Indien nach Modis Wahlsieg

Viele Minderheiten fühlen sich durch Hindu-Nationalismus bedroht

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BJP-Anhänger feiern in den Straßen von Kalkutta (Indien) den Wahlsieg von Premierminister Narenda Modi.
Die Anhänger der Bharatiya Janata Partei (BJP) feiern den Wahlsieg von Premierminister Narendra Modi in Kalkutta. © Sumit Sanyal/Zuma Wire/picture alliance
Ronald Meinardus im Gespräch mit Ute Welty  · 24.05.2019
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Indiens alter Ministerpräsident Narendra Modi wird auch der neue sein. Seinen Wahlsieg verdanke der Premierminister der digitalen Ausrichtung seiner Kampagne, sagt Ronald Meinardus, der Leiter der Naumann-Stiftung in Neu-Delhi.
Indiens Regierungspartei BJP, die Bharatiya Janata Partei von Premierminister Narendra Modi, hat die Parlamentswahl in der bevölkerungsreichsten Demokratie der Welt deutlich gewonnen. Die Hindu-Nationalisten erreichten eine absolute Mehrheit der 545 Sitze im Unterhaus des Parlaments. Staatspräsident Ram Nath Kovind wird somit aller Voraussicht nach Modi für eine zweite fünfjährige Amtszeit erneut zum Regierungschef ernennen.
Zu verdanken habe Modi seinen Wahlsieg maßgeblich seinem Wahlkampf in den sozialen Medien und der Schwäche der Oppositionsparteien, sagte Ronald Meinardus, Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Neu-Delhi, im Deutschlandfunk Kultur. Außerdem habe das indische Mehrheitswahlrecht seine Wahl begünstigt.
(gem)

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Vom Tierverkäufer bis zum Wächter – Lebenslauf von Narendra Modi ist schon außergewöhnlich. Jetzt ist seine hindunationalistische Partei erneut Indiens stärkste Kraft geworden. Modi behauptet, Indien beschützen zu wollen. Ob dem tatsächlich so ist, das habe ich mit Ronald Meinardus besprochen. Er leitet das Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit in Neu-Delhi. Ich wollte von ihm wissen, wie nahbar ein Ministerpräsident ist, dem auf Twitter 47 Millionen Menschen folgen.
Ronald Meinardus: Also er ist sicherlich nahbar in den sozialen Medien, und er hat über den strategischen und sehr, sehr professionellen Einsatz von sozialen Medien Bevölkerungsgruppen erreicht und mobilisiert, die früher politisch nicht so aktiv waren, und das ist auch ein Schlüssel für den Erfolg. Es hat hier gewissermaßen ein kultureller Wandel stattgefunden in der politischen Ordnung Indiens.
Während früher andere Gruppen, vor allen Dingen im Hauptstadtbereich Neu-Delhi und dergleichen den Ton angegeben haben, sind es nun vor allen Dingen hindunationalistisch orientierte konservative Kräfte, und diese Menschen sind unter anderem ganz entscheidend aber auch durch neue Medien erreicht worden. Indien hat in dieser Hinsicht in den letzten Jahren, die mit der Regierungszeit von Narendra Modi zusammenfallend, eine digitale Transformation ganz besonderen Ausmaßes erlebt. Hunderte von Millionen Menschen sind an die digitalen Netze angeknüpft, und das haben die politischen Parteien, vor allen Dingen die regierende Partei, sehr systematisch strategisch ausgenutzt.
Premierminister Narendra Modi (L) und der Präsident der regierenden Bharatiya Janata Partei zeigen das Victory-Zeichen.
Premierminister Narendra Modi (L) und der Präsident der regierenden Bharatiya Janata Partei feiern ihren Wahlsieg. © AFP / Money SHARMA 
Welty: Was bedeutet das konkret? Wie groß ist die Gefahr oder für wie groß halten Sie die Gefahr, dass sich Modi durch die Wiederwahl in seinen hindunationalistischen Ansichten bestätigt fühlt?
Meinardus: Also dass er das tut, da hat er auch alles Anrecht zu, er ist der strahlende Sieger, und er wird in Indien von vielen Menschen gefeiert, und aus der internationalen Diplomatie hagelt es Glückwunschtelegramme, nicht zuletzt aus Deutschland. Das ist, glaube ich, naheliegend und normal. Man darf bei dieser ganzen Euphorie, die tagespolitisch verständlich ist, nicht übersehen, dass wenn man sich das Wahlergebnis näher anguckt, gut knapp zwei Drittel der Inder nicht für Modi gestimmt haben.
Modi hat 37 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt. Das ist für indische Verhältnisse ein Megaergebnis, ein wunderbares Ergebnis aus der Sicht der Regierung, aber es ist vor allen Dingen das Mehrheitswahlrecht, das wir in Deutschland ja in dieser Form nicht kennen, das wir aber aus Großbritannien kennen, das wir aus den USA kennen. Das Mehrheitswahlrecht hat dazu geführt, dass der Ministerpräsident trotz eines fehlenden Mehrheitsvotums der strahlende Sieger ist. Man darf nicht übersehen, dass es die Hälfte der Inder gibt, die vielleicht eine andere Meinung haben – oder das vielleicht würde ich jetzt sogar relativieren.

