Im Dienst der Stasi
Die Staatssicherheit der DDR verfügte über ein Heer von Informanten und Zuträgern. Die meisten von ihnen verleugneten nach dem Untergang des SED-Regimes ihre Tätigkeit im Dienst der Stasi. Gegenüber Christhard Läpple brachen einigen von ihnen nun ihr Schweigen. In "Verrat verjährt nicht" geben die anonymen Zuträger Auskunft darüber, weshalb sie auch ihre engsten Freunde und Familienangehörigen verrieten.
Einen erschreckenden Aspekt deutscher Realitätsflucht entdeckte Hannah Arendt anlässlich ihres ersten Deutschlandbesuches nach dem Zweiten Weltkrieg "in der Haltung, mit Tatsachen so umzugehen, als handele es sich um bloße Meinungen". Sie führte dies auf die Nachwirkungen der totalitären Propaganda zurück, die nicht einfach nur Lügen verbreitete, wie sie auch demokratische Politiker im Notfall schon mal aus der Tasche ziehen. Die totalitäre Propaganda leugne ständig den Wert von Tatsachen überhaupt. "Alle Fakten können verändert und alle Lügen wahrgemacht werden", bemerkte Arendt. Der Unwille, zwischen Tatsachen und Meinungen zu unterscheiden, prägt heute viele Auseinandersetzungen über die Verstrickung ganz normaler netter DDR-Bürger in das Spitzelsystem des Staatssicherheitsdienstes. Nichts Neues in Deutschland also, das man sich nicht mehr erinnern will, wenn es um die eigene Rolle im Unrechtssystem geht. Stasi-Offiziere schlagen die Türen zu, wenn sie nach ihrer Tätigkeit in der DDR befragt werden und ihre ehemaligen Spitzel leugnen stur bis zum Beweis des Gegenteils und meistens sogar darüber hinaus.
Für einen Dokumentarfilm über Stasi-Maßnahmen gegen das Zweite Deutsche Fernsehen arbeitete sich Christhard Läpple durch mehrere tausend Stasi-Akten, darunter auch die Überlieferungen von 235 landläufigen Stasi-Spitzeln. Mehr als ein halbe Million dieser Denunzianten gab es zwischen 1949 und 1989. Das ist, gemessen an moralischen Kriterien, eine hohe Zahl, aber es ist eine niedrige Zahl, gemessen an den Zwängen des Lebens in einer totalitären Diktatur. Die große Mehrheit der DDR-Bürger hat sich notgedrungen mit den Verhältnissen arrangiert, zu Verrätern an Freunden oder angeblichen Klassenfeinden gab sie sich nicht her. Christhard Läpple ist es gelungen, einige ehemalige Stasi-Spitzel zu befragen. Mehr als hundert von ihnen hat der Autor kontaktiert.
"Die meisten der früheren Spitzel wehrten ab oder drohten mit Verleumdungsklagen. In den wenigen Fällen, in denen nicht sofort die Tür zugeschlagen wurde, haben wir Vorgespräche geführt, Gesprächsnotizen angefertigt und bei Einverständnis Interviews mit der Kamera dokumentiert. Das Vertrauen der ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiter für Zeitzeugengespräche zu gewinnen benötigte bis zu zwei Jahren, erst dann war eine einigermaßen stabile Verbindung geknüpft. Die Zahl derjenigen, die zu offenen Gesprächen bereit war, verminderte sich am Ende auf rund zwei Dutzend."
Unter Zusicherung der Anonymität erklärten fast zwei Jahrzehnte nach dem Untergang der SED-Diktatur ein ehemaliger LPG-Funktionär, ein Kunstprofessor aus Dresden und ein früherer Museumsdirektor aus Weimar, warum sie als anonyme Stasi-Zuträger dem SED-Regime dienten und wieso sie ihre engsten Freunde verrieten, ja sogar eigene Familienangehörige. Wie kann eine Schwester damit fertig werden, dass sie vom eigenen Bruder verraten wurde?
Helene Heller ist ein solcher Fall. Sie erfuhr in den neunziger Jahren beim Lesen der Stasi-Akten, was ihr Bruder Hans angerichtet hatte:
"Es gibt keinen Zweifel, die Belege sind eindeutig. Auf vielen Seiten ist der Verrat des Bruders dokumentiert, schwarz auf weiß. Er war ein Informant der Staatssicherheit."
Er war nicht heimtückisch, aber absolut zuverlässig. Bei seiner Anwerbung sagte er den Stasi-Offizieren, Welten würden ihn von seiner Schwester trennen. In Wirklichkeit waren es nur wenige Kilometer. Er wohnte in Ost-, sie in West-Berlin. Helene Heller wollte nach dem Lesen ihrer Stasi-Akte wissen, warum ihr Bruder sie bespitzelt hat. Sie suchte die Aussprache, doch der Versuch scheiterte. Er stritt alles ab, entschuldigte sich nicht.
