"Die Neonazis wollen in die Mitte der Gesellschaft"

Moderation: Joachim Scholl · 30.10.2007
Rechtsextremismus ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen und das Klischee vom prügelnden Skinhead ist eine grobe Vereinfachung, glaubt Michael Kraske. Der Co-Autor des Buches "… und morgen das ganze Land" findet, die neuen Nazis geben sich bürgerlich und treffen auf eine weit verbreitete ausländerfeindliche Grundstimmung. Ein Beispiel für alltäglichen Rassismus und Antisemitismus sei der Fußball. Hier müsse der DFB konsequenter durchgreifen.
Joachim Scholl: Ralf Geißler über das Buch "... und morgen das ganze Land - Neue Nazis, befreite Zonen und die tägliche Angst". Die Autoren heißen Christian Werner und Michael Kraske. Und der ist bei uns jetzt in einem Studio aus Halle zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Kraske!

Michael Kraske: Guten Morgen!

Scholl: Beim Stichwort Neonazis, Herr Kraske, haben wir ja gemeinhin dieses Bild im Kopf: Springerstiefel, rasierter Kopf, dumpfes Gegröle nebst drei abgespreizten Fingern an einer ausgestreckten Hand. Bei jedem Neonaziaufmarsch bekommen wir das vor Augen geführt. Nach der Lektüre Ihres Buches müssen wir unseren Blick wohl schärfer stellen. Die neuen Nazis geben sich durchaus modisch angepasst und modern, schreiben Sie. Wie ist denn dieser Stilwandel zu erklären?

Kraske: Ja, wir schreiben es ja in dem Buch, die neuen Nazis, die Neonazis, wollen in die Mitte der Gesellschaft, und das kann man nicht als Bürgerschreck, das kann man nicht als prügelnder Skinhead. Denn vor wem die Bürger Angst haben, den werden sie niemals in ihrer Mitte akzeptieren, auch nicht in der Dorfmitte. Das heißt, es ist ein neues Outfit notwendig gewesen. Und dazu gibt es inzwischen tatsächlich Marken, die auch ein modisches Bedürfnis von Neonazis bedienen. Das ist unter anderem "Thor Steinar", die mit ihrem ersten Logo, das sie vor einigen Jahren entworfen haben. Das hat eben die perfide Folge, dass Neonazis heute nicht mehr so erkennbar sind, und das bedeutet für die Opfer, dass sie sich eben auch noch schlechter schützen können.

Scholl: Bislang hat man ja immer auf Ostdeutschland gezeigt, von den sogenannten "national befreiten Zonen" dort gesprochen, von "No-Go-Areas". In Ihrem Buch zeigen Sie, dass Rechtsextremismus jedoch mittlerweile ein gesamtdeutsches Phänomen sei. Wie zeigt er sich im Westen?

Kraske: Rechtsextremismus hat ja ganz unterschiedliche Gesichter. Das muss man wissen. Es ist eben nicht nur der prügelnde Neonazi, sondern Rechtsextremismus ist tatsächlich auch eine Einstellung. Und da gibt es wirklich erschreckende Befunde, dass man beispielsweise Ausländerfeindlichkeit in einigen Regionen Deutschlands zu über 30 Prozent hat, also Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen. Es hat eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung auch herausgefunden, dass die Verharmlosung des Nationalsozialismus und der Antisemitismus im Westen weiter verbreitet sind als im Osten. Das heißt, der gewalttätige Rechtsextremismus wohnt zwar nach wie vor eher in Ostdeutschland, aber der Westen hat überhaupt keinen Grund, sich da beruhigt zurückzulehnen.

Scholl: Neonazis wohnen in der Platte, irgendwo zwischen Rostock und Dresden, so zeichnen Sie dieses Klischee, in einem Buchkapitel "Populäre Irrtümer über Rechtsextremismus". Was wären denn andere Irrtümer, denen wir bislang erlegen sind?

Kraske: Ja, Sie haben es ja schon genannt. Also, dass Rechtsextremisten und Neonnazis immer in Springerstiefeln oder Bomberjacke auftreten, das wäre eins. Ein anderes ist, dass das ein Jugendphänomen wäre, womit also auch die anderen, die Älteren nichts zu tun haben. Ein weiterer Irrtum ist, dass das alles nur Deprivierte und Arbeitslose sind, die den Rechtsextremismus stark machen.