Wahlkampf wie in den USA

Welty: Modi hat einen sehr personalisierten Wahlkampf geführt. Steht die Person inzwischen über der Sache?
Meinardus: Ja, das war natürlich die Strategie. Obwohl wir hier Parlamentswahlen erlebt haben, war es ein präsidial angelegter Wahlkampf. Man wähnte sich zeitweilig in den Vereinigten Staaten von Amerika. Modi ist da unangefochtener Anführer dieser Bewegung, der unangefochtene politische Führer Indiens, und ihm kam es entgegen, dass die Opposition in dieser Hinsicht kläglich aufgetreten ist. Sie ist nicht in der Lage gewesen, einen vereinten Gegenkandidaten aufzustellen und hat die Bürgerinnen und Bürger vertröstet, wir entscheiden uns nach dem Votum, wer denn von uns der Bessere sei. Rahul Gandhi, der Spitzenkandidat der Kongresspartei, der traditionsreichen Kongresspartei, ist ein sehr schwacher Kandidat gewesen. Die Partei ist ein Schatten ihrer selbst, und insofern hatte Modi, muss man wirklich sagen, ein relativ leichtes Spiel.
Der indische Sandkünstler Ajay Rawat legt Hand an an seiner dem Wahlsieger Narendra Modi gewidmeten Sandskulptur am Strand.
Der indische Sandkünstler Ajay Rawat hat dem Wahlsieger Narendra Modi eine Sandskulptur am Strand gewidmet. © NurPhoto/picture alliance
Welty: Aber welche Politik sehen wir denn in den nächsten Jahren?
Meinardus: Wir sehen eine Politik, die wir auch aus anderen Teilen dieser Welt kennen: eine Politik, die nationalistisch geprägt ist, die die nationalen Interessen im Vordergrund hat, die vor allen Dingen – und das ist für eine liberale Perspektive eine problematische Situation –, die vor allen Dingen sich auf einen besonderen Teil der Bevölkerung fokussiert, und das sind die Hindus. Die Minderheiten – es gibt in einem Vielvölkerstaat mit vielen Religionen in Indien –, viele Minderheiten fühlen sich bedroht.
Es ist vor allen Dingen die muslimische Minderheit, immerhin 14 Prozent der Bevölkerung, knapp 200 Millionen Menschen, die sich durch Modi und seine Partei an den Rand gedrückt fühlen. Leider hat diese Partei, um die Stammwählerschaft zu mobilisieren, auch Stimmung gemacht, populistische Stimmung gegen die Minderheiten, und insofern wird es Modis erste Aufgabe sein, wenn er denn den Auftrag ernst nimmt, der Ministerpräsident aller Inder zu sein, hier die Brücken, die eingerissen worden sind, wieder neu aufzubauen.

Sorge um die Demokratie

Welty: Aber wird er das denn umsetzen?
Meinardus: Das ist die große Frage, weil er ist politisch relativ allmächtig. Ihm steht niemand richtig entgegen. Zunehmend merken wir auch, dass in der Öffentlichkeit, in der Zivilgesellschaft, vor allen Dingen in der Medienlandschaft, der Widerstand gegen die Allmacht der BJP bröckelt. Insofern ist das eine Frage, die relevant ist. Das ist aber auch eine Frage, die nicht nur sich in Indien stellt.
Die Demokratie insgesamt, wie wir sie über viele Jahre kennen und schätzen gelernt haben, ist bedroht, und Indien ist nur ein Beispiel für diese Situation. Auf der anderen Seite, die Prioritäten der Menschen – und wenn Sie mit einfachen Inderinnen und Indern sprechen – sind nicht unbedingt jetzt die Mitsprache in politischen Fragen. Die Prioritäten sind wirtschaftliches Wachstum, Arbeitsplätze, gesellschaftspolitisches Vorankommen, und dort hat Modi große Pläne, dort hat Modi zum Teil geliefert, und die Menschen setzen in ihm größeres Vertrauen. Nicht alle Menschen, aber eine Mehrheit der Menschen, allemal die Hindumenschen setzen ein größeres Vertrauen in ihn als in die Pläne und in die Vorgaben der Opposition.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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