Frauenhass als Social-Media-Trend

Auf Tiktok, Youtube und Co. propagieren frauenfeindliche Influencer männliche Überlegenheit und erreichen damit Millionen Nutzer. Was steckt hinter der sogenannten Manosphere?
Ein Teenager ermordet eine Mitschülerin. Die Suche nach dem Motiv führt in die Abgründe des Internets, tief hinein in einen Social-Media-Strudel aus toxischen Männlichkeitsidealen, Gewalt und Frauenhass. Die britische Netflixserie "Adolescence" hat im Frühjahr 2025 nicht nur in Großbritannien einen Nerv getroffen.
Inhalt
Auch in Deutschland entfachte der Mehrteiler von Regisseur Philip Barantini eine Debatte über Frauenfeindlichkeit unter männlichen Jugendlichen, das Bild vom "starken Mann" und den Einfluss sozialer Medien. Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder fällt: Manosphere. Was hat es damit auf sich?
Was ist die Manosphere?
Die sogenannte Manosphere ist ein Sammelbegriff für Onlinecommunitys, Blogs und Foren, in den User antifeministische und frauenfeindliche Ansichten verbreiten. Die Themen reichen von "Männlichkeitscoachings" und Tipps zur Selbstoptimierung über Fantasien männlicher Vorherrschaft bis hin zu extremem Frauenhass. Expertinnen und Experten unterscheiden verschiedene Gruppen, zum Beispiel Männlichkeitsinfluencer, misogyne Männerrechtsaktivisten, "Pick-up-Artists" und Incels, also unfreiwillig zölibatär lebende Männer.
Zwar verfolgen die diversen Strömungen laut Politikwissenschaftler Dominik Hammer vom Institute for Strategic Dialoge (ISD) unterschiedliche Ziele. Die einen teilen manipulative Dating-Tricks, die anderen vertreten politische Forderungen, um die Position von Frauen in der Gesellschaft zu schwächen, wieder andere lehnen Frauen komplett ab.
Sie alle eint: Sie lehnen die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern ab und machen sie für gesellschaftliche und persönliche Probleme verantwortlich. Es herrsche das Gefühl, "die moderne Gesellschaft sei gegen Männer eingestellt, würde Männer benachteiligen", sagt Hammer. Er hat beim Projekt "Mapping the Germanosphere" extremen Frauenhass im deutschsprachigen Internet analysiert.
Das Forschungsprojekt ist auf ähnliche Gruppen gestoßen wie in der englischsprachigen Manosphere. "Es gibt verschiedene Ansätze von Abwertung, Zynismus und Verachtung, die wir gefunden haben", sagt der ISD-Forscher. Im Großen und Ganzen seien Manosphere-Räume ein "sehr zorniger Ort". Wegen ihrer Betonung der Ungleichwertigkeit von Menschen bieten sie zudem ein Einfallstor für andere Formen von Radikalisierung, etwa für antisemitische Verschwörungstheorien und Rassismus.
Hammer hält Frauenfeindlichkeit im Netz für ein milieu- und altersübergreifendes Problem: "Die Manosphere rekrutiert sich aus sehr unterschiedlichen sozialen Milieus und Altersschichten", sagt der Politikwissenschaftler. Ihre genaue Größe lässt sich wegen der diversen und wandelbaren Strömungen schwer beziffern. Laut dem Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) beobachten einige Studien der vergangenen Jahre jedoch einen generellen Nutzerzuwachs.
Was propagieren Männlichkeitsinfluencer?
Auf einer Plattform wie Tiktok, die besonders bei Jugendlichen beliebt ist, dürfte die Manosphere vor allem männliche Teenager erreichen. Laut der Medienkompetenz-Initiative "Schau hin!" ziehen frauenverachtende Videos wie die von Unternehmer und Ex-Kickbox-Weltmeister Andrew Tate, einem der bekanntesten Gesichter der Manosphere, Millionen von Jungs in ihren Bann.
Allein auf Tiktok kursieren demnach mehr als 13 Milliarden Videos mit dem Hashtag seines Namens - viele davon voll von frauenfeindlichen Witzen und gewaltverherrlichenden Aussagen. Auch auf YouTube und in der Meme-Kultur fänden sich immer mehr misogyne Botschaften.
Der Algorithmus von Tiktok bevorzugt emotional aufgeladene und polarisierende Videos. "Tiktok ist kalkulierte Reizüberflutung", sagt Caspar Weimann vom Düsseldorfer Kollektiv onlinetheather.live. Ein Grundmechanismus der Plattform sei "der Kampf um Aufmerksamkeit". Männlichkeitsinfluencer versuchten, die Nutzer von der ersten Sekunde an zu fesseln - mit emotionalisierenden, frauenfeindlichen und maskulinistischen Erzählungen.
Aus Sicht von Weimann geht es dabei vor allem um eines: Geld. "Es ist ein riesiger Apparat, mit dem Menschen viel Geld verdienen", zum Beispiel indem sie Dating-Coachings verkaufen oder Zugänge zu Network-Marketing-Events.
Um den Algorithmus der App auszutricksen und Jugendliche im "maskulinistischen Radikalisierungsprozess" zu erreichen, hat das Theaterkollektiv 2024 das Projekt "Hacking the Manosphere" umgesetzt. Die Idee: Videos im Stil und in der Optik der Männlichkeitsinfluencer - allerdings mit anderen Positionen. Nämlich mit Inhalten, die für eine "moderne, empathische und sensible Männlichkeit" werben.
Wie verbreitet ist Antifeminismus in Deutschland?
