Una Corda, die Neuerfindung des Klaviers?
Das Una Corda ist ein Klavier, bei dem jede Taste nur einer Saite zugeordnet ist. Entwickelt wurde es von dem Instrumentenbauer David Klavins. Auch in einer virtuellen Variante bereichert es die Klavierwelt.
Das ist ein nagelneues, sehr seltsames Klavier. Es klingt nicht so brillant wie, sagen wir mal, ein Konzertflügel. Es klingt ausgesprochen leise. Und das, obwohl es offen konstruiert ist. Kein Gehäuse schirmt den Klang ab. Man sieht jeden Hammer auf die Saite schlagen.
"Es hat kein Gehäuse, weil es ein reines Musikinstrument ist und kein Möbelstück. Akustisch ist das Gehäuse eine Kiste, die um ein Instrument herumgebaut wird. Das heißt, der Klang entwickelt sich von den Saiten und vom Resonanzboden, und der Bau eines Gehäuses darum herum behindert die Klangentfaltung nur. Die Klangentwicklung in den Raum wird sozusagen von dem Gehäuse behindert."
Der Klavierbauer David Klavins versucht sich seit langem vom klassischen Pianobau zu lösen. Aus seiner Werkstatt stammen auch vertikale, also zweistöckige Flügel, die man auf einer Art Empore spielt. Jetzt ging er einen anderen Weg und baute dieses kleine, offene Klavier, genannt Una Corda – eine Saite.
Zu jeder Taste gehört nur eine Saite; bei einem normalen Klavier sind es bis zu drei Saiten pro Taste. Klavins:
"Vor fast 30 Jahren hatte ich die Idee, das Una Corda zu bauen, nur gab es nie einen Anlass, keinen konkreten Anstoß dazu. Die Originalidee kam aus der Zeit, als ich in meinem Klavierhaus in Bonn sehr viele Klaviere verkauft habe und ungefähr jeder zweite Kunde fragte: Können wir das nicht irgendwie leiser machen? Der Klang ist zwar schön, aber viel zu laut!"
"Eine Symbiose aus alt und neu"
Es war der Experimentalmusiker Nils Frahm, der Klavins bat, diese alte Idee zu verwirklichen. Frahm interessierte weniger, dass das Instrument leise ist, als der puristische Klang, wenn jeder Hammer nur eine Saite anschlägt. Una Corda eben.
"Das ganz ursprüngliche Klavier war Una Corda. Das erste Klavier, das [Bartolomeo] Cristofori so um 1700 herum entwickelt hat, war ein Una Corda. Das Klavier hat sich ja vom Cembalo entwickelt. Das Cembalo hat typischerweise eine Saite pro Ton. So waren auch die ersten Klaviere. Weil das Klavier immer beliebter wurde und klanglich immer größere Säle füllen musste, hat man dann überlegt, wie es lauter zu gestalten wäre, und fing an, die Saiten zu vermehren und sagte dann zum Beispiel, wenn man es lauter hören will, muss man zwei oder drei Saiten haben."
Wegen seiner geringen Saitenzahl lässt sich das Una Corda auch leichter stimmen. David Klavins stimmt hier das dritte Exemplar des Una Corda; er hat es für einen Freund gebaut.
"Es ist eine Symbiose aus alt und neu. Das Prinzip der einen Seite ist so alt wie das Klavier. Aber die Materialien, die hier verbaut werden, sind eben modern. Zum Beispiel hat es den Edelstahlrahmen im Klavierbau als solches nie gegeben. Das war Gusseisen und ist bis heute Gusseisen."
Ich denke, das Hauptproblem im Klavierbau ist, dass wir nun weit über 100 Jahre einer Tradition gefolgt sind, die damals als ideal empfunden und festgelegt wurde und somit eine Eigendynamik entwickelt hat, die von der Industrie und von keinem angezweifelt wurde.
Wegen der offenen Konstruktion liegt es nahe, das Instrument noch weiter zu dämpfen, etwa indem man Filz vor die Saiten spannt.
Virtuelle Variante als Computerprogramm
Etwas sehr Besonderes am Una Corda ist, dass es nicht nur in wenigen Exemplaren real existiert, sondern auch in einer virtuellen Variante als Computerprogramm. Die Berliner Musiksoftwarefirma Native Instruments hat Erfahrung, Klaviere so aufnehmen zu lassen, dass man sie authentisch mit einem so genannten Midi-Keyboard am Computer spielen kann. Genau das ist mit dem Una Corda passiert. Es liegt seit Kurzem in digitaler Version vor. Man kann es dann noch extremer manipulieren als das reale Instrument, etwa indem man die Saiten allmählich dämpft.
Bis das Klavier immer stimmloser klingt und man schließlich nur die Hammermechanik spielt. Das Una Corda wird damit zum rein perkussiven Instrument.
In der Software kann man digitale Effekte dazuschalten und sogar den Raumhall rückwärts laufen lassen. Es hört sich an, als würde das Klavier die Töne aufsaugen.
In dieser digitalen Form kann man das Una Corda bequem auf Reisen mitnehmen. Das gesampelte Unikat des David Klavins passt in jeden Notebook-Computer. Ist es für den Klavierbauer kein Sakrileg?
"Ich finde die digitale Version eine absolut fantastische Angelegenheit, weil sie nämlich die Möglichkeiten dieses Instruments um ein Vielfaches erweitert."