In kritischer Zuneigung dem "Stern" verbunden
Wegen seines Leitartikels mit der Überschrift "Sollen die Zonis bleiben, wo sie sind?" musste Michael Jürgs als "Stern"-Chefredakteur 1990 den Hut nehmen. Seitdem ist der Publizist, der zahlreiche Biografien verfasste, dem Magazin in kritischer Zuneigung verbunden geblieben. Für die heutigen "Stern"-Macher sei die Situation auf dem Medienmarkt schwieriger geworden, weil es mehr starke Konkurrenz gebe, meint Jürgs.
Ulrike Timm: Dem "Stern" in kritischer Zuneigung verbunden ist der Publizist Michael Jürgs. 14 Jahre arbeitete er dort, zuletzt als Chefredakteur. 1990 wurde er gefeuert, dann hat Michael Jürgs zahlreiche Bücher geschrieben, Biografien vor allem, und das Spektrum reicht dabei vom Sänger Richard Tauber bis zum Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Guten Tag, Herr Jürgs!
Michael Jürgs: Guten Tag, jetzt kann ich Sie hören!
Timm: Herr Jürgs, lesen Sie heute noch jede Ausgabe des "Sterns"?
Jürgs: Natürlich habe ich jede Ausgabe des "Stern" noch zu Hause und lese sicherlich nicht mehr alles so wie früher, nein.
Timm: Aber Sie kaufen ihn nicht mehr ganz regelmäßig am Kiosk?
Jürgs: Ich kaufe ihn sicher nicht mehr regelmäßig am Kiosk, nein.
Timm: Der "Stern" erscheint bei Gruner + Jahr, genauso wie eines der Flaggschiffe der deutschen Presselandschaft, "Die Zeit". Und es gibt diese legendäre Geschichte über eine Stichelei zwischen dem Chefredakteur der "Zeit" und dem "Stern"-Erfinder Henri Nannen. "Ich bewundere Sie", sagt der "Zeit"-Mann, "wie Sie jede Woche den Geschmack von Lieschen Müller treffen. Wie machen Sie das nur?" Und Henri Nannen sagt: "Ich bin Lieschen Müller!" War das das Erfolgsrezept, Lieschen Müller ernst zu nehmen?
Jürgs: Jetzt muss ich Sie kurz verbessern, die "Zeit" erscheint beim Holtzbrinck-Verlag und nicht bei Gruner + Jahr, aber das macht ja nichts. In der Zeit war das eins.
Timm: In der Zeit war es eins, genau.
Jürgs: Und Nannen hatte natürlich recht, er ist nicht nur Lieschen Müller, sondern Lieschen Müller und nicht der "Stern" hat damals das Geld verdient, damit die "Zeit" überleben konnte. Wir waren sozusagen die Straßenköter, während die anderen die feineren Herrschaften waren, und die haben das kommentiert, was wir rausgebracht haben. Das war eine sehr seltsame Mischung von Anerkennung, Respekt und auch ein wenig von oben herab betrachtet zu werden. Aber den Erfolg hatte der "Stern", ja.
Timm: Es klingt ein bisschen nach Neid, diese Kritik, die damals kam.
Jürgs: Die Neid-Kritik kam nicht von uns. Wir fühlten uns ja, wenn ich sagen darf wir, dann heißt das immer noch, wie Sie merken, tief drin in dieser Geschichte, wir fanden uns zwar im Vergleich zu den Feinen von der "Zeit" etwas weniger angesehen, aber wir hatten die größere Auflage, die größere Reichweite und natürlich auch die größere Macht.
Timm: Schauen wir mal zurück, Herr Jürgs. Was hat den "Stern" ausgemacht, welche gesellschaftlichen Debatten hat er aus Ihrer Sicht publizistisch mitgeprägt?
Jürgs: Es ist so, dass der "Stern" nicht nur die Gleichberechtigung von Mann und Frau, nicht nur die Ostpolitik, nicht nur die gesamte 68er, wenn Sie den Begriff so nehmen, nicht, wie er heute diskutiert wird, sondern die verkrustete Nazizeit aufzubrechen und wirklich Klarschiff zu machen, das war alles "Stern". Und ich erinnere mich an eine unglaubliche Geschichte, als im Fernsehen "Holocaust", eine amerikanische Serie lief, das war wohl, ich schätze mal 1978/79, um die Zeit, und Nannen ganz kühl aus dem Bauch heraus, denn er war kühl aus dem Bauch heraus, er konnte kühl etwas betrachten und eine Bauchentscheidung treffen, sagte: Und nun zeigen wir auf 25 Doppelseiten die schlimmsten Fotos aus den KZs und vom Holocaust und schreiben drüber, so war es wirklich. Das war der "Stern".