Nein, der Rechtsextremismus zieht tatsächlich in die Mitte. Er hat auch in einer verunsicherten Mitte viele Fürsprecher und viele, die um ihren Job fürchten, die um ihr Haus und um ihr Auto fürchten. Die suchen tatsächlich auch einfache Antworten. Für die sind Ausländer auch Gegner, und die versuchen sich mit einer Art nationalem Schutzschild zu schützen. Und das ist eine gefährliche Entwicklung, die man aber erst mal wahrnehmen muss.

Dass rechte Taten tatsächlich auch aus rechten Einstellungen resultieren, und dass es da einen Zusammenhang gibt, und dieser Zusammenhang wird nach den rechten Taten zu selten hergestellt. Da wird zu häufig argumentiert, diese Taten haben mit Alkohol zu tun. Sie sind vielleicht sogar das Ergebnis von Alkohol. Aber Alkohol ist bestenfalls ein Auslöser für rechte Gewalt.

Scholl: Ein anderes Beispiel, dass Rechtsextremismus also nicht aktiv, massiv und öffentlich bekämpft wird, zeigen Sie am Fußball. Das ist, glaube ich, ein schönes Beispiel, an dem man es auch verdeutlichen kann. Hier kommt es immer wieder zu Beleidigungen, Übergriffen auf ausländische Spieler. Es gibt eigentlich von der FIFA eine klare, weltweite Antirassismusvereinbarung, und der DFB hat sie unterschrieben. Als Sanktion gegen Vereine wird hier zum Beispiel als schärfste Maßnahme mit Punktabzug gedroht. Genau das aber macht der DFB Ihren Aussagen zufolge nicht. Eigentlich ein Unding, oder?

Kraske: Der Fußball ist für uns als Autoren als ganz wichtiges Beispiel gewesen, um eben mal zu zeigen, wie alltäglich wirklich Rassismus und auch übelster Antisemitismus in Deutschland geworden sind. Und er ist deswegen auch ein gutes Beispiel, weil der DFB tatsächlich, Sie haben das angesprochen, eigentlich gute Sanktionsmöglichkeiten in der Hand hätte. Ein Fan, dessen Verein für eine rassistische Pöbelei bestraft wird, nämlich mit Punktabzug, der steigt eventuell nicht auf, vielleicht steigt der sogar ab. Aber zu diesem Mittel greift der DFB nicht. Er windet sich da. Er versucht im Grunde genommen wirklich auch bei schwersten Vorkommnissen alles zu tun, um keine Punkte abziehen zu müssen.

Und das ist ein fatales Signal, das da gesetzt wird. Das könnten nämlich die Täter dann eben doch so deuten, dass eben rassistische Pöbeleien in Stadien doch Kavaliersdelikte sind. Und so gibt es wirklich Fälle, wir haben die aufgeschrieben, beispielsweise der Hallesche FC, die mehrfach einen schwarzen Spieler, den Adebowale Orungure, der damals noch bei Sachsen Leipzig spielte, aufs Übelste rassistisch beschimpft haben. Und wenn die nur mit Geldstrafen nachher bestraft werden, ist das wirklich zu wenig.

Scholl: Wie begründet der DFB eigentlich, dass er diese FIFA-Regelung nicht durchsetzt?

Kraske: Wir haben mit dem stellvertretenden DFB-Boss Georg Moldenhauer gesprochen. Und Moldenhauer begründet das, dass auf Punktabzug verzichtet wird, damit, dass er sagt, man würde damit im Grunde genommen die vielen ehrenamtlichen Helfer in den Vereinen bestrafen, die sich also jeden Sonntag an den Platz stellen, die als Ordner tätig sind etc. oder als Jugendtrainer auch. Das Argument ist natürlich nicht ganz von der Hand zu weisen, aber es ist wie in anderen Fällen mit dem Rechtsextremismus auch, es geht darum, welches ist die Priorität. Und wir haben bei unseren Recherchen ganz klar festgestellt, der DFB hat eine klare Priorität, und die sieht so aus, dass der Spielbetrieb nicht gestört werden soll. Und ein sauberer Sport, ein Sport ohne Rassismus, steht dann eben doch hinten an und ist eine Sache für Sonntagsreden und für Plakate, die ausgerollt werden.

