Impfskepsis bei Afroamerikanern

Angst vor der Spritze

25:43 Minuten
Larry Green bekommt seine zweite Dosis 'Moderna', COVID-19 Impfung von einer Krankenschwester in einer Pop-up-Impfklinik in Los Angeles, Kalifornien, 12.03.2021.
Die Skepsis gegen eine Covid-Impfung ist historische gewachsen. Bevor sie sich impfen lassen, hätten viele Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen viele Fragen, sagt eine Ärztin. © AFP / Getty Images / Mario Tama
Von Arndt Peltner  · 19.05.2021
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Afroamerikaner werden in den USA seit jeher schlechter medizinisch versorgt als Weiße. Die Impfskepsis vieler Afroamerikaner hat aber auch mit der „Tuskegee-Syphilis-Studie” zu tun, bei der Menschen als Versuchsobjekt dienten.
Der International Boulevard, Ecke 100ste Straße. Her im Herzen von East Oakland hat die Ärztin Noha Aboleata die Roots Clinic gegründet, eine Einrichtung für die gesundheitliche Grundversorgung der "black and brown community", der Afroamerikaner und Latinos. An der Ecke ein weithin nach Fett riechendes Fast Food-Restaurant, gegenüber ein Tätowierladen, daneben ein Corner Store und ein Bestattungsinstitut.
Als Covid nach Oakland kam, richtete die Stadt und der Bezirk Alameda Testmöglichkeiten für Autofahrer ein, man konnte im Auto bleiben, bekam dort einen Abstrich. Doch Aboleata merkte schnell, dass ihre Klientel mit diesem Angebot nicht erreicht wird. In East-Oakland besitzen viele Menschen keinen Wagen, das Geld fehlt dafür, sie konnten sich deshalb nicht testen lassen.


"Wir haben schon früh erkannt, dass Bauarbeiter sich sehr oft anstecken. Daraufhin haben wir Baufirmen kontaktiert und die über die Schutzmaßnahmen aufgeklärt. Ein anderes Beispiel war, dass sich viele beim ´Carpooling`, beim Mitfahren im Auto ansteckten. Wir haben also den Leuten klargemacht, dass Covid nicht um 17 Uhr aufhört. Alle trugen ihre Masken am Arbeitsplatz und nahmen sie dann aber im Auto ab, wenn sie mit ihren Kollegen nach Hause fuhren", sagt Noha Aboleata.

Hohe Infektionsraten in afroamerikanischen Communities

Die "Roots Klinik" reagierte schnell und einfach auf die Nachfrage nach Tests. Auf dem Klinik-eigenen Parkplatz wurden Testzelte aufgestellt, die fußläufig zu erreichen waren. Das Ergebnis war schockierend, wie die Ärztin und Aktivistin vor fast einem Jahr erklärte.
Von 1400 Tests fielen mehr als zwölf Prozent positiv aus. Nur wenige Kilometer weiter östlich, in den Oakland Hills, einer wohlhabenderen Gegend, lag die Infektionsrate gerade mal bei vier Prozent, im gesamten Bezirk bei fünf Prozent. In Alameda County, dem Bezirk, in dem Oakland liegt, machen Afroamerikaner nur zehn Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Doch 23 Prozent der Corona-Todesfälle im Bezirk sind Schwarze.
"Es gab Leute, die sofort bereit waren, sich impfen zu lassen, als der Impfstoff kam. Sie kannten uns, sie vertrauten uns. Andere wiederum waren hin- und hergerissen und verlangten mehr Informationen. Damit haben wir viel Zeit verbracht, Gruppenbesprechungen, direkte Telefonanrufe, um so all die Fragen zu beantworten.
Das waren ganz legitime Fragen und Sorgen. Aber es gibt natürlich auch jene, die noch immer erklären, sie wollen sich nicht impfen lassen. Was uns aber auffällt, ist, dass sich immer mehr impfen lassen, wenn sie sehen, dass Familienmitglieder das Vakzin erhalten und nichts Schlimmes danach passiert. Und sie erkennen auch, dass es damit eine gewisse Erleichterung gibt, diesen Schutz zu haben."
Tuskegee Syphilis Study participant being X-rayed, circa 1932. The Tuskegee Syphilis Study was carried out in Macon County, Alabama, USA, from 1932 to 1972 by the United States Public Health Service. Its objective was to study the natural course of untreated syphilis. The study recruited 600 poor African-Americans, 399 of whom had syphilis. Participants were not told their diagnosis and were only treated with placebos, even after penicillin was found to be an effective treatment for the disease. Of the original participants, 28 died as a result of syphilis and a further 100 of complications of the disease, 40 wives were infected and 19 children born with congenital syphilis. Condemnation of the study lead to congressional acts and laws that regulated human clinical trials, ensured informed consent and protected participants.
Teilnehmer und Ärzte des "Tuskegee Syphilis Experiments" in den USA, ca. 1932.© akg-images / Science Photo Library
Das Misstrauen in der afroamerikanischen Community gegenüber dem Gesundheitssystem und damit auch gegenüber den Covid-Impfungen sei groß, hört man in diesen Tagen immer wieder. Und das hat historische Gründe. Allen voran die sogenannte "Tuskegee-Syphilis-Studie", eine Testreihe, die zwischen 1932 bis 1972 die langfristigen Auswirkungen von unbehandelter Syphilis erforschen sollte. Und zwar an Afroamerikanern.
Den 600 Probanden war eine kostenlose medizinische und von staatlicher Seite finanzierte Betreuung während der Studien zugesichert worden. Der Skandal war, dass diese allerdings ausblieb. Die Behandlung erfolgte selbst dann nicht, als 1947 längst bekannt war, dass einfaches Penicillin die Krankheit heilen würde. 40 Jahre nach Beginn der Studie wurde sie schließlich 1972 ausgesetzt. Es dauerte 25 weitere Jahre, bis der damalige Präsident Bill Clinton sich offiziell für diesen skandalösen Menschenversuch entschuldigte.