Timm: Da war auch ein großer Anspruch dahinter, in politischen Debatten mitzumischen. Ist der im Laufe der Jahre vielleicht auch ein bisschen verloren gegangen?
Jürgs: Der ging bei vielen verloren, aber wir haben oder der "Stern" hat natürlich bei fast allen großen Debatten eine Vorreiterrolle gespielt, selbstverständlich mit dem "Spiegel". Das waren ja sozusagen die von der anderen Straßenseite, die große Konkurrenz für uns – was hat der "Spiegel" am Montag, was haben wir? Also die Debatte, die der "Stern" politisch geführt hat, immer nach Meinung der "Stern"-Leute und nach unserer Meinung auf der richtigen Seite selbstverständlich, war natürlich geprägt von einer Konfrontationszeit, also die gesamte geballte Macht der damaligen Springer-Presse gegen die Ostpolitik Willy Brandts oder gegen die sozialliberale Koalition oder Ostpolitik, da stand natürlich der "Stern" auf der anderen Seite wie ein auf den Barrikaden. Und Nannen natürlich allen voran.
Timm: Ich erinnere mich auch zum Beispiel an den Titel "Wir haben abgetrieben", 1971. Und da war ein heiliger Ernst, egal, wie man zur Abtreibung steht oder nicht, ein heiliger Ernst für die Selbstbestimmung der Frau, den man heute in den Debatten in diesem Maße fast nicht mehr findet.
Jürgs: Es war natürlich auch ein Tabubruch, dass man das bekannt hat und das auf dem Titel ist. Natürlich haben auch viele Frauen mitgemacht, die nie im Leben abgetrieben haben, aber sie wollten sich bekennen, um zu zeigen, wir sind gleichberechtigt, wir haben ein eigenes Recht, über uns selbst zu bestimmen. Da hat vieles im Laufe der Jahre sich, ja, ich kann sagen, es ist etwa eine Debatte draus geworden, was verdient eine Frau weniger als ein Mann oder mehr als ein Mann. In damaliger Zeit ging es eigentlich um ein Menschenrecht "Frau", und das musste man den Deutschen erst richtig klar machen, dass Frauen wie Männer gleichberechtigt sind. Insofern war das ein ganz entscheidender Cover.
Timm: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit dem Publizisten Michael Jürgs über die Zeitschrift "Stern", die heute vor 60 Jahren zum ersten Mal erschien. Und Herr Jürgs, der "Stern" steht auch für den Supergau des Journalismus. 1983, die gefälschten Hitler-Tagebücher. Die Geschichte müsse umgeschrieben werden, so tönte der "Stern". In Wirklichkeit hatte ein gewiefter Kleinkrimineller gewirbelt und eine ganze Redaktion an der Nase herumgeführt. Hat das bis heute Spuren hinterlassen?
Jürgs: Ich glaube nicht bis heute, weil der Leser weiß nach 25 Jahren gar nicht mehr, was da eigentlich richtig los war. Es ist natürlich für uns, die wir damals in der Redaktion waren, war es ein Schock. Das war ein Schock fürs Leben. Es war eigentlich der Sturz von dem Olymp hinunter, um Gottes Willen, was ist da passiert. Als ich dann Chefredakteur wurde, ein paar Jahre später, habe ich gemerkt, wie schwer es ist, diese Glaubwürdigkeitslücke wieder zu erfüllen. Bei jeder Geschichte, die wir dann gemacht haben, also investigativ gemacht haben, enthüllt haben, ob es Atomraketen oder sonst was war, konnte sofort von der Gegenseite der Satz kommen: Na ja, ob das mal stimmt, stand ja im "Stern", die hatten ja auch die gefälschten Hitler-Tagebücher. Es hat sicher sehr lange gedauert, bis das weg war, aber ich glaube nicht, dass es heute noch Nachwirkungen hat.
Timm: Immerhin, ohne die Geschichte hätten wir Dietels wunderbaren Film "Schtonk!" nicht.
Jürgs: Ja, das stimmt.
