Im Namen der sozialen Gerechtigkeit
Kein Wirtschaften ohne Moral, keine Politik ohne innere Werte - von diesen Grundsätzen lassen sich die Autoren von "Europa als Leuchtturm?" leiten. Der Ex- Präsident Portugals, Mário Soares; und der ehemalige Generaldirektor der UNESCO, Federico Mayor Zaragoza, plädieren dafür, die Globalisierung zu bändigen und sozialer zu gestalten.
Wie erklärt man eigentlich Europa? Erschöpfen wir uns in einer geografischen Definition? Betrachten wir das stetig wachsende Gebilde aus nunmehr 27 Mitgliedsländern aus wirtschaftlicher Sicht? Oder gibt es so etwas wie eine historische, kulturelle und politische Idee, der wir uns mehr als nur verpflichtet fühlen?
Fragen, die der ehemalige portugiesische Präsident Mário Soares und der Spanier Federico Mayor Zaragoza, ehemaliger Generaldirektor der UNESCO, in ihrem gemeinsamen Buch "Europa als Leuchtturm" debattieren. In Dialogform äußern sie sich nicht nur zu den wichtigsten gemeinsamen Grundlagen der spanischen und portugiesischen Vergangenheit, sie widmen sich auch den aktuellen Probleme der EU, sprechen über die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, und über die Bekämpfung der Armut und der Umweltkrise.
Mario Soares, Mitbegründer der Sozialistischen Partei Portugals und Verfechter einer sozialen Globalisierung, begegnet dem gegenwärtigen Kurs Europas mit Unbehagen.
Mário Soares: "Im Moment ist Europa gelähmt. Es ist überhaupt nicht interessant, und es hat keinerlei Visionen. Ich hoffe allerdings, dass es sich wieder erholen wird und in Zukunft wieder als politisches und als Friedensprojekt ernst genommen wird. Denn das ist letztendlich, worum es bei der Idee Europa geht."
Die Idee Europa. Für Soares weit mehr als eine politische Verpflichtung. Mehr, als nur ein Wirtschaftsverbund, eine machtpolitische Allianz, ein Pol in einer neuen Weltordnung.
Das, was Europa, seine Bewohner und sein großes politisches Projekt, die Europäische Union, symbolisiert, erfuhren wir jüngst eher von der anderen Seite des Atlantiks. Robert Kagan, Berater der Republikaner, sprach zum Beispiel davon, dass die Europäer von der Venus und die Amerikaner vom Mars seien. Sein Kollege Jeremy Rifkin gar von einem "Europäischen Traum": Von der EU als ökologische "Soft Power". Doch hat die EU wirklich die Kraft, Macht und Moral zu verbinden?
Ja, sagt Mário Soares und fordert, das europäische Sozialmodell als einen Wert an sich zu verteidigen, gerade weil es dem Rest der Welt als Vorbild dienen könnte.
"Die Globalisierung erweist sich in ihren negativen Konsequenzen als immer chaotischer und ist nicht imstande, die Probleme der weltweiten Armut zu lösen, sowie der sozialen Ausgrenzung, des Trinkwassermangels für abertausende von Menschen, des Anspruchs auf eine ausgeglichene Ernährung, auf Erziehung und Information. Sie ist nicht in der Lage, die Menschen von ihrer Angst vor der Zukunft zu befreien, vor Gewaltanwendung, vor der Ausbeutung von Menschen durch Menschen, vor schon fast besiegten Krankheiten wie Malaria oder Tuberkulose, die sich wieder ausbreiten wie Panepidemien wie Aids."
Die Politik solle die Wirtschaft lenken und nicht die Wirtschaft die Politik. Und so fordert der Altlinke Soares Europa dazu auf, die Globalisierung zu bändigen und im Sinne der Bürger sozialer zu gestalten. Das politische Europa als soziales Projekt?
Mário Soares: "Wenn Europa endlich Autonomie von den USA gewinnt, was nicht heißt, dass es nicht kooperiert - wenn es aber wieder zu seinen ursprünglichen Idealen des Friedens und der Solidarität zurück findet und wenn Europa wieder ein soziales und politisches Projekt auf die Beine stellt, dann kann es wirklich wieder ein 'Leuchtturm'- ein Vorbild für die ganze Welt werden."
Doch wie sehr kann ein solcher Leuchtturm global strahlen, wenn er nicht mal Licht in die Finsternis seiner eigenen Nachbarländer bringt? Und wie sehr kann die Friedensmacht Europa auch vor der eigenen Haustür für Befriedung sorgen? Der Kaukasus-Konflikt und das sich rüde gebärende Russland lassen daran starke Zweifel aufkommen.
