Imperialismus-Vorwurf und Ukrainekrieg

Olaf Scholz auf der Suche nach neuen Verbündeten

09:30 Minuten
Bundeskanzler Olaf Scholz steht an einem Rednerpult, auf der Trennwand zum Publikum ist das goldene Wappen der Vereinten Nationen zu sehen.
Gemeinsam gegen einen neuen Imperialismus? Kanzler Scholz warb bei den Vereinten Nationen um Verbündete im Konflikt mit Russland. © picture alliance / dpa / Michael Kappeler
Moderation: Korbinian Frenzel · 21.09.2022
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Bundeskanzler Olaf Scholz wirft Russland "blanken Imperialismus" vor. Der Begriff zielt auch auf eine Allianz mit Ländern des globalen Südens. Viele von ihnen haben sich bisher nicht klar zum Krieg in der Ukraine positioniert.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat dem russischen Präsidenten Putin in einer Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York "blanken Imperialismus" vorgeworfen. Damit setzt er in der Debatte um den Ukrainekrieg auf einen ambivalenten Begriff, der auch von der politischen Linken verwendet wurde, um die Außenpolitik der USA zu kritisieren.

Worauf zielt der Imperialismus-Vorwurf?

In seiner Rede hat Scholz den russischen Krieg gegen die Ukraine scharf kritisiert. "Dafür gibt es nur ein Wort: Das ist blanker Imperialismus", so der Bundeskanzler. "Die Rückkehr des Imperialismus ist nicht nur ein Desaster für Europa. Darin liegt ein Desaster auch für unsere globale Friedensordnung, die die Antithese ist zu Imperialismus und Neokolonialismus."
Damit verwende Scholz den Begriff Imperialismus, wie er im 19. Jahrhundert verstanden worden sei, sagt Hans Dieter Heimendahl, Kulturkoordinator des Deutschlandradios. Es gehe um die gewaltsame Durchsetzung territorialer Interessen, um die Erweiterung des eigenen Staatsgebietes.
In den letzten Jahrzehnten sei "Imperialismus" in Deutschland eher ein Kampfbegriff der politischen Linken gewesen, um die Außenwirtschaftspolitik der USA zu kritisieren, so Heimendahl. Scholz hingegen bringe den Begriff nun als Gegenpol zu all dem ins Spiel, wofür die Vereinten Nationen nach seinem Verständnis stehen: Solidarität, gemeinsame Werte und die Übernahme von Verantwortung.

Welche Absichten verfolgt Kanzler Scholz damit?

Indem er den Auftrag der Vereinten Nationen in seiner Rede stark mache, werbe Scholz einerseits für einen ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat, sagt Heimendahl. Andererseits wende Scholz sich damit auch gezielt an Länder des globalen Südens, die sich zum Krieg Russlands gegen die Ukraine bisher nicht eindeutig positioniert haben.
Das der Kanzler die Friedensordnung der UN als "Antithese zu Imperialismus und Neokolonialismus" definiere, deute darauf hin, dass er durch die Wahl der Begriffe eine Gemeinsamkeit mit denjenigen Ländern herstellen wolle, die Erinnerungen an eigene Erfahrungen mit der Kolonisierung durch Länder des Westens haben, sagt der Journalist.

Wie ist die Perspektive des globalen Südens?

Viele Schwellenländer in Afrika, Asien und Südamerika zögern nicht von ungefähr, Russland für den Krieg in der Ukraine so klar zu verurteilen wie der Westen das tut. Werden sie doch von verschiedenen Mächten dieser Welt als Bündnis- und Handelspartner umworben, inklusive Militärhilfe. Westlich orientierte Demokratien ringen auf diese Weise mit China und Russland um Einfluss.
Zudem rücken die historischen Erfahrungen mit Imperialismus und Kolonialismus im globalen Süden das aktuelle Geschehen in eine andere Perspektive. Kritiker wie der indische Publizist Pankaj Mishra sind der Auffassung, dass der Westen seine Werte mit imperialer Arroganz in die Welt trägt und das Erbe kolonialer Ausbeutung damit verschleiere.
Aus vielen Ländern des Südens ist zu hören, der Krieg in der Ukraine sei ein Regionalkonflikt, um den sich vorrangig der Westen kümmern sollte. Man selbst sieht sich in einer anderen Rolle.
Auf der Generalversammlung der UN nahm auch Senegals Präsident Macky Sall, der zugleich Vorsitzender der Afrikanischen Union ist, Bezug auf den Ukrainekrieg: "Ich rufe dazu auf, eine hochrangige Vermittlungsmission einzusetzen, und die Afrikanische Union steht bereit, dazu beizutragen", sagte Sall.
Die Rolle eines Vermittlers wurde in der internationalen Politik bisher eher dem Westen zugeschrieben - wenn es zum Beispiel darum ging, den Blick auf Konflikte in Afrika zu richten. Dass künftig auch ein Staatenbund wie die Afrikanische Union diese Aufgabe übernimmt, sei wünschenswert, meint Hans Heimendahl. Dem Anspruch auf Gleichwertigkeit in der UN würde dies allemal gerecht werden, zumal "gerade diejenigen, die keine eigenen Interessen und keine eigene Betroffenheit in diesem Konflikt haben, eine höhere Glaubwürdigkeit als Vermittler hätten".

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