"Terror funktioniert vor allem über Bilder des starken Kontrasts"
Die Bilder vom Geschehen, vom Täter und manchmal auch von den Opfern gehören zu jedem terroristischen Akt dazu. Die Kulturhistorikerin Charlotte Klonk erklärt, warum solche Bilder so mächtig sind, welche Funktion sie erfüllen und welche Motive besser nicht veröffentlicht werden sollten.
Marietta Schwarz: Manche Bilder vergisst man sein Leben lang nicht mehr, so wie die einstürzenden Türme des World Trade Centers, die am 11. September 2001 in Endlosschleife um die Welt gingen, und nun der LKW, der am Montag in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz raste. Solche Bilder zu schaffen ist auch ein Ziel von Terrororganisationen, und warum das so ist und wie wir damit umgehen können, darüber möchte ich jetzt mit Charlotte Klonk sprechen. Sie ist Professorin am Institut für Kunst und Bildgeschichte der Humboldt-Universität Berlin und forscht unter anderem über die Bildgeschichte des Terrors. Mit ihr bin ich jetzt verbunden. Guten Abend, Frau Klonk!
Charlotte Klonk: Guten Abend!
Schwarz: Wie schauen Sie denn als Kunsthistorikerin auf diese neuen Bilder des Terrors? Die haben ja durchaus eine etwas andere Bildkraft als die des 11. September, aber trotzdem hat es ja auch irgendwie eine gewaltige Wirkung, wenn man so diesen LKW da vor den Weihnachtshäusern und dieser Dekoration sieht. Das ist ja schon ein starker Kontrast, oder?
Klonk: Ich sehe tatsächlich keine wirklich neue Variante, so grausam es ist und so grausam es klingt – Terror funktioniert immer vor allen Dingen über Bilder des starken Kontrasts, und hier ist es eben der Kontrast zwischen idyllischen Weihnachtshäusern und Weihnachtsdekorationen, Weihnachtsmarkt, der Zeit der Besinnung, und dem brutalen Akt des LKWs, des Sattelschleppers auch noch, der da reinrast, aber letztendlich funktioniert auch hier das Bild und die Wirkung dieser Bilder über einen extremen Kontrast. Also insofern sind Bilder dieser Art, glaube ich, immer sehr ähnlich. Das heißt nicht, dass die Wirkung nicht immer wieder enorm groß ist.
So nah wie möglich an die Tat herankommen
Schwarz: Und jetzt scheint man ja auch zu wissen, wer der Täter ist, und dauernd sieht man diese Fahndungsfotos. Gehören die denn dann auch zu dieser Bildinszenierung dazu?
Klonk: Also, das, was ich als Bildmuster beschreibe, das ist immer die Serie der Bilder, die nach einem Anschlag zirkulieren, und dazu gehören eben auch die Täterbilder. Zunächst mal bemüht man sich, und so war es ja auch hier der Fall, dass es diese Aufnahmen gibt von einem, ich glaube, "Morgenpost"-Journalisten, der mitgefilmt hat auf dem Breitscheidplatz, bevor er dann gebeten worden ist, aufzuhören. Das sind Bilder, die sind gesendet worden. Das ist so eine Bemühung – die gibt es immer –, so nah wie es geht an die Tat, an die Zerstörung heranzukommen erst mal und die Bilder in Umlauf zu bringen. Darauf folgt dann gleich sehr schnell, und so war es auch hier, Bilder, die die Rettungsdienste im Einsatz zeigen, und sehr schnell bemühen sich dann die Sicherheitsdienste Bilder der Täter in Umlauf zu bringen, seien es Fahndungsfotos, oder selbst bei Selbstmordattentätern, die umgekommen sind, werden auch da dann Porträts relativ schnell in Umlauf gebracht. Das hilft uns allen, dieses unfassbare Grauen zu personifizieren, und die Sicherheitsdienste signalisieren damit natürlich auch schnell, dass sie wissen, wer dahintersteckt und dass sie die Kontrolle nicht verloren haben.
Schwarz: Jetzt weiß man ja auch, dass der Täter seine Duldungspapier unter dem Sitz des LKWs hinterlassen hat, und es gibt einige, die der Meinung sind, das sei gar nicht aus Versehen passiert, sondern auch das sei eine inszenierte Spur. Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho meinte heute bei uns im Programm, das wirke gerade so auf ihn, als hätte der Täter sogar eine Art Signatur zurückgelassen. Würde sowas auch zu dieser Strategie, die Sie gerade beschrieben haben, dazu passen?
