Indisches Parlament

Alle schreien, entschieden wird fast nichts

Das indische Parlament in Neu Dehli, im Vordergrund eine Statue von Mahatma Gandhi
Das indische Parlament in Neu Dehli wird von einer Statue von Mahatma Gandhi bewacht: Auf das soziale Verhalten der Abgeordneten hat das aber kaum Auswirkungen © picture alliance / dpa / Str
Von Sandra Petersmann · 27.07.2016
Im indischen Parlament geht es regelmäßig drunter und drüber. Dabei steht das Land vor riesengroßen Herausforderungen - und könnte gelassene und produktive Volksvertreter gut gebrauchen.
Eine normale Sitzung im indischen Parlament. Alle schreien. Keiner hört dem anderen zu. Entschieden? Wird fast nichts.
"Welchen anderen Ort auf dieser Welt kannst du mit der indischen Demokratie vergleichen? Keinen!"
Behauptet Meenakshi Lekhi, die Sprecherin der BJP. Ihre konservative Hindu-Partei holte bei der Parlamentswahl 2014 einen Erdrutschsieg.
"Unsere Nation, unsere Demokratie und unser Parlament sind einfach großartig. Ein bisschen Lärm und Chaos gehören in Indien einfach dazu", erklärt Meenakshi Lekhi selbstbewusst und lächelt.

Der chronische Lärm verhindert Reformen

Doch der chronische Lärm im Parlament verhindert wichtige Reformen. Indiens Bevölkerung wächst schnell: die Hälfte ist jünger als 25 Jahre. Jedes Jahr strömen bis zu zwölf Millionen junge Inder auf den Arbeitsmarkt. Viele von ihnen sind keine fünf Jahre zur Schule gegangen.
Der Abgeordnete Shashi Tharoor von der indischen Kongresspartei spricht von einer tickenden sozialen Zeitbombe. Er gehörte bis 2014 zur Regierung. Seit zwei Jahren sitzt er auf der harten Oppositionsbank.
"Die Bildungsfrage – das ist für mich nicht nur eine wirtschaftliche und soziale Frage, sondern auch eine Frage der nationalen Sicherheit", betont Shashi Tharoor und verweist auf die armen Bundesstaaten im Nordosten des Landes, die eine maoistische Aufstandsbewegung erleben.
"Die Maoisten, das sind vor allem junge, ungebildete, arbeitslose Männer, die keine Chance auf Teilhabe sehen und für ein bisschen Geld und Anerkennung zur Kalaschnikow greifen", glaubt Shashi Tharoor.

Soziale Sicherheit gibt es kaum

Fast 90 Prozent aller erwerbstätigen Menschen in Indien arbeiten ohne Vertragsgarantien und soziale Sicherheit. Viele als Tagelöhner in der Landwirtschaft oder auf Baustellen.
Arbeiter demonstrieren in Neu-Delhi.
Arbeiter demonstrieren in Neu-Delhi© imago/Hindustan Times
Zeitgleich ist Indien mit einer Wachstumsrate von 7,6 Prozent die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der Welt. Doch es entstehen nicht genug neue Arbeitsplätze.
"Wir wissen um das unglaubliche Potenzial unserer Jugend und unseres Landes", betont Meenakshi Lehki von der Regierungspartei BJP. Sie glaubt fest daran, dass Indien China als Produktionsstandort für westliche Unternehmen ablösen wird. "Wenn Du als Demokratie den Vorteil einer sehr jungen Bevölkerung hast und es im Ausland große Nachfrage gibt, dann ist das ein Segen für dich."
Oppositionspolitiker Shashi Tharoor sieht Indiens Entwicklung kritischer:
"Die Demokratie als fundamentaler Grundsatz der indischen Politik ist gesichert. Aber die Bedrohung der Demokratie kann zunehmen, wenn die Enttäuschung zunimmt."
Indiens Arme werden wütender. Ein blockiertes Parlament, das viel schreit und wenig entscheidet, wird sie nicht besänftigen.
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