Werden es nicht letztlich die Amerikaner sein, die mittels ihrer militärischen Macht Druck ausüben, während der diplomatische Tross aus Brüssel erst dann anreist, wenn, wie in Georgien, bereits Fakten geschaffen wurden? Findet Brüssel überhaupt Gehör?
Laut Soares wird Europa gehört, aber es fehlt noch an Gewicht, an Durchsetzungsvermögen. Europa sollte als politisches, soziales und kulturelles Projekt überzeugen. Einen Raum für Freiheit, Wohlstand und Gleichheit bieten. Das ist aus seiner Sicht bisher jedoch noch lange nicht erreicht. Der Attraktivität für potenzielle Neumitglieder hat dies jedoch keinen Abbruch getan - im Gegenteil. Was also sagt der ehemalige Präsident Portugals zur EU-Erweiterung? Wie viele Staaten kann das Gebilde Europa aus nunmehr 27 Mitgliedern noch verkraften? Wer darf noch beitreten und wo werden die Grenzen gezogen?
Mário Soares: "Das ist ein schwieriges Problem. Ich bin ein zutiefst überzeugter Europäer und zugleich ein überzeugter Föderalist. Und ich hätte es wirklich gerne, dass die EU eine Föderation wird, dass sie eine Regierung bekommt mit einer überzeugenden Struktur und einer starken Verteidigung. Doch derzeit ist das höchst problematisch, da die Grenzen abzusehen. Ich bin zum Beispiel auch dafür, dass die Türkei in die EU aufgenommen wird, wenn sie unsere Werte akzeptiert."
Wer sich von dem Dialog zweier ehemaliger Politiker konkrete Antworten auf Europas kriselnde politische Agenda erhofft hat, wird enttäuscht: So bleibt etwa die Frage der Realisierung einer zukunftsfähigen Agrar- und Energiepolitik weitestgehend unbeantwortet, ebenso die Frage nach dem Für und Wider einer eigenständigen europäischen Armee.
Doch was Soares und Zaragoza zweifelsohne gelingt, ist ein Denkanstoß in die richtige Richtung. Kein Wirtschaften ohne Moral, keine Politik ohne innere Werte. Das mag altbacken klingen und ist sicher kein kühner Schritt nach vorn. Doch die Vorstellung, der unregulierten Macht des Kapitals etwas entgegenzusetzten, was uns abhanden gekommen zu sein scheint, nämlich Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, ist wohl so aktuell wie kaum zuvor.
Mário Soares, Federico Mayor Zaragoza: Europa als Leuchtturm?
Ein iberischer Dialog im europäischen und weltweiten Rahmen
Aus dem Spanischen übersetzt von Ursula Barta
Club Bertelsmann, Berlin, 2008
Fragen, die der ehemalige portugiesische Präsident Mário Soares und der Spanier Federico Mayor Zaragoza, ehemaliger Generaldirektor der UNESCO, in ihrem gemeinsamen Buch "Europa als Leuchtturm" debattieren. In Dialogform äußern sie sich nicht nur zu den wichtigsten gemeinsamen Grundlagen der spanischen und portugiesischen Vergangenheit, sie widmen sich auch den aktuellen Probleme der EU, sprechen über die Außenpolitik der Vereinigten Staaten, und über die Bekämpfung der Armut und der Umweltkrise.
Mario Soares, Mitbegründer der Sozialistischen Partei Portugals und Verfechter einer sozialen Globalisierung, begegnet dem gegenwärtigen Kurs Europas mit Unbehagen.
Mário Soares: "Im Moment ist Europa gelähmt. Es ist überhaupt nicht interessant, und es hat keinerlei Visionen. Ich hoffe allerdings, dass es sich wieder erholen wird und in Zukunft wieder als politisches und als Friedensprojekt ernst genommen wird. Denn das ist letztendlich, worum es bei der Idee Europa geht."
Die Idee Europa. Für Soares weit mehr als eine politische Verpflichtung. Mehr, als nur ein Wirtschaftsverbund, eine machtpolitische Allianz, ein Pol in einer neuen Weltordnung.
Das, was Europa, seine Bewohner und sein großes politisches Projekt, die Europäische Union, symbolisiert, erfuhren wir jüngst eher von der anderen Seite des Atlantiks. Robert Kagan, Berater der Republikaner, sprach zum Beispiel davon, dass die Europäer von der Venus und die Amerikaner vom Mars seien. Sein Kollege Jeremy Rifkin gar von einem "Europäischen Traum": Von der EU als ökologische "Soft Power". Doch hat die EU wirklich die Kraft, Macht und Moral zu verbinden?
Ja, sagt Mário Soares und fordert, das europäische Sozialmodell als einen Wert an sich zu verteidigen, gerade weil es dem Rest der Welt als Vorbild dienen könnte.