Klonk: Ja, also ich meine, da muss man sich nichts vormachen. Es ist immer im Interesse der Täter, dass sie auch mit der Tat identifiziert werden. Es geht darum, auch als Held verehrt zu werden, und dazu gehört auch identifiziert zu werden. Wenn man dann noch besonders geschickt abtauchen kann, dann gehört das noch mal mit in diese Heldenverehrung. Identifiziert zu werden ist nicht etwas, was die Täter wirklich vermeiden. Ich meine, da kann ich genauso nur spekulieren wie alle anderen. Hat dieser Täter das wirklich bewusst so orchestriert, dass die Papiere auch wirklich gefunden werden sollten? Es sieht so aus, aber es ist eine Spekulation, und ich bin so ein bisschen vorsichtig, hier weiterzugehen, weil ich es auch, glaube ich, für gefährlich halte, sich zu sehr in die Intention der Täter hineinzuversetzen, sich da einzufühlen. Ich glaube, es ist ganz wichtig, erst mal bei den eigenen Werten und dem eigenen Trauern zu bleiben.
"Ruhm ist ein nicht zu unterschätzendes Motiv"
Schwarz: Wie sollen wir denn überhaupt sinnvoll damit umgehen? Wir sprechen ja jetzt auch wieder miteinander über dieses Thema in einem medialen Zusammenhang. Ist das eigentlich überhaupt gut, dass wir uns so viel öffentlich damit auseinandersetzen?
Klonk: Ich glaube, wir haben gar keine andere Wahl. Das wäre eigentlich auch nicht angemessen, wenn man nicht trauern würde um die Toten, wenn man die Gefahr nicht spüren würde. Ich glaube, dem muss man sich stellen. Es ist eine andere Frage nochmal, wie man angemessen damit umgeht. Ich habe mich länger mit dieser Frage, dieser ethischen Frage der Bilder im Zusammenhang des Terrors beschäftigt, und es ist nicht eine ganz einfache Frage. Die Herausforderungen sind groß, denn ich finde es natürlich und selbstverständlich, dass wir nach einem Anschlag, der Gesellschaften so zutiefst treffen und auch ins Herz dieser Gesellschaften treffen sollen, dass wir Bilder davon wollen, dass wir uns das angucken möchten. Über diese Bilder können wir unsere eigene Gefahr auch besser einschätzen. Das ist nicht komplett irrational, das ist nicht komplett nur Voyeurismus. Es hat eine wirklich nachvollziehbare und zu verteidigende Komponente.
Es wäre wahrscheinlich völlig verkehrt, zu sagen, diese Bilder muss man verhindern, diese Bilder darf es gar nicht geben, darüber dürfen wir nicht reden. Das schulden wir im Grunde ja auch den Opfern. Totschweigen können wir es nicht. Ich glaube, die einfache Faustregel, zu sagen, aber ein Anschlag und seine Bilder ist im Interesse der Täter, gibt uns dann auch schnell die Grenze vor, die überschritten sein kann, und das in zweierlei Hinsicht: Wenn zum Beispiel, wie nach dem tödlichen Anschlag auf den russischen Botschafter in Ankara, schließlich, ich glaube über CNN sind die in Umlauf gekommen, Bilder des Attentäters, der kurz nach der Tat noch in der Galerie, in der das stattfand, sozusagen ein Bekennervideo von sich hat anfertigen lassen, wissend, dass es Mitschnitte geben wird, hat er noch gerufen und begründet, warum er die Tat gemacht hat und für wen und so weiter, und ich weiß nicht, ob man diese Bilder wirklich hätte in Umlauf bringen müssen. Die dienen dann wirklich dem Täter, das ist genau der Grund, warum Täter das machen.
Ruhm ist ein nicht zu unterschätzendes Motiv in Zusammenhängen wie diesen. Also da, glaube ich, ist eine Grenze überschritten. Die Bilder sollten wir vielleicht doch eher vermeiden. Dann natürlich die goldene Regel ist, die Würde der Opfer muss immer respektiert sein. Also unnötig Bilder von Opfern ohne deren Wissen oder das Wissen der Angehörigen in Umlauf zu bringen, das ist, glaube ich, auch eine Grenze, die man nicht überschreiten sollte.
Schwarz: Charlotte Klonk, Professorin am Institut für Kunst und Bildgeschichte der Humboldt-Universität Berlin, vielen Dank für dieses Gespräch!
Klonk: Ich danke Ihnen!
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