Timm: Michael Jürgs, Sie waren bis 1990 Chefredakteur, sind dann geflogen wegen einer Schlagzeile: "Sollen die Zonis bleiben, wo sie sind?"
Jürgs: Nein, das war nicht eine Schlagzeile …
Timm: Würden Sie die noch mal schreiben?
Jürgs: Nein, nein, das war ein Leitartikel mit der Überschrift, das war meine Meinung, es war völlig klar, dass ich diese Meinung vertreten konnte, so viel wollte, "Sollen die Zonis bleiben, wo sie sind?" hieß die Überschrift in diesem Leitartikel, mit Fragezeichen. Heute fragen mich viele, wieso hast du eigentlich ein Fragezeichen gemacht. Na gut, das ist ein Scherz, andere Zeiten. Es war eigentlich der entscheidende Satz da drin, dass ich sagte, die deutsche Einheit gehört nicht zu meinen Träumen von Europa, und ich warne davor, so ganz, ganz schnell die Einheit zu vollziehen. Das erschien an einem Donnerstag, und an dem Dienstag drauf war ich weg.
Timm: Und haben dann als Buchautor doch Karriere gemacht. Michael Jürgs, welches Gewicht hat der "Stern" für Sie heute? Die letzten großen Geschichten, zum Beispiel die Aufdeckung bei Lidl rückte ihn noch mal ins Licht, aber die wirklich großen Geschichten sind eigentlich seltener geworden.
Jürgs: Es ist insofern schwieriger geworden für alle, auch für den "Spiegel", den bedeutenden "Spiegel", der investigativen Journalismus auf dem Banner hat, weil es zu viel Konkurrenz gibt. Also Online- und Fernsehsender, Rundfunksender, gute, es gibt natürlich viele schlechte, das weiß ich auch, und natürlich auch sehr gute Tageszeitungen, die sehr viele Magazinelemente übernommen haben. Ich glaube, für die, die heute den "Stern" machen, ist es sehr viel schwerer, als es für uns damals war, den "Stern" zu machen. Wir mussten auch gut sein, wir mussten gewaltige Auflage machen, wir mussten usw., das ist klar, aber die heutige Konkurrenz ist so stark, dass es schwerer ist. Man muss sehr viel Kreativität und sehr viel Fantasie haben und einen unglaublichen Mut zum Risiko, um das zu wagen, und den "Stern", wie es Nannen verlangt hat, wenn ihr predigt, muss die Kirche voll sein, zu erreichen.
Timm: Und vor 60 Jahren erschien der "Stern" zum ersten Mal. Wir sprachen darüber mit dem Publizisten Michael Jürgs, und, Totgesagte leben länger, vielleicht wird der "Stern" ja auch noch mal 75 hier im "Radiofeuilleton".
Michael Jürgs: Guten Tag, jetzt kann ich Sie hören!
Timm: Herr Jürgs, lesen Sie heute noch jede Ausgabe des "Sterns"?
Jürgs: Natürlich habe ich jede Ausgabe des "Stern" noch zu Hause und lese sicherlich nicht mehr alles so wie früher, nein.
Timm: Aber Sie kaufen ihn nicht mehr ganz regelmäßig am Kiosk?
Jürgs: Ich kaufe ihn sicher nicht mehr regelmäßig am Kiosk, nein.
Timm: Der "Stern" erscheint bei Gruner + Jahr, genauso wie eines der Flaggschiffe der deutschen Presselandschaft, "Die Zeit". Und es gibt diese legendäre Geschichte über eine Stichelei zwischen dem Chefredakteur der "Zeit" und dem "Stern"-Erfinder Henri Nannen. "Ich bewundere Sie", sagt der "Zeit"-Mann, "wie Sie jede Woche den Geschmack von Lieschen Müller treffen. Wie machen Sie das nur?" Und Henri Nannen sagt: "Ich bin Lieschen Müller!" War das das Erfolgsrezept, Lieschen Müller ernst zu nehmen?
Jürgs: Jetzt muss ich Sie kurz verbessern, die "Zeit" erscheint beim Holtzbrinck-Verlag und nicht bei Gruner + Jahr, aber das macht ja nichts. In der Zeit war das eins.
Timm: In der Zeit war es eins, genau.
