass sie einfach gucken können. Wie lange, welche Art, ob Pony oder nicht. Es werden auch nicht einfach nur die Spitzen geschnitten. Es gibt auch viele, die gerne auch Veränderungen wollen."
Nevin will aber nur die Spitzen gekürzt haben. Sie lebt schon seit drei Monaten mit ihrer Familie in der provisorischen Flüchtlingsunterkunft. Weil noch nicht klar ist, wo ihre Familie letztlich bleiben wird, darf sie noch nicht zur Schule gehen. Mit Hilfe eines Lehrers, der regelmäßig in die Unterkunft kommt, lernt sie Deutsch:
"Ich habe einen Lehrer, der immer hierher kommt. Das ist sehr gut für mich. Ich liebe meinen Lehrer."
Jutta Lehmann lächelt. Und erzählt, dass Flucht und Verfolgung schon immer auch Themen in ihrer Familie waren. Ihr Vater – selbst ein Frisör – lebte während der Zeit des Zweiten Weltkriegs auf dem Balkan, leistete dort Widerstand gegen die nationalsozialistischen Besatzer und überlebte ein deutsches KZ:
"Er hat Frisör in Jugoslawien gelernt und ist auch zu einem Friseur in Deutschland gekommen, als die Konzentrationslager dann irgendwann rum waren und es hat ihm so gut gefallen hier, dass er geblieben ist.."

Stress zeigt sich auch an den Haaren

Jutta Lehmann spürt schon an den Haaren der Flüchtlingsfrauen, ob sie noch von der Flucht gestresst sind oder schon so entspannt wie Nevin aus Aleppo:
"Man merkt es sehr deutlich. Weil natürlich, wenn man viel hinter sich hat oder sagen wir mal, sehr viel emotionale Aufregung auch hatte, sind die Haare und auch die Haut in der Regel nicht so gut. Das heißt, es gibt auch einige, die haben gebrochene Haare, Haare die ausgegangen sind, die einfach auch sehr strapaziert sind. Weil natürlich – das klassische Waschen und Pflegen, das geht natürlich nicht, wenn man auf der Flucht ist."
Nevin ist ohne Kopftuch in den Umkleideraum gekommen.
"Du musst jetzt noch keine Bedeckung auf dem Kopf tragen, ein Kopftuch?"
Nevin: "Nein."
Lehmann: "Deine Mami auch nicht?"
Nevin: "Doch, meine Mutter hat eine."
Lehmann: "Und ab wann muss Du eine tragen?"
Nevin: "Ich weiß nicht."
Lehmann: "Okay. Normalerweise so ab 15 schon. Wenn man zur Frau wird, wird normalerweise der Kopf schon bedeckt."
Nevin: "Aber ich bin nicht Arabisch, ich bin Kurdisch. Und jetzt ich bin Deutsche. Aber zuhause wir sprechen Kurdisch, nicht Arabisch."
Jutta Lehmann hört geduldig zu. Später erzählt sie, dass Ihre eigenen Kinder im Darmstädter Multi-Kulti-Viertel Kranichstein zur Schule gehen:
"Also sagen wir mal, von 24 Kindern sind vielleicht vier deutsch (lacht). Aber ich muss ehrlich sagen, es hat mich nie gestört. Im Gegenteil. Und was ich sehr schön finde, meine Kinder haben die Chance von Anfang an, eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit anderen Nationen mitzubringen und dadurch auch etwas weltoffener zu werden."
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