Die Nachwirkungen von Tuskegee

"Das ist etwas, was viele in der schwarzen Community seit Jahren wissen. Das hat die Haltung vieler Afroamerikaner in Bezug auf medizinische Forschung und Medizin im Allgemeinen geprägt", sagt Dr. Howard Pinderhughes, Professor und Leiter des Instituts für Sozial- und Verhaltensforschung an der University of California San Francisco.
"Ich habe davon als Junge, 1970/72, zum ersten Mal gehört, da war ich so 13 Jahre alt. Damals eröffnete die Black Panther Partei ihre kostenfreien Gesundheitskliniken und betrieb Aufklärung. Dabei ging es auch immer wieder um Tuskegee. Das hat zu Skepsis und Misstrauen gegenüber dem Gesundheitswesen geführt. Aber es geht nicht nur um Tuskegee, es ist bekannt, dass Pharmaunternehmen in der Vergangenheit auch Medikamente an der eher armen und schwarzen Bevölkerung getestet haben."
"Ich habe die Roots Clinic gerade aus dem Grund gegründet, etwas gegen das Misstrauen zu tun. Ein großer Teil unserer Arbeit ist es, genau das zu überwinden, um den Leuten Zugang zu den Angeboten zu verschaffen, die sie brauchen. Aber das ist noch immer tief verwurzelt in der Community, dass man lieber nichts mit dem System zu tun haben will, denn man könne ihm ja nicht trauen. Man könnte schlecht behandelt werden, so die Argumentation. Oft warten die Leute dann so lange, bis es gar nicht mehr anders geht.
Man muss auch sagen, dass vor der Gesundheitsreform von Präsident Obama viele überhaupt keine Möglichkeiten hatten. Sie konnten überhaupt keine Krankenversicherung und damit auch keine Gesundheitsversorgung bekommen. Ich hatte immer wieder Patienten, die mir erklärten, dass sie eigentlich nur im Gefängnis eine Krankenversorgung erhalten könnten, denn das ist in den USA der einzige Ort, an dem man gesetzlich im Krankheitsfall behandelt werden muss. Das ist bekannt in unserer ´Community`", sagt Noha Aboleata.