Jürgs: Und Nannen hatte natürlich recht, er ist nicht nur Lieschen Müller, sondern Lieschen Müller und nicht der "Stern" hat damals das Geld verdient, damit die "Zeit" überleben konnte. Wir waren sozusagen die Straßenköter, während die anderen die feineren Herrschaften waren, und die haben das kommentiert, was wir rausgebracht haben. Das war eine sehr seltsame Mischung von Anerkennung, Respekt und auch ein wenig von oben herab betrachtet zu werden. Aber den Erfolg hatte der "Stern", ja.
Timm: Es klingt ein bisschen nach Neid, diese Kritik, die damals kam.
Jürgs: Die Neid-Kritik kam nicht von uns. Wir fühlten uns ja, wenn ich sagen darf wir, dann heißt das immer noch, wie Sie merken, tief drin in dieser Geschichte, wir fanden uns zwar im Vergleich zu den Feinen von der "Zeit" etwas weniger angesehen, aber wir hatten die größere Auflage, die größere Reichweite und natürlich auch die größere Macht.
Timm: Schauen wir mal zurück, Herr Jürgs. Was hat den "Stern" ausgemacht, welche gesellschaftlichen Debatten hat er aus Ihrer Sicht publizistisch mitgeprägt?
Jürgs: Es ist so, dass der "Stern" nicht nur die Gleichberechtigung von Mann und Frau, nicht nur die Ostpolitik, nicht nur die gesamte 68er, wenn Sie den Begriff so nehmen, nicht, wie er heute diskutiert wird, sondern die verkrustete Nazizeit aufzubrechen und wirklich Klarschiff zu machen, das war alles "Stern". Und ich erinnere mich an eine unglaubliche Geschichte, als im Fernsehen "Holocaust", eine amerikanische Serie lief, das war wohl, ich schätze mal 1978/79, um die Zeit, und Nannen ganz kühl aus dem Bauch heraus, denn er war kühl aus dem Bauch heraus, er konnte kühl etwas betrachten und eine Bauchentscheidung treffen, sagte: Und nun zeigen wir auf 25 Doppelseiten die schlimmsten Fotos aus den KZs und vom Holocaust und schreiben drüber, so war es wirklich. Das war der "Stern".
Timm: Da war auch ein großer Anspruch dahinter, in politischen Debatten mitzumischen. Ist der im Laufe der Jahre vielleicht auch ein bisschen verloren gegangen?
Jürgs: Der ging bei vielen verloren, aber wir haben oder der "Stern" hat natürlich bei fast allen großen Debatten eine Vorreiterrolle gespielt, selbstverständlich mit dem "Spiegel". Das waren ja sozusagen die von der anderen Straßenseite, die große Konkurrenz für uns – was hat der "Spiegel" am Montag, was haben wir? Also die Debatte, die der "Stern" politisch geführt hat, immer nach Meinung der "Stern"-Leute und nach unserer Meinung auf der richtigen Seite selbstverständlich, war natürlich geprägt von einer Konfrontationszeit, also die gesamte geballte Macht der damaligen Springer-Presse gegen die Ostpolitik Willy Brandts oder gegen die sozialliberale Koalition oder Ostpolitik, da stand natürlich der "Stern" auf der anderen Seite wie ein auf den Barrikaden. Und Nannen natürlich allen voran.
Timm: Ich erinnere mich auch zum Beispiel an den Titel "Wir haben abgetrieben", 1971. Und da war ein heiliger Ernst, egal, wie man zur Abtreibung steht oder nicht, ein heiliger Ernst für die Selbstbestimmung der Frau, den man heute in den Debatten in diesem Maße fast nicht mehr findet.
Jürgs: Es war natürlich auch ein Tabubruch, dass man das bekannt hat und das auf dem Titel ist. Natürlich haben auch viele Frauen mitgemacht, die nie im Leben abgetrieben haben, aber sie wollten sich bekennen, um zu zeigen, wir sind gleichberechtigt, wir haben ein eigenes Recht, über uns selbst zu bestimmen. Da hat vieles im Laufe der Jahre sich, ja, ich kann sagen, es ist etwa eine Debatte draus geworden, was verdient eine Frau weniger als ein Mann oder mehr als ein Mann. In damaliger Zeit ging es eigentlich um ein Menschenrecht "Frau", und das musste man den Deutschen erst richtig klar machen, dass Frauen wie Männer gleichberechtigt sind. Insofern war das ein ganz entscheidender Cover.
