Inflation der Aktionstage

Der Welttag des Unsinns

03:51 Minuten
Das Bild zeigt einen Hund - möglicherweise einen Border-Colly-Mischling - der eine große Sonnenbrille mit Augenbrauen und einer menschlichen Nase auf seiner Schnauze trägt.
Heute ist der "Welttag der Sonnenbrille" – braucht es den wirklich? © Photo by Braydon Anderson on Unsplash
Eine Forderung von Tanja Dückers |
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An die 700 „Aktionstage für irgendetwas“ quetschen sich jedes Jahr in den Kalender. Eine einstmals gute Idee der UNO wird so von PR-Firmen und Spaßvögeln schamlos verwässert und entwertet. Schluss damit, fordert die Publizistin Tanja Dückers anlässlich des "Welttages der Sonnenbrille".
Habermas' vieldiskutierte "neue Unübersichtlichkeit" beweist einmal wieder ihre Relevanz, seitdem unsere Kalender mit einer Flut aus teils haarsträubenden Aktionstagen gespickt sind. Vom "Tag des Quietscheentchens", den "Reinige-Deinen-Computer-Tag", den "Hast-Du-gepupst-Tag" bis hin zum "Sprich-Wie-Ein-Pirat-Tag".

Von PR-Firmen lanciert

Was waren das für Zeiten, als wir noch keine Kenntnis vom "Wackel mit den Zehen"-Tag oder vom "Tag des Kinnkraulens" hatten! Was für ein eklatanter Mangel!
Kein "Welttag" im Internet ohne konsumistisches Drumherum. Das Konzept des "Tages des…" ist bedauerlicherweise längst von allen möglichen Interessengruppen und PR-Firmen gekapert und instrumentalisiert worden, um billige Werbung für die eigene Sache zu machen.
Nur die wenigsten dieser Tage gehören zu den offiziellen Gedenktagen der UN wie der Welt-Aids-Tag, der 1. Dezember, oder der Welt-Flüchtlings-Tag, der 20. Juni.
Die Tradition der Welttage begannen die Vereinten Nationen kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Mit dem UN-Day – dem 24. Oktober - sollte der Zusammenschluss von 193 Staaten zu einer gemeinsamen Organisation im Herbst 1947 gewürdigt werden.

Entwertung durch Masse

Über die Jahre ist die Zahl der offiziellen UN-Welttage gewachsen. Damit ein Thema einen eigenen Welttag bekommt, muss die Generalversammlung der Vereinten Nationen darüber abstimmen. Neue Vorschläge dafür kann jedes UN-Mitgliedsland abgeben. "Die Welttage sollen wichtige und ernste Themen ins Bewusstsein der Menschen bringen", so sagt die UNO.
Bei der Anzahl an neuen "Tagen für Irgendetwas" - gern möglichst Grelles und Verrücktes - ist es unmöglich geworden, die öffentliche Aufmerksamkeit für ein Thema zu sensibilisieren. Die schiere Masse entwertet jeden einzelnen Tag.
Zudem lassen sich die vielen Spaßtage manchmal kaum von den "ernsten" Varianten der UN unterscheiden.

Auch mancher UNO-Welttag klingt albern

Der "Welttag des Glücks" klingt beim ersten Lesen vielleicht albern, ist aber ein offizieller UNO-Welttag, der mit einer Forderung nach Wirtschaftswachstum das die nachhaltige Entwicklung und die Armutsbeseitigung fördert, verbunden ist.
Während der "Tag des Schaumbades" als ein Scherz verstanden werden kann, gilt das nicht für den "Welttoilettentag". Er wurde am 19. November 2001 ins Leben gerufen, denn weltweit haben fast 40 Prozent der Menschen keinen Zugang zu hygienischen Toiletten.
Bei dem Gedrängel im Kalender entstehen mitunter auch kuriose Dilemmata: Soll die Menschheit am 23. April lieber ein Fass aufmachen oder in eine Buchhandlung gehen? Trinken oder lesen? Schwierig, denn auf den "Welttag des Buches" fällt nun auch der "Tag des Bieres".

Schluss mit der Welttag-Inflation!

Es ist also an der Zeit, die feindliche Besetzung des Kalenders durch Lobbygruppen und Quatschmacher zu beenden, um die Aufmerksamkeit wieder auf eine überschaubare Anzahl an relevanten Welttagen zu richten.
Tröstlich mag sein, dass die meisten der neuen Tage für Irgendetwas - trotz Effekthascherei - ich nenne nur den "Welttag des Orgasmus", von dem sich vielleicht Kondomhersteller etwas erhofft haben - sang- und klanglos durch die Kalender geistern, ohne dass wir von ihnen Notiz nehmen.
Das stimmt jedoch auch nicht immer: Am 21. Januar haben bei Facebook 600.000 Nutzer angegeben, dass sie am "Tag der Jogginghose" eben eine solche tragen werden. So viel Zuspruch würde man sich zu manch ernsthafteren Anliegen auch wünschen…

Tanja Dückers, geb. 1968 in Berlin (West), ist Schriftstellerin, Publizistin und Literaturwissenschaftlerin. Zu ihren Werken zählen u. A. die Romane "Himmelskörper", "Der Längste Tag des Jahres", "Spielzone" und "Hausers Zimmer", der Essayband "Morgen nach Utopia" sowie mehrere Lyrikbände und Kinderbücher. Zuletzt erschien der autobiografisch gefärbte Rückblick "Mein altes West-Berlin". Tanja Dückers schreibt regelmäßig über gesellschaftspolitische Themen für ZeitOnline und das Deutschlandradio.

© Anton Landgraf
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