Das Gesundheitswesen ist rassistisch

Tuskegee, eine Kleinstadt mit etwa 10.000 Einwohnern im Südosten von Alabama. Professor Rueben Warren ist Direktor des "National Center for Bioethics in Research and Health Care" an der University in Tuskegee, Alabama. An dieser traditionell afroamerikanischen Universität wurden damals die fragwürdigen wissenschaftlichen Syphilisuntersuchungen von weißen Wissenschaftlern durchgeführt. Für Professor Warren ist klar, dass man das Misstrauen und die Skepsis nicht nur auf eine jahrzehntelang durchgeführte Testreihe an Afroamerikanern festmachen kann. Vielmehr ist das Gesundheitssystem an sich in den USA alles andere als fair und für jeden gleich:
"1985 hat das Gesundheitsministerium in Washington eine Studie zur Gesundheitslage der Schwarzen und Minderheitenbevölkerung veröffentlicht. Darin heißt es, dass 60.000 Afroamerikaner vermeidbar mehr gestorben sind im Vergleich zu nicht-hispanischen Weißen, unabhängig von Alter, Geschlecht, Einkommen. Das war 1985, 60.000 mehr Tote. 2005 wurde dieselbe Studie durchgeführt und die Rate stieg von 60.000 auf 83.000 vermeidbare Todeszahlen.
Die Unterschiede im Gesundheitswesen, die unverhältnismäßigen Auswirkungen auf Afroamerikaner wurden nicht angegangen. Das spiegelt also wider, was derzeit passiert. Seitdem die US-Regierung den Gesundheitszustand der Population dokumentiert, gibt es dieses Missverhältnis zwischen Afroamerikanern und Nicht-Hispanic-Weißen. Das ist nichts Neues und taucht immer wieder auf. Für viele ist die Tuskegee-Syphilis-Studie deshalb eine Metapher", sagt Rueben Warren.
Auch Howard Pinderhughes, Professor an der University of California in San Francisco und selbst Afroamerikaner hat diesen tief verwurzelten Rassismus immer wieder erlebt. Tuskegee ist ein Sinnbild für den amerikanischen Zustand, der mit der Black Lives Matter Bewegung nun ganz breit und schonungslos offen diskutiert wird.

Das Misstrauen hat einen Grund

"Das ist ein Dauerzustand. Tuskegee war das ungeheuerlichste und berüchtigtste von allem, was passiert ist. Aber, wenn man mit Tuskegee beginnt und sich der Ungleichheit und der Unterversorgung im Gesundheitswesen allgemein zuwendet, der mangelhaften oder gar nicht existierenden Versorgung in ärmeren Gegenden. Es gibt viele Gründe dafür, warum Afroamerikaner misstrauisch und skeptisch gegenüber dem medizinischen System sind", sagt Howard Pinderhughes.
Einer ist, dass Afroamerikaner auch in Sachen Gesundheitsvorsorge systematisch vernachlässigt werden, und das, obwohl die Probleme offensichtlich sind.
"Man kann das alles eigentlich so verstehen. Wenn man ein Jahr zurückdenkt, als Covid begann, da gab es diese allgemeine Überzeugung, dass Covid keine Unterschiede macht, denn alle Leute sind davon betroffen und können davon krank werden. Aber umso länger die Pandemie andauerte, wurde es immer klarer, wer mehr krank wurde und wer höhere Sterberaten hatte. Und das waren die schwarzen und braunen Bevölkerungsgruppen. Und das führte wieder dazu, dieselben Fragen zu stellen, warum trifft es zu weitaus höheren Zahlen bei Erkrankung und Tod Schwarze, Latinos und ´Native Americans`?"
Für den Sozialwissenschaftler Howard Pinderhughes von der University of California in San Francisco begann nach dem Mord an George Floyd am 25. Mai 2020, nur wenige Monate nach Ausbruch der Covid-Pandemie, ein Wachrütteln in der afroamerikanischen Community. Es ging mit dem Ruf "Black Lives Matter" zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr nur um Polizeigewalt.
"Sondern es weitete sich auch auf andere Systeme des institutionalisierten Rassismus und der strukturellen Gewalt aus. Covid wurde in den Kontext des institutionalisierten medizinischen Rassismus gestellt, bei dem Tuskegee das entsetzlichste Beispiel war, aber bei dem man noch heute auf Dinge zeigen kann. Da wurden Geschichten bekannt, in denen Menschen diskriminierend behandelt wurden, als sie mit Covid in Krankenhäuser gebracht wurden. Da ist zum Beispiel der Fall einer Ärztin, die auf Instagram ein Video veröffentlichte, in dem sie beschreibt, wie sie schlechter behandelt wurde, weil sie Afroamerikanerin ist."

