Schriftsteller Ingo Schulze

Über die Kunst, einen Anfang und ein Ende zu finden

81:40 Minuten
Schriftsteller Ingo Schulze sitzt auf einer Couch in seiner Wohnung in Charlottenburg.
Wird nicht gerne „Stimme des Ostens“ genannt: Autor Ingo Schulze. © picture alliance/dpa
Moderation: Katrin Heise |
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Ingo Schulze wird oft als "Stimme des Ostens" bezeichnet, doch er kann damit wenig anfangen. In seinen Romanen analysiert der Schriftsteller kritisch die Zustände in Deutschland, besonders in seiner Heimatstadt Dresden. Einfachen Antworten misstraut er.
„Im Dresdner Stadtteil Blasewitz lebte einst ein Antiquar.“ Der Satz geht im Original noch weiter, aber so beginnt Ingo Schulzes letzter Roman „Die rechtschaffenen Mörder“. Er habe sich lange gesträubt, den ersten Satz für den zentralen zu halten. „Aber hinter diesem ersten Satz verbirgt sich ja letztlich, was ist das für ein Tonfall, aus welcher Perspektive erzähle ich. Insofern ist das schon sehr, sehr wichtig.“

"Die Altbundesrepublikaner sind die Deutschen"

Den passenden Anfang zu finden, ist oft eine „elende Sucherei“, erzählt Schulze. „Es ist schon eine Sensation, wenn ich mit dem Anfang beginne. Ich finde, man muss eigentlich den ersten und den letzten Satz kennen. Aber man kann den letzten ja nur kennen, wenn man den ersten hat und umgekehrt.“
Ingo Schulzes Suche nach dem treffenden Einstieg mag zwar langwierig sein, erfolgreich ist sie in jedem Fall. Allein sechs Romane veröffentlichte der Autor bislang, einige wurden zu Bestsellern und mit Preisen bedacht.
Schulze schreibt auch Erzählungen und Essays, mischt sich regelmäßig in Debatten. In seinen Texten beschäftigt sich der gebürtige Dresdner vielfach mit Ost-West-Geschichten. Zu seinem Unmut wird der Autor häufig als „Stimme des Ostens“ bezeichnet. Er wolle nicht für jemanden sprechen, dass mache diese Formulierung schon deshalb problematisch. „Stimme der Westdeutschen“, so Schulze, das würde man nie sagen. „Und das tiefer liegende Problem ist: Die Altbundesrepublikaner sind die Deutschen, die Ostdeutschen sind die Ostdeutschen.“

"Wusste nicht, dass das ein Tellkampporträt wird"

Schulze wünsche sich daher statt eines „Ostbeauftragten“ einen „Ost-Westbeauftragten.“ Wie sehr diese Themen die Menschen bis heute beschäftigen, bekommt der 59-Jährige auch regelmäßig in der eigenen Beziehung zu spüren. Schulze ist in zweiter Ehe mit einer „Westlerin“ verheiratet.
„Obwohl wir uns wahnsinnig gut verstehen, streiten wir viel, also das ist ein sehr eingegrenzter Streit. Aber da spielt Ost und West auch immer eine Rolle. Das sind ja ganz unterschiedliche Erfahrungen.“
Auch seine Heimatstadt Dresden beschäftigt und begleitet den Autor bis heute, selbst wenn er schon viele Jahre in Berlin lebt. Ob im Roman „Die rechtschaffenen Mörder“ oder in einer jüngst ausgestrahlten Dokumentation über den ebenfalls aus Dresden stammenden Schriftsteller Uwe Tellkamp. Der steht seit Jahren nach fragwürdigen Äußerungen über Flüchtlinge und angeblichen Repressionen gegen Andersdenkende in der Kritik.
„Das ich bei diesem Porträt dabei bin, darüber bin ich ein bisschen sauer“, sagt Ingo Schulze. „Ich wusste nicht, dass das ein Tellkampporträt wird, ich weiß es auch von anderen. Wir dachten, es geht um Dresden, es geht um diese Konflikte. Unter dieser Prämisse habe ich da mitgemacht, offenbar andere auch.“

Schnell berühmt werden

Schulzes Weg als Schriftseller beginnt so richtig erst in den 1990er-Jahren. „Bis ich 30 wurde, habe ich es immer nur versucht.“ Geboren wird er 1962 und wächst „zweisprachig auf“, erzählt der Autor mit einem Augenzwinkern. Ein Sprachtalent sei er leider überhaupt nicht. „Draußen habe ich immer Sächsisch gesprochen. Und zu Hause, weil meine Mutter und deren Eltern nicht aus Dresden kommen, war das immer so eine Art Hochdeutsch.“
Schulze wächst in einer gläubigen Familie auf, er kann sich vorstellen, Pfarrer zu werden. Doch da ist bereits in frühen Jahren die Angst vor der Armee. Schulzes Überlegung: „Wenn du schnell berühmt wirst, dann musst du vielleicht nicht zur Armee. Und wie schaffst du das? Das schaffst du allein durchs Schreiben.“
Schriftsteller ist er geworden, zur NVA musste Ingo Schulze trotzdem.

Dramaturg, Journalist, Schriftsteller

Erste Gedichte veröffentlicht er mit 16 in einer Schülerzeitung, studiert Philologie, geht als Dramaturg ans Theater und gründet 1990 das „Altenburger Wochenblatt“. Drei Jahre später geht er nach St. Petersburg und entwickelt dort das „erste kostenlose Anzeigenblatt“. 1995, Schulze lebt jetzt in Berlin, erscheint sein erster Roman: „33 Augenblicke des Glücks“. Sein vierter, „Adam und Evelyn“, wird sogar verfilmt.
Klassischerweise endet ein Film zumeist nach 90 Minuten. Wie ist das bei einem Text, weiß Ingo Schulze wann ein Buch zu Ende ist? „Das Ende zu finden ist das Allerschwierigste. Wenn man das richtige Ende hat, dann kann man noch mal anfangen.“
(ful)
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