Gegenüber Christhard Läpple äußert sich Hans Heller nun erstmals über seine Version der Geschichte. Ja, er war auf seine 1962 nach West-Berlin geflüchtete Schwester angesetzt. Ja, er war ein überzeugter DDR-Bürger, SED-Genosse und Ausbilder in einem Landwirtschaftsbetrieb, Kampfgruppenkommandant und eben Stasi-Spitzel. Gregor Gysi hat bei ihm in Blankenfelde das Melken gelernt.
"Gysi konnte viel und gut reden, war aber ein schlechter Melker", "
erinnert sich Heller. Seine Spitzeltätigkeit für die DDR-Geheimpolizei versucht Heller auch heute noch zu rechtfertigen:
""Jeder Staat hat Feinde. Um sich zu schützen, muss man den Gegner kennen und rechtzeitig bekämpfen. Das sehen wir doch jeden Tag. Krieg gegen den Terror heißt das heute. Was machen denn die Amerikaner? Afghanistan, Irak, Guantanamo. Es ist nur die alte Frage, ob man für die richtige Sache kämpft."
Nicht er habe seine Schwester, sondern sie habe durch ihre Flucht nach West-Berlin die DDR verraten, sein sozialistisches Vaterland und damit auch ihn. Anklagend fragt Heller:
"Was hat sie nur bewegt, unsere Sache zu verraten?"
Es ist gut, dass Läpple nicht nur die Täter, sondern auch Opfer zu Wort kommen lässt. Die verschrobene Perspektive der ehemaligen Stasi-Leute wird so gerade gerückt. Zum Beispiel durch den Fall von Kerstin Starke: Die Ost-Berliner Betriebswirtin erhielt für die Weitergabe von selbst verfassten Manuskripten an einen westliche Journalisten sieben Jahre Haft, obwohl keiner ihrer Texte veröffentlicht worden war. Auch sie hatte lange Zeit Bedenken, über ihre Geschichte zu reden. Niemand hatte sich nach der Wiedervereinigung um ihre Geschichte gekümmert. Zur Rechenschaft gezogen wurde keiner der für ihre Gefängnishaft Verantwortlichen. Einer ihrer früheren Stasi-Ermittler brachte es im vereinten Deutschland bis in die Vorstandsetage eines großen Unternehmens. Kerstin Starke ist bis heute erschüttert angesichts der Gleichgültigkeit, die in der gesamtdeutschen Gesellschaft den Opfern des SED-Regimes entgegenschlug.
Christhard Läpple hat ein anrührendes Buch geschrieben. Sein Titel "Verrat verjährt nicht" ist juristisch betrachtet zweifelsohne falsch. Aber dem Autor geht es nicht um juristische Verjährung, sondern, wie es im Untertitel heißt, um Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land. Es geht Läpple um die seelischen Verwundungen und moralischen Folgen der Stasi-Spitzelei und um die Ausflüchte und Relativierungen der Täter. Darüber wird noch lange öffentlich zu reden sein.
Christhard Läpple: Verrat verjährt nicht - Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg
Für einen Dokumentarfilm über Stasi-Maßnahmen gegen das Zweite Deutsche Fernsehen arbeitete sich Christhard Läpple durch mehrere tausend Stasi-Akten, darunter auch die Überlieferungen von 235 landläufigen Stasi-Spitzeln. Mehr als ein halbe Million dieser Denunzianten gab es zwischen 1949 und 1989. Das ist, gemessen an moralischen Kriterien, eine hohe Zahl, aber es ist eine niedrige Zahl, gemessen an den Zwängen des Lebens in einer totalitären Diktatur. Die große Mehrheit der DDR-Bürger hat sich notgedrungen mit den Verhältnissen arrangiert, zu Verrätern an Freunden oder angeblichen Klassenfeinden gab sie sich nicht her. Christhard Läpple ist es gelungen, einige ehemalige Stasi-Spitzel zu befragen. Mehr als hundert von ihnen hat der Autor kontaktiert.
"Die meisten der früheren Spitzel wehrten ab oder drohten mit Verleumdungsklagen. In den wenigen Fällen, in denen nicht sofort die Tür zugeschlagen wurde, haben wir Vorgespräche geführt, Gesprächsnotizen angefertigt und bei Einverständnis Interviews mit der Kamera dokumentiert. Das Vertrauen der ehemaligen Inoffiziellen Mitarbeiter für Zeitzeugengespräche zu gewinnen benötigte bis zu zwei Jahren, erst dann war eine einigermaßen stabile Verbindung geknüpft. Die Zahl derjenigen, die zu offenen Gesprächen bereit war, verminderte sich am Ende auf rund zwei Dutzend."