"Die Globalisierung erweist sich in ihren negativen Konsequenzen als immer chaotischer und ist nicht imstande, die Probleme der weltweiten Armut zu lösen, sowie der sozialen Ausgrenzung, des Trinkwassermangels für abertausende von Menschen, des Anspruchs auf eine ausgeglichene Ernährung, auf Erziehung und Information. Sie ist nicht in der Lage, die Menschen von ihrer Angst vor der Zukunft zu befreien, vor Gewaltanwendung, vor der Ausbeutung von Menschen durch Menschen, vor schon fast besiegten Krankheiten wie Malaria oder Tuberkulose, die sich wieder ausbreiten wie Panepidemien wie Aids."
Die Politik solle die Wirtschaft lenken und nicht die Wirtschaft die Politik. Und so fordert der Altlinke Soares Europa dazu auf, die Globalisierung zu bändigen und im Sinne der Bürger sozialer zu gestalten. Das politische Europa als soziales Projekt?
Mário Soares: "Wenn Europa endlich Autonomie von den USA gewinnt, was nicht heißt, dass es nicht kooperiert - wenn es aber wieder zu seinen ursprünglichen Idealen des Friedens und der Solidarität zurück findet und wenn Europa wieder ein soziales und politisches Projekt auf die Beine stellt, dann kann es wirklich wieder ein 'Leuchtturm'- ein Vorbild für die ganze Welt werden."
Doch wie sehr kann ein solcher Leuchtturm global strahlen, wenn er nicht mal Licht in die Finsternis seiner eigenen Nachbarländer bringt? Und wie sehr kann die Friedensmacht Europa auch vor der eigenen Haustür für Befriedung sorgen? Der Kaukasus-Konflikt und das sich rüde gebärende Russland lassen daran starke Zweifel aufkommen.
Werden es nicht letztlich die Amerikaner sein, die mittels ihrer militärischen Macht Druck ausüben, während der diplomatische Tross aus Brüssel erst dann anreist, wenn, wie in Georgien, bereits Fakten geschaffen wurden? Findet Brüssel überhaupt Gehör?
Laut Soares wird Europa gehört, aber es fehlt noch an Gewicht, an Durchsetzungsvermögen. Europa sollte als politisches, soziales und kulturelles Projekt überzeugen. Einen Raum für Freiheit, Wohlstand und Gleichheit bieten. Das ist aus seiner Sicht bisher jedoch noch lange nicht erreicht. Der Attraktivität für potenzielle Neumitglieder hat dies jedoch keinen Abbruch getan - im Gegenteil. Was also sagt der ehemalige Präsident Portugals zur EU-Erweiterung? Wie viele Staaten kann das Gebilde Europa aus nunmehr 27 Mitgliedern noch verkraften? Wer darf noch beitreten und wo werden die Grenzen gezogen?
Mário Soares: "Das ist ein schwieriges Problem. Ich bin ein zutiefst überzeugter Europäer und zugleich ein überzeugter Föderalist. Und ich hätte es wirklich gerne, dass die EU eine Föderation wird, dass sie eine Regierung bekommt mit einer überzeugenden Struktur und einer starken Verteidigung. Doch derzeit ist das höchst problematisch, da die Grenzen abzusehen. Ich bin zum Beispiel auch dafür, dass die Türkei in die EU aufgenommen wird, wenn sie unsere Werte akzeptiert."
Wer sich von dem Dialog zweier ehemaliger Politiker konkrete Antworten auf Europas kriselnde politische Agenda erhofft hat, wird enttäuscht: So bleibt etwa die Frage der Realisierung einer zukunftsfähigen Agrar- und Energiepolitik weitestgehend unbeantwortet, ebenso die Frage nach dem Für und Wider einer eigenständigen europäischen Armee.
Doch was Soares und Zaragoza zweifelsohne gelingt, ist ein Denkanstoß in die richtige Richtung. Kein Wirtschaften ohne Moral, keine Politik ohne innere Werte. Das mag altbacken klingen und ist sicher kein kühner Schritt nach vorn. Doch die Vorstellung, der unregulierten Macht des Kapitals etwas entgegenzusetzten, was uns abhanden gekommen zu sein scheint, nämlich Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, ist wohl so aktuell wie kaum zuvor.
Mário Soares, Federico Mayor Zaragoza: Europa als Leuchtturm?
Ein iberischer Dialog im europäischen und weltweiten Rahmen
Aus dem Spanischen übersetzt von Ursula Barta
Club Bertelsmann, Berlin, 2008

Mário Soares, Federico Mayor Zaragoza: "Europa als Leuchtturm?"© Club Bertelsmann