Incel-Community

Wie weit der Hass gegen Frauen geht

07:44 Minuten
Auf einer verputzten Häuserwand ist ein stilisierter schwarzer Männerkopf mit einer roten Flamme zu sehen.
Manche Männer verzweifeln daran, einem mutmaßlichen Idealbild nicht zu entsprechen, erklärt der Sozialpsychologe Rolf Pohl. (Symbolfoto) © imago images / Shotshop
Von Merle Hömberg und Lina Beling · 08.03.2021
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"Incels" steht für "involuntary celibate men", also für unfreiwillig im Zölibat lebende Männer. Männer, die keinen Sex haben und sich im Internet zusammenrotten. Doch bei Incels einfach nur von Frauenhassern zu sprechen, ist zu wenig - viel zu wenig.
"Frauen sind der Abschaum der Erde." Ein Zitat aus einer sogenannten Incel-Community. Aus Foren, meist öffentlich zugänglich und für jeden einsehbar: "Lass diese verdammten Normies dafür leiden, dass sie dir das Leben zur Hölle machen."
"Incels", das sind frustrierte Männer, die keinen Sex haben. Die glauben, sie hätten aufgrund ihres Geschlechts ein Anrecht auf Frauen und Sexualität. Männer, die meinen der Feminismus sei das Grundübel ihrer Situation. Männer, die sich selbst – vor allem aber Frauen hassen.
Der Sozialpsychologe Rolf Pohl hat jahrelang zu Incels und Gewalt gegen Frauen geforscht.
"Das ist eine ganz starke Bindungskraft", erklärt er. "Hass gegen äußere Feinde, gegen konstruierte Feinde. Das steht aber natürlich im Widerspruch zu dem Selbstbild. Der Ausgangspunkt bei den Incels ist ja, dass sie sich für nicht attraktiv finden, dass sie sich unglaublich lange darüber auslassen, dass sie nicht die richtige Größe haben, dass der Penis nicht groß genug ist, und so weiter."

Frauen abwerten, sich selbst aufwerten

Pohl sagt: Diese Männer verzweifeln daran, einem mutmaßlichen Idealbild nicht zu entsprechen. In einem Incel-Forum schreibt ein User:
"Eine Kieferoperation auf beiden Seiten ist die einzige Lösung, aber die meisten Chirurgen bekommen Asymmetrie dadurch auch nicht behoben und oft sieht man danach immer noch schief aus. Das kotzt mich an. Ich hasse mein beschissen schiefes Gesicht."
Sozialpsychologe Pohl: "Das heißt, sie beklagen ihre geringe Ausstattung, es ist eine unglaubliche Minderwertigkeit, und gleichzeitig wird die kompensiert durch ein narzisstisches Gefühl von Größe, Allmacht und Zusammengehörigkeit."
Frauen abwerten, sich selbst aufwerten. In den Foren bestätigen sich Incels gegenseitig ihre Sicht auf die Welt. Sie tauschen Videos aus, erfreuen sich an der Gewalt gegen Frauen. Doch ihr Hass richtet sich nicht nur gegen Frauen, sondern oft auch gegen Juden oder People of Colour.
Eine Studie aus Deutschland, der Schweiz und den USA zeigt, dass sich verschiedene Gruppen von Frauenhassern immer stärker im Netz radikalisieren. Die Forscher haben zwischen 2005 und 2019 veröffentlichte Posts analysiert – und sind auf steigende Gewaltbereitschaft und Hass gestoßen.

Hinweise auf steigende Gewaltbereitschaft

Es gibt Hinweise darauf, dass die Attentäter von Halle und Hanau Verbindungen in die Incel-Szene hatten – auch sie töteten nicht nur aus einer rechtsextremen, sondern auch aus einer antifeministischen Ideologie heraus.
Der Halle-Attentäter nutzte in seinem Manifest typische Begriffe der Incel-Community. Während der Tat hörte er ein Lied, das als Incel-Hymne gilt.
Soziologin Veronika Kracher hat zu Incels geforscht und in ihren Foren recherchiert. Sie sieht das Internet als Brandbeschleuniger für antifeministische Gewalttaten.
"Mitnichten ist jeder User auf diesen Foren in der Lage, einen Gewaltakt zu begehen", sagt sie. "Aber es ist eine Atmosphäre, in der man Gewalt legitimiert, glorifiziert und als Wiedergutmachung der narzisstischen Kränkung, keinen Sex zu haben, begreift. Das kann dazu führen, dass User dieser Foren für sich beschließen, eben Gewalttaten auszuführen. Das kann sich in sexueller Belästigung artikulieren. Das kann sich aber auch im schlimmsten Falle im frauenfeindlichen Terrorakt artikulieren. Das sind eben nicht nur ein paar frustrierte junge Männer, sondern das können frustrierte junge Männer sein, die ihren Frust in Gewalt übersetzen."

