Infrastruktur

Verkehrsinfarkt auf dem Wasser

Von Dietrich Mohaupt  · 12.12.2013
Der Nord-Ostsee-Kanal ist kaum noch in der Lage, den Schiffsandrang zu bewältigen, die Technik der gut 100 Jahre alten Schleusen ist marode, seit Jahrzehnten ist immer nur notdürftig repariert aber nie grundlegend saniert worden. Das hat sich in diesem Jahr gerächt. Der Kanal muss fit gemacht werden für die Zukunft – und das kostet!
Langsam schiebt sich der Rumpf eines knapp 200 Meter langen Containerfrachters in die Schleusenkammer in Kiel Holtenau – mit dicken Tauen wird das Schiff gesichert, dann schließen sich die riesigen Schleusentore. Nach monatelangen Reparatur- und Sanierungsarbeiten stehen jetzt wieder beide großen Kammern in der Holtenauer Schleuse zur Verfügung. Im vergangenen Quartal funktionierte durchgehend immer nur eine Kammer, und das brachte erhebliche Einschränkungen mit sich, erläutert Matthais Visser von der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung Kiel.
"Ein Schiff, das in den Kanal rein möchte, muss erst einmal warten, wenn ein anderes Schiff im Kanal ist, dass dieses auch hinaus fahren kann. Mit beiden Schleusenkammern haben wir eben wieder die Möglichkeit, in der großen Südkammer zum Beispiel ein einkommendes Schiff zu schleusen und in der großen Nordkammer ein ausgehendes Schiff. Das verdoppelt die Kapazität."
Die Technik der Schleusentore ist also erst einmal wieder fit, im kommenden Jahr sollen noch die Pumpen saniert werden, die den Wasserstand in den Kammern regulieren. Instandhaltung, um den Schleusenbetrieb aufrecht zu erhalten, das ist derzeit das entscheidende Stichwort. Auf dem Programm steht aber noch viel mehr.
"Die Substanz, auf der wir hier stehen, ist 100 Jahre alt – und da wir die Substanz auch jetzt nicht angefasst haben, ist sie weiterhin von einer Art, dass man da ran muss. Da muss was passieren, sonst bröselt einem diese Schleuse irgendwann unter den Händen weg – und das will man nicht."
Irgendwann ist also eine Grundsanierung der Schleusen sowohl in Kiel als auch in Brunsbüttel unausweichlich – geschätzte Kosten: ca. 450 Mio. Euro. Weitere 375 Mio. Euro sind für den Neubau einer 5. Schleusenkammer in Brunsbüttel fällig, hier läuft derzeit die Ausschreibung, der Bau soll im kommenden Frühjahr beginnen und 2020 abgeschlossen sein.
Hinzu kommen noch die Verbreiterung des Kanals auf einem Teilstück zwischen Rendsburg und Kiel, der komplette Ersatz einer Brücke in diesem Bereich und die Vertiefung des gesamten Kanals um 1 Meter – das wird noch einmal rund 550 Mio. Euro kosten. Ein Zeitplan dafür steht noch nicht, und genau das gefällt dem schleswig-holsteinischen Verkehrsminister Reinhard Meyer absolut nicht.
"Wir haben bisher außer Zusicherungen auf Papier nichts erreicht. Ich bin ganz froh, dass jetzt in der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene der Nordostseekanal ausdrücklich genannt ist, aber jetzt geht es um die Umsetzung. Wir brauchen einen Zeit- und Maßnahmenplan, der auch durchfinanziert ist für die nächsten Jahre, Investitionen in Höhe von 1,3 bis 1,5 Mrd. Euro stehen an ... "
... und die dürfen nicht weiter aufgeschoben werden, fordert auch der Geschäftsführer der Kieler Schiffsmaklerei Sartori & Berger, Jens Knudsen. Ein maroder Kanal ist nicht mehr für alle Reeder attraktiv. Immer mehr Schiffe weichen aus auf die längere, aber dafür kalkulierbare Route rund um Dänemark. Das macht sich im Kanal bemerkbar.
"Das sieht man eindeutig in den Monaten September, Oktober, November: deutlich geringere Zahlen als in den Vormonaten. Jetzt im Dezember ist der erste Monat, wo man das Gefühl haben könnte, dass es langsam wieder mehr wird. Aber wir haben natürlich eine Situation, wo die Reederschaft den Kanal sehr kritisch beäugt."
Unkalkulierbare Verzögerungen im Nordostseekanal durch marode Schleusen oder andere Probleme – das kann sich kein Reeder leisten, das wird einfach zu teuer, betont Jens Knudsen:
"Im Zielhafen wird er nicht den Slot erreichen, den er braucht, Containerkräne müssen möglicherweise zu einer anderen Schicht bestellt werden, es muss Lagergeld bezahlt werden ... im Nordostseekanal ist ganz wichtig, dass der Reeder weiß: Das dauert 9 Stunden, dann bin ich da durch – und nicht mal 9, mal 15, mal 20 Stunden."
Die Investitionen in den Kanal sind mehr als überfällig – immerhin, so Knudsen weiter, hängen Tausende von Arbeitsplätzen nicht nur im norddeutschen Raum direkt oder indirekt von der meist befahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt ab.
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