Diskriminierung bei der Behandlung von Covid

Der Fall der 52-jährigen Ärztin Susan Moore, die dieses Video veröffentlichte und kurz darauf an Komplikationen durch ihre Covid-Erkrankung starb, schlug hohe Wellen. Dr. Moore wurde am 29. November positiv auf das Coronavirus getestet und am 4. Dezember mit Atemproblemen in ein Krankenhaus in Indiana eingewiesen. Dort untersuchte sie ein weißer Arzt, der erklärte, sie habe keine Atemprobleme und der sich weigerte, ihr Medikamente zu verschreiben, sie vielmehr als drogensüchtig hinstellte.
Susan Moore wurde frühzeitig entlassen, ihr Zustand verschlimmerte sich und nur wenige Tage später verstarb sie an den Folgen der Infektion. Solche Beispiele gibt es zuhauf. Aber auch die erhöhten Ansteckungszahlen in East Oakland machen deutlich, dass die USA auch fast 50 Jahre nach dem Ende der "Tuskegee Syphilis Study" noch immer mit einem tief verwurzelten Rassismus gerade im Gesundheitswesen, zu kämpfen haben, dessen Auswirkungen das tagtägliche Leben in den "black and brown" Nachbarschaften zu spüren sind.
Für die Ärztin und Leiterin der Roots Nachbarschaftsklinik in East Oakland, Dr. Noha Aboleata, ist klar, dass sie in dieser Gesundheitskrise nicht auf Hilfe von außen warten konnte und warten wollte. Sie hat über die Jahre an der "Frontline" East-Oakland gelernt, dass ihre Community selbst handeln muss:
"Wir machen manchmal Witze darüber, dass keiner kommt, um uns zu retten. Wir müssen uns selbst helfen. Zumindest sicherstellen, dass wir für unsere Community den Zugang zu den effektivsten Impfstoffen garantieren können. Und natürlich waren die ersten Impfstoffe die, die einen Spezialgefrierschrank benötigten, also haben wir diese Investition getätigt. Wir wollten uns von Anfang an richtig positionieren und planen und nicht abwarten, was wir bekommen würden", sagt Noha Aboleata.

Eigentlich ist Impfskepsis ein weißes Thema

In der öffentlichen Debatte über die Covid-Impfungen wird immer wieder angeführt, dass die "black and brown communities" skeptisch und misstrauisch seien, dass sich zwischen 20 und 30 Prozent weniger impfen lassen wollen, als vergleichsweise weiße Amerikanerinnen und Amerikaner. Es geht um Vertrauen, das betont Noha Aboleata immer wieder. Sie weiß, wie wichtig es ist, vor Ort zu sein, die Probleme zu kennen und auch da zu bleiben, wenn eine Krise vorbei ist.
"Unsere Postleitzahl hat die niedrigste Impfrate und mit die höchste Infektionsrate. Was mich ein bisschen besorgt, ist diese Einteilung in: Entweder man lässt sich impfen oder man ist impfzögerlich. Dieses Label der Impfvoreingenommenheit hat mich von Anfang an genervt. Denn es trifft einfach nicht genau zu. Ich glaube, die Leute sind vorsichtig. Sie haben Fragen. Und man sollte nicht vergessen, dass vor Covid, vor allem Weiße gegen Impfungen ihrer Kinder waren.
Um es ganz genau zu sagen, ich habe noch nie ein ´person of color` erlebt, die Impfungen ablehnt. Diese Ansicht also, dass Afroamerikaner gegen Impfungen seien oder Vorbehalte haben, führt nur dazu, dass man erneut die afroamerikanische Community beschuldigt:` Wir haben ja versucht es ihnen zu geben, aber sie wollten es nicht.` So in etwa. Und das verfehlt total das Problem und ist alles andere als hilfreich", sagt Noha Aboleata.
Für Professor Rueben Warren von der Tuskegee University gibt es in dieser Krise durchaus auch Hoffnung darauf, dass sich dieses rassistische System noch ändern lässt:
"Wenn man mehr über die Erfahrungen der Afroamerikaner in den Vereinigten Staaten liest und erfährt, dann muss man hoffnungsvoll sein. Ein konkretes Beispiel, die Anzahl der Studierenden in Tuskegee, die als erste in ihrer Familie überhaupt studieren ist sehr hoch. Das bedeutet Hoffnung und Zuversicht, dass die Dinge besser werden. Das heißt nicht, dass es Gerechtigkeit und Gleichheit gibt. Aber man muss erkennen, dass man auf dem richtigen Weg dahin ist. Und das glaube ich."
Howard Pinderhughes von der UC San Francisco ergänzt:
"Die Antwort ist – abwarten. An dem Punkt sind wir jetzt, wie weit wollen wir gehen, wie wollen wir diese Fragen beantworten? Werden wir wirklich einen Wandel im System angehen oder wird es nur kleine Veränderungen geben, nach dem Motto, wir haben ja was gemacht, die aber die grundlegenden Beziehungen und den fundamentalen Aspekt der Unterdrückung von Afroamerikanern im System unverändert lassen."
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