Überholtes Bild von Männlichkeit als Ursache

Sozialpsychologe Rolf Pohl sieht als Ursache ein überholtes Bild von Männlichkeit. Die Incels sind für ihn eine weitere Ausprägung eines immer da gewesenen Problems:
"Das ist einfach eine neue Erscheinungsform, die aber eigentlich doch nur Ausdruck einer grundlegenden Misogynie ist, die sehr stark strukturell in der Gesellschaft immer schon verankert gewesen ist und sich vor allem immer wieder auch in allen Schattierungen Formen des Sexismus zeigen."
Eine Studie der Uni Leipzig von 2020 zeigt: Jeder vierte Mann in Deutschland hat noch immer ein geschlossenes, antifeministisches Weltbild. Um das zu ändern, muss laut Pohl schon in der Jugend ein anderes Bild von Männlichkeit und Weiblichkeit gelernt werden.
Auch Soziologin Kracher verweist darauf, dass viele junge Männer in der Pubertät enormen Druck erlebten, dieses überholte Männlichkeitsideal erfüllen zu müssen.
"Relativ viele Incels geben in den Foren an, dass sie Erfahrungen mit Mobbing gemacht haben, weil sie eben diesen Ansprüchen an Männlichkeit nicht genügend konnten. Anstatt jedoch zu dem Schluss zu kommen, dass das Problem die herrschenden Männlichkeitsvorstellungen sind, wollen sie sich dann doch in ihrer Männlichkeit vergewissern, indem sie halt Frauen abwerten."

In feministische Bildung investieren

Ein Weg ist also, schon früh in feministische Bildung zu investieren. Das macht zum Beispiel Pinkstinks, eine in Hamburg ansässige Organisation gegen Sexismus.
Gründerin Stevie Schmiedel sieht die Aufklärungsarbeit in Kitas und Grundschulen als wichtigen Baustein:
"Gerade da ist ja das Problem, das wir wissen, dass Jungs schon in der ersten Klasse weniger emotionales Vokabular haben als Mädchen und deshalb auch oft sich nicht so gut um sich selber kümmern können."
Mit dem Theaterstück "David und sein rosa Pony" sind sie seit sieben Jahren bundesweit an Grundschulen unterwegs. Dabei geht es um die Belastung, ein "richtiger Junge" sein zu müssen – nämlich ohne Rosa und ohne Kuscheln. David wird mit seinem Stofftier nicht akzeptiert.
Ein Stück, das die Kinder bewegt, sagt Stevie Schmiedel.
"David mit seinem rosa Pony, der möchte einfach nur kuscheln und Ruhe haben. Und ist ein ganz lieber und zarter junger. Und der soll immer ganz stark sein. Und ganz tough. Und das will der überhaupt nicht. Und schon kleine Kinder merken, dass es ungerecht ist. Wieso wird er jetzt als schwul bezeichnet? Oder warum lachen die über den? Oder sagen, er ist wie ein Mädchen. Und was ist überhaupt schlimm, so zu sein, wie Mädchen auch sind: Das heißt mitfühlend liebevoll."
Während Pink Stinks Kinder mit Theaterstücken erreicht, produziert "Pinkstinks" für Jugendliche Formate auf Youtube, wie dieses Musikvideo zu gendergerechter Sprache: "Sichtbar sein".
Für Stevie Schmiedel ist ihre Arbeit ein Schritt von vielen hin zu einer gleichberechtigteren Gesellschaft.

Forderung nach konkreten Maßnahmen der Politik

"Natürlich haben wir einerseits viele Fortschritte gemacht", sagt sie.
"Es ist zwar sehr traurig, dass wir erst 2020 ein Gesetz bekommen haben, dass man Frauen nicht unter den Rock fotografieren darf. Ist es eigentlich fast absurd. Und trotzdem haben wir das Gesetz jetzt durchbekommen. Also natürlich haben wir auch Fortschritte gemacht. Und trotzdem denke ich, die Radikalisierung, die wir gerade im letzten Jahr auch noch einmal erlebt haben: die Incels, die Attentäter, die ganz klar auch frauenfeindliche Motive hatten. Das ist alles schon ziemlich gruselig in letzter Zeit."
Sie fordert, dass auch die Politik reagiert – mit konkreten Maßnahmen wie etwa einer Taskforce in der Bundesregierung und einer zentralen Stelle beim Verfassungsschutz. Immerhin: Laut Innenminister Horst Seehofer soll die polizeiliche Kriminalstatistik bald auch frauenfeindliche Gewalttaten erfassen. Der Minister kündigte an, mit den Ländern einen Weg finden zu wollen, dies zügig und sachgerecht umzusetzen. Ein kleiner Schritt, in die richtige Richtung.
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