Unter Zusicherung der Anonymität erklärten fast zwei Jahrzehnte nach dem Untergang der SED-Diktatur ein ehemaliger LPG-Funktionär, ein Kunstprofessor aus Dresden und ein früherer Museumsdirektor aus Weimar, warum sie als anonyme Stasi-Zuträger dem SED-Regime dienten und wieso sie ihre engsten Freunde verrieten, ja sogar eigene Familienangehörige. Wie kann eine Schwester damit fertig werden, dass sie vom eigenen Bruder verraten wurde?
Helene Heller ist ein solcher Fall. Sie erfuhr in den neunziger Jahren beim Lesen der Stasi-Akten, was ihr Bruder Hans angerichtet hatte:
"Es gibt keinen Zweifel, die Belege sind eindeutig. Auf vielen Seiten ist der Verrat des Bruders dokumentiert, schwarz auf weiß. Er war ein Informant der Staatssicherheit."
Er war nicht heimtückisch, aber absolut zuverlässig. Bei seiner Anwerbung sagte er den Stasi-Offizieren, Welten würden ihn von seiner Schwester trennen. In Wirklichkeit waren es nur wenige Kilometer. Er wohnte in Ost-, sie in West-Berlin. Helene Heller wollte nach dem Lesen ihrer Stasi-Akte wissen, warum ihr Bruder sie bespitzelt hat. Sie suchte die Aussprache, doch der Versuch scheiterte. Er stritt alles ab, entschuldigte sich nicht.
Gegenüber Christhard Läpple äußert sich Hans Heller nun erstmals über seine Version der Geschichte. Ja, er war auf seine 1962 nach West-Berlin geflüchtete Schwester angesetzt. Ja, er war ein überzeugter DDR-Bürger, SED-Genosse und Ausbilder in einem Landwirtschaftsbetrieb, Kampfgruppenkommandant und eben Stasi-Spitzel. Gregor Gysi hat bei ihm in Blankenfelde das Melken gelernt.
"Gysi konnte viel und gut reden, war aber ein schlechter Melker", "
erinnert sich Heller. Seine Spitzeltätigkeit für die DDR-Geheimpolizei versucht Heller auch heute noch zu rechtfertigen:
""Jeder Staat hat Feinde. Um sich zu schützen, muss man den Gegner kennen und rechtzeitig bekämpfen. Das sehen wir doch jeden Tag. Krieg gegen den Terror heißt das heute. Was machen denn die Amerikaner? Afghanistan, Irak, Guantanamo. Es ist nur die alte Frage, ob man für die richtige Sache kämpft."
Nicht er habe seine Schwester, sondern sie habe durch ihre Flucht nach West-Berlin die DDR verraten, sein sozialistisches Vaterland und damit auch ihn. Anklagend fragt Heller:
"Was hat sie nur bewegt, unsere Sache zu verraten?"
Es ist gut, dass Läpple nicht nur die Täter, sondern auch Opfer zu Wort kommen lässt. Die verschrobene Perspektive der ehemaligen Stasi-Leute wird so gerade gerückt. Zum Beispiel durch den Fall von Kerstin Starke: Die Ost-Berliner Betriebswirtin erhielt für die Weitergabe von selbst verfassten Manuskripten an einen westliche Journalisten sieben Jahre Haft, obwohl keiner ihrer Texte veröffentlicht worden war. Auch sie hatte lange Zeit Bedenken, über ihre Geschichte zu reden. Niemand hatte sich nach der Wiedervereinigung um ihre Geschichte gekümmert. Zur Rechenschaft gezogen wurde keiner der für ihre Gefängnishaft Verantwortlichen. Einer ihrer früheren Stasi-Ermittler brachte es im vereinten Deutschland bis in die Vorstandsetage eines großen Unternehmens. Kerstin Starke ist bis heute erschüttert angesichts der Gleichgültigkeit, die in der gesamtdeutschen Gesellschaft den Opfern des SED-Regimes entgegenschlug.
Christhard Läpple hat ein anrührendes Buch geschrieben. Sein Titel "Verrat verjährt nicht" ist juristisch betrachtet zweifelsohne falsch. Aber dem Autor geht es nicht um juristische Verjährung, sondern, wie es im Untertitel heißt, um Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land. Es geht Läpple um die seelischen Verwundungen und moralischen Folgen der Stasi-Spitzelei und um die Ausflüchte und Relativierungen der Täter. Darüber wird noch lange öffentlich zu reden sein.
Christhard Läpple: Verrat verjährt nicht - Lebensgeschichten aus einem einst geteilten Land
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg

Christhard Läpple: Verrat verjährt nicht© Hoffmann und Campe