Auch offline ist das Bild vom "starken" Mann offenbar in. Toxische Männlichkeitsideale und Antifeminismus sind in Deutschland weit verbreitet, sagt Psychologin und Demokratieforscherin Fiona Kalkstein. Laut der Expertin befürwortet ein Drittel der hiesigen Bevölkerung ein gewaltbereites Männlichkeitsideal, ein Viertel hat ein geschlossen antifeministisches Weltbild.
Zum Vergleich: Ein geschlossener Rassismus lässt sich bei ungefähr einem Fünftel der Bevölkerung feststellen. Das gehe aus der Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 hervor, in der die Befragten mit Aussagen konfrontiert wurden wie zum Beispiel: "Ein echter Mann muss zur Not auch mit Gewalt in der Lage sein, seine Familie zu beschützen."
Im Unterschied zu Sexismus, in dem laut Kalkstein bereits eine Festschreibung von vermeintlicher Natürlichkeit und ein männlicher Überlegenheitsgedanke steckt, ist Antifeminismus stärker politisch. Er richte sich gegen feministische Bewegungen und wandle sich entsprechend mit ihnen.
Richteten sich antifeministische Positionen früher zum Beispiel gegen das Frauenwahlrecht, gehe es heute um das Abtreibungsrecht. Andere Themen sind unter anderem die Auspluralisierung von Geschlechternormen und Geschlechteridentitäten.
Warum ist das Bild vom "starken Mann" wieder in - und wem schadet es?
Aus Sicht der Psychologin Kalkstein ist aggressives Verhalten, wie toxische Männlichkeit und Rassismus, Ausdruck verdrängter Gefühle. Im Kontext von Social Media spielt vor allem die Komplexitätsreduktion auf den Plattformen eine Rolle.
Das einfache Schwarz-Weiß-Denken auf Tiktok und Co. liefert ein attraktives Lösungsangebot für Ambivalenzkonflikte: „Wenn wir gleichzeitig widersprechende Informationen oder Emotionen haben, ist das anstrengend“, sagt Kalkstein. „Wenn das nicht so gut gelernt wurde, dann gibt es eine Ansprechbarkeit für Ideologien, die vereinfachen.“
Influencer wie Andrew Tate geben einfache Antworten auf komplizierte Fragen, sagt auch der Autor Fikri Anıl Altıntaş. Mit ihren simplen Botschaften vermitteln sie Handlungsfähigkeit, Stabilität, Sicherheit und Kontrolle. "Dafür sind junge Männer empfänglich, die auf der Suche nach Orientierung sind."
Der Autor ist überzeugt, es habe international eine Diskursverschiebung stattgefunden: Dass Frauen an den Herd gehören, sei heute sagbarer. "Das fördert die Abwertung und Geringschätzung von Frauen. Der Besitzanspruch auf weiblich gelesene Körpern steigt."
Wenn wir gleichzeitig widersprechende Informationen oder Emotionen haben, ist das anstrengend. Wenn das nicht gut gelernt wurde, dann gibt es eine Ansprechbarkeit für Ideologien, die vereinfachen.
Ein signifikanter Faktor für antifeministische Einstellungen ist laut Psychologin Kalkstein das Thema Bildung. Je geringer die Bildung, desto höher die Wahrscheinlichkeit für Antifeminismus. Auch eine fundamentalistische Interpretation von Religiosität, egal welche, spiele eine Rolle.
Ähnlich argumentiert der Pädagoge und Anti-Gewalt-Trainer Ahmet Toprak, der sich mit toxischen Formen von Männlichkeit bei Muslimen beschäftigt hat: "Vor allem diejenigen, die bildungsbenachteiligt sind, die soziale Anerkennung nicht anderweitig finden, suchen die Anerkennung über traditionelle Männlichkeitsnormen." Werte wie Loyalität, Stärke und Ehre würden unreflektiert übernommen und eigenen Verhaltensweisen oft mit religiösen Einstellungen erklärt.
Das Verhalten der Jugendlichen sei häufig ein "Hilferuf" und Teil der verfehlten Integrationspolitik in Deutschland, kritisiert Toprak. Leidtragende solcher Einstellungen sind nach Einschätzung des Erziehungswissenschaftlers nicht nur Frauen. Grundsätzlich schädige toxische Männlichkeit auch Jungs und Männer, weil sie sich mit ihren Verhaltensweisen selbst einengten.
Wie lassen sich toxische Männlichkeitsideale überwinden?
Um ein gewaltbereites Männlichkeitsideal und antifeministische Einstellungen zu bekämpfen, brauche es eine Pädagogik, "die Emotionen auslöse", sagt die Psychologin Kalkstein. Jugendliche müssten lernen, ihre Gefühle zuzulassen und auszuhalten. Dazu kämen, als zweite Ebene, strukturelle Verbesserungen, sagt die Sozialpsychologin. Etwa in der Rechtsprechung und bei Polizeischulungen.
Der Erziehungswissenschaftler Topkrat betont vor allem die Bedeutung von sozialer Anerkennung, die vielen männlichen Jugendlichen mit toxischen Verhaltensweisen fehle. Es sei wichtig, ihre Werte und Normen nicht abzuwerten, sondern sie gemeinsam und auf Augenhöhe zu reflektieren. Dabei sei auch die Sprache wichtig, sagt Topkrat.
Pädagogik sei oft nicht an die Zielgruppe angepasst, kritisiert er. Dort gelte es anzusetzen und zum Beispiel auch in den sozialen Medien stärker präsent zu sein.
Auch Weimann vom Düsseldorfer Theaterkollektiv onlinetheater.live betont, es sei wichtig, das Internet "nicht sich selbst oder Konzerninteressen" zu überlassen. Als Verlängerung des öffentlichen Raums müsse das soziale Internet durch Kulturarbeit mitgestaltet werden, fordert er: "Wenn man ein demokratisches Miteinander gestalten will, dann auch online."
irs