In der Mitte der Gesellschaft

Von Ralf Geißler · 30.10.2007
Eine neue Nazi-Kultur erobert unsere Städte. Scheinbar unaufhaltsam fallen Dörfer und Gemeinden, ja ganze Landstriche in den Einflussbereich von Rechtsextremen. Das zumindest behaupten die beiden Leipziger Journalisten Christian Werner und Michael Kraske in ihrem Buch "… und morgen das ganze Land - Neue Nazis, befreite Zonen und die tägliche Angst".
An einem Novemberabend 2006 wurde Alpha Amadu Bah brutal zusammengeschlagen. Rechtsextreme brachen dem jungen Mann aus Sierra Leone das Kinn und ließen ihn bewusstlos liegen. Der Überfall ereignete sich nicht in einer der verrufenen ostdeutschen Kleinstädte, sondern im trendigen Berlin-Mitte. In einem belebten U-Bahnhof.

Die Journalisten Christian Werner und Michael Kraske sehen darin einen Beleg dafür, dass der Rechtsextremismus das Land tief durchdrungen habe. Die Täter schlügen längst nicht mehr heimlich in Hinterhöfen zu, sondern mitten in der Großstadt. Sie trügen auch nicht mehr Springerstiefel oder Bomberjacken, sondern schicke Turnschuhe und modische Kapuzen-Shirts der Marke Thor Steinar.

Kraske und Werner beklagen in ihrem Buch, wie alltäglich Rassismus und Antisemitismus in Deutschland geworden seien. Sie schildern, wie jüdischen Fußballerspielern 2006 zugerufen wurde: "Wir bauen Euch eine U-Bahn nach Auschwitz". Sie lassen Martin Haufe zu Wort kommen – einen Punk aus Zittau, dem Neonazis ins Gesicht getreten haben. Ein Mosambikaner berichtet, wie die Mieter eines Berliner Hochhauses ihn monatelang schikanierten.

Insgesamt haben Werner und Kraske für ihr Buch 80 Interviews geführt – mit Verfassungsschützern, NPD-Aussteigern, Staatsanwälten, Sozialarbeitern und Opfern. Viele von ihnen sagen: Es gibt sie wirklich, die No-Go-Areas in Deutschland, Orte an denen sie als Ausländer, Schwule oder Linke um ihr Leben fürchten. Dazu gehörten bestimmte U-Bahnstrecken in Berlin, der Bahnhofsimbiss in Bischofswerda ...

Die Gesellschaft, so klagen die Autoren, stehe der Entwicklung völlig passiv gegenüber. In periodischen Wellen werde über die Wahlerfolge der NPD gerätselt oder über einzelne rassistische Überfälle berichtet. Doch die Ruhe zwischen den medialen Erregungsspitzen sei trügerisch. Rechtsextreme würden auf dem Land Sportvereine übernehmen, sie ließen sich in die Vorstände von Feuerwehren und Skat-Clubs wählen. Auf national-sozialen Samtpfoten drängten Neonazis in die Mitte der Gesellschaft vor.

Dabei sei die Zahl rechter Straftaten noch nie so hoch gewesen wie heute. Kraske und Werner zitieren offizielle Statistiken, nach denen jeden Tag in Deutschland drei Menschen Opfer einer rechten Gewalttat werden. Und sie fragen sich: Wo ist der Aufstand der Anständigen geblieben?
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