Scholl: Ein besonders gefährdeter Ort, Herr Kraske, den Rechtsextreme zunehmend infiltrieren, ist der Schulhof, sind die Schulklassen. Wie sind hier Ihre Beobachtungen? Also in meiner Schulzeit, kann ich mich erinnern, war jedes irgendwie rechtsradikale Verhalten einfach "Bäh", also indiskutabel. Hat sich das geändert? Wird rechtes Gedankengut inzwischen schick oder cool?

Kraske: Wenn man mit den Leuten spricht, die regelmäßig in den Schulen zu Gast sind, und da gibt es sehr gute Sozialarbeiter, dann sagen die das genauso. Dann sagen die, wir treffen auch im Westen beispielsweise in fast jeder Klasse einen oder zwei wirklich Rechte oder auch Neonazis. Aber die sagen auch, das Problem ist in Ostdeutschland wirklich noch mal von anderer Qualität. Da haben Rechte oder Neonazis teilweise sogar die Meinungsführerschaft und verbieten Andersdenkenden sogar das Wort. Und das ist ein Zustand, den die Gesellschaft eigentlich nicht hinnehmen kann.

Scholl: Nun gibt es den Aufstand der Anständigen, den Sie bemängeln, doch vielleicht in Form von etlichen politischen, sozialen Aktivitäten. In den letzten Jahren hat sich ein Netzwerk von Verbänden gegründet, mobile Beratungsteams, die in den Gemeinden aufklären. Das hat die rot-grüne Regierung noch ins Werk gesetzt, und Familienministerin Ursula von der Leyen will jetzt eine andere, eher dezentrale Strategie aufbauen. Sie will solche Teams nur noch auf Anfrage der Kommunen schicken und auch zeitlich befristet. Was halten Sie von dieser Möglichkeit?

Kraske: Man muss sich das ganz praktisch vorstellen, was das denn heißt. Denn es klingt ja alles erst mal sehr gut. Von der Leyen kämpft gegen Links und Rechts und gegen islamistischen Extremismus. Aber de facto heißt das vor Ort, dass die Gegenspieler von den Neonazis, die seit Jahren aktiv sind, eigentlich entmachtet werden, und dass man ihnen die Bürgermeister vor die Nase setzt als Entscheidungsträger, die der Meinung sind, sie haben überhaupt kein rechtes Problem in ihren Dörfern. Und das ist wirklich fatal. Wir haben Dörfer besucht, wo es wirklich nur eine Handvoll von Leuten gibt, die sich den Neonazis in den Weg stellen, und die Leute muss man unterstützen. Da darf man nicht aufgrund von kleinlicher Parteipolitik wirklich das Gegenteil von dem tun, was man öffentlich behauptet.

Scholl: Es gibt bei einem solchen komplexen sozialen Problem natürlich keinen Königsweg der Lösung. Immer wieder kommt es in diesem Zusammenhang jedoch zur Forderung nach einem Verbot der NPD. Herr Kraske, nach Ihren Recherchen in der Szene: Ist das sinnvoll?

Kraske: Ich ganz persönlich bin der Meinung, man sollte dieses neue Verbotsverfahren sehr ernsthaft diskutieren. In der öffentlichen Diskussion ist es erschreckend, dass das NPD-Verbot immer nur taktisch diskutiert wird. Zunächst mal sollte man sich umgucken und angucken, wofür steht die Partei. Inhaltlich ist das kruder Rassismus, Antisemitismus. Das ist ein völkischer Nationalismus. Die wollen die parlamentarische Demokratie abschaffen.

Und man muss sich angucken, dass sie in den letzten Jahren die Zusammenarbeit mit der freien Kameradschaftsszene, die in Teilen sehr gewaltbereit ist, massiv ausgebaut haben. Da haben ehemals freie Kameraden bei der NPD auch Posten bekommen. Das heißt, die NPD hat eine weitere Radikalisierung in den letzten Jahren vorgenommen. Öffentlich stellen sich NPD-Funktionäre immer wieder an die Seite von Adolf Hitler oder von Rudolf Hess. Und die Demokratie sollte sich sehr ernsthaft fragen, ob sie eine solche Partei tatsächlich überhaupt akzeptieren und tolerieren kann.
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