Indien

Zurück in die Vergangenheit katapultiert

Homosexuelle müssen in Indien für ihre Rechte kämpfen.
Homosexuelle müssen in Indien für ihre Rechte kämpfen. © afp / Punit Paranjpe
Von Sandra Petersmann · 12.02.2014
Es ist ein gewaltiger Schritt zurück: Das höchste indische Gericht hat ein Urteil von 2009 aufgehoben, Homosexualität ist in Indien damit wieder ein Verbrechen. Homosexuelle geraten damit in der streng konservativen indischen Gesellschaft in Lebensgefahr - doch für die Gegner ist die sexuelle Orientierung eines Menschen kein fundamentales Menschenrecht.
Die meisten homosexuellen Inder führen ein Doppelleben wie Sunil. Er lebt im Kreis seiner Großfamilie. Zu Hause weiß niemand von seiner sexuellen Orientierung. Wenn Sunil Sex haben will, muss er sich ein Versteck suchen. Das kann gefährlich sein. Die Polizei findet immer wieder schnell heraus, wenn ein geheimer Treffpunkt zum Szene-Treff wird.
"Die Polizei ist oft hinter uns her. Auch die, die selber auf Sex mit Männern stehen, machen uns Schwulen das Leben schwer. Sie verlangen Geld von uns und nehmen uns die Mobiltelefone weg."
Der Alltag des bekannten Mode-Designers Sushil Menon ist anders. Er versteckt sich nicht, sondern lebt offen schwul. Als das höchste indische Gericht in seinem Urteil vom 11. Dezember die homosexuelle Liebe wieder zum Verbrechen erklärte, gehörte er zu den ersten, die öffentlich von einer Menschenrechtsverletzung sprachen.
Enormer Schaden
"Ich glaube, dass uns dieses Urteil psychologisch enorm schadet. Es macht uns noch angreifbarer. Und es verunsichert uns noch mehr, weil wir nicht wissen, wie offen wir unsere Identität ausleben können. Alle, die sich nach dem ersten Urteil vor bald fünf Jahren vorsichtig geöffnet haben, werden sich jetzt wieder zurückziehen und verstecken. Es ist fast so, als würden wir wieder bei null anfangen."
Der indische Supreme Court, vergleichbar mit dem Bundesverfassungsgericht, hat mit seiner umstrittenen Dezember-Entscheidung tatsächlich ein bahnbrechendes Urteil aus dem Jahr 2009 aufgehoben. Damals hatten die Richter einer niedrigeren Instanz entschieden, dass einvernehmlicher Sex zwischen erwachsenen gleichgeschlechtlichen Partnern kein Verbrechen ist. Doch konservative Gruppen zogen anschließend empört vor das höchste indische Gericht. Ajay Kumar ist einer ihrer Anwälte. Er vertritt den bekannten indischen Guru Baba Ramdev.
Der Paragraph ist 150 Jahre alt
"Die sexuelle Orientierung ist kein fundamentales Menschenrecht. Und die hohen Richter haben entschieden, dass die Bestrafung der Homosexualität keine fundamentalen Rechte verletzt. Ein Urteil kann ja nicht nur für eine bestimmte Gruppe da sein, sondern es muss die Gesellschaft als Ganzes schützen. Es muss Indiens Tradition, Kultur und Religionen berücksichtigen."
Praktisch bedeutet das Urteil die Rückkehr zum Paragraphen 377 des Strafgesetzbuches. Der Paragraph stammt noch aus der britischen Kolonialzeit, er ist über 150 Jahre alt und beschreibt die gleichgeschlechtliche Liebe als "Geschlechtsverkehr gegen die natürliche Ordnung". Danach drohen homosexuellen Indern bis zu zehn Jahre Haft. Die Aktivistin Shohini Gosh hält das für einen absurden Rückschritt.
"Schwule und Lesben sind überall. Sie sind Teil dieser Gesellschaft. Öffnet eure Augen. Es gibt uns, ihr könnt uns nicht wegschicken."
Die indische ist immer noch eine zutiefst konservative Gesellschaft, in der Homosexualität ein Tabu ist. Das Land ist stolz darauf, als größte Demokratie der Welt zu gelten. Doch die sexuelle Orientierung eines Menschen gehört in Indien nicht zu den akzeptierten, freiheitlichen Grundrechten.
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