Timm: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit dem Publizisten Michael Jürgs über die Zeitschrift "Stern", die heute vor 60 Jahren zum ersten Mal erschien. Und Herr Jürgs, der "Stern" steht auch für den Supergau des Journalismus. 1983, die gefälschten Hitler-Tagebücher. Die Geschichte müsse umgeschrieben werden, so tönte der "Stern". In Wirklichkeit hatte ein gewiefter Kleinkrimineller gewirbelt und eine ganze Redaktion an der Nase herumgeführt. Hat das bis heute Spuren hinterlassen?
Jürgs: Ich glaube nicht bis heute, weil der Leser weiß nach 25 Jahren gar nicht mehr, was da eigentlich richtig los war. Es ist natürlich für uns, die wir damals in der Redaktion waren, war es ein Schock. Das war ein Schock fürs Leben. Es war eigentlich der Sturz von dem Olymp hinunter, um Gottes Willen, was ist da passiert. Als ich dann Chefredakteur wurde, ein paar Jahre später, habe ich gemerkt, wie schwer es ist, diese Glaubwürdigkeitslücke wieder zu erfüllen. Bei jeder Geschichte, die wir dann gemacht haben, also investigativ gemacht haben, enthüllt haben, ob es Atomraketen oder sonst was war, konnte sofort von der Gegenseite der Satz kommen: Na ja, ob das mal stimmt, stand ja im "Stern", die hatten ja auch die gefälschten Hitler-Tagebücher. Es hat sicher sehr lange gedauert, bis das weg war, aber ich glaube nicht, dass es heute noch Nachwirkungen hat.
Timm: Immerhin, ohne die Geschichte hätten wir Dietels wunderbaren Film "Schtonk!" nicht.
Jürgs: Ja, das stimmt.
Timm: Michael Jürgs, Sie waren bis 1990 Chefredakteur, sind dann geflogen wegen einer Schlagzeile: "Sollen die Zonis bleiben, wo sie sind?"
Jürgs: Nein, das war nicht eine Schlagzeile …
Timm: Würden Sie die noch mal schreiben?
Jürgs: Nein, nein, das war ein Leitartikel mit der Überschrift, das war meine Meinung, es war völlig klar, dass ich diese Meinung vertreten konnte, so viel wollte, "Sollen die Zonis bleiben, wo sie sind?" hieß die Überschrift in diesem Leitartikel, mit Fragezeichen. Heute fragen mich viele, wieso hast du eigentlich ein Fragezeichen gemacht. Na gut, das ist ein Scherz, andere Zeiten. Es war eigentlich der entscheidende Satz da drin, dass ich sagte, die deutsche Einheit gehört nicht zu meinen Träumen von Europa, und ich warne davor, so ganz, ganz schnell die Einheit zu vollziehen. Das erschien an einem Donnerstag, und an dem Dienstag drauf war ich weg.
Timm: Und haben dann als Buchautor doch Karriere gemacht. Michael Jürgs, welches Gewicht hat der "Stern" für Sie heute? Die letzten großen Geschichten, zum Beispiel die Aufdeckung bei Lidl rückte ihn noch mal ins Licht, aber die wirklich großen Geschichten sind eigentlich seltener geworden.
Jürgs: Es ist insofern schwieriger geworden für alle, auch für den "Spiegel", den bedeutenden "Spiegel", der investigativen Journalismus auf dem Banner hat, weil es zu viel Konkurrenz gibt. Also Online- und Fernsehsender, Rundfunksender, gute, es gibt natürlich viele schlechte, das weiß ich auch, und natürlich auch sehr gute Tageszeitungen, die sehr viele Magazinelemente übernommen haben. Ich glaube, für die, die heute den "Stern" machen, ist es sehr viel schwerer, als es für uns damals war, den "Stern" zu machen. Wir mussten auch gut sein, wir mussten gewaltige Auflage machen, wir mussten usw., das ist klar, aber die heutige Konkurrenz ist so stark, dass es schwerer ist. Man muss sehr viel Kreativität und sehr viel Fantasie haben und einen unglaublichen Mut zum Risiko, um das zu wagen, und den "Stern", wie es Nannen verlangt hat, wenn ihr predigt, muss die Kirche voll sein, zu erreichen.
Timm: Und vor 60 Jahren erschien der "Stern" zum ersten Mal. Wir sprachen darüber mit dem Publizisten Michael Jürgs, und, Totgesagte leben länger, vielleicht wird der "Stern" ja auch noch mal 75 hier im "Radiofeuilleton".