IHK-Projekt "Passgenaue Besetzung" in Berlin

Die Generation Z in Ausbildung bringen

05:15 Minuten
Auszubildende im Beruf Schweißer in Siegburg
Azubis beim Schweißen: Große Unternehmen haben es leichter, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen, als mittlere und kleine. © imago images / Rainer Unkel
Von Anja Nehls · 09.09.2019
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Tausende Ausbildungsplätze sind laut Berliner Industrie- und Handelskammer unbesetzt. Berater sorgen in einem besonderen IHK-Projekt dafür, dass potenzielle Azubis und Firmen zusammenfinden. Jugendliche bräuchten heutzutage besondere Betreuung, heißt es.
Der Beratungsraum bei der Industrie- und Handelskammer Berlin ist heute unerwartet leer. Eigentlich sollte es jetzt hier um einen passgenauen Ausbildungsplatz für einen jungen Mann gehen, sagt Maike Al Habash, die bei der IHK für die Ausbildung zuständig ist:
"Der hat sich, glaube ich, vor einer halben Stunde gemeldet und hat gesagt, er kommt nicht. Also das ist jetzt nicht so, dass das ungewöhnlich ist, das ist leider ein Teil der Beratungsrealität."
Immerhin hat er wenigstens abgesagt. Ob er wiederkommt, ob er sich nun selbständig bewirbt und dann auch eine Ausbildung beginnt? Meike Al Habash zuckt mit den Schultern. Im Projekt "Passgenaue Besetzung" suchen die Ausbildungsberater der IHK vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen die passenden Bewerber.
Keine leichte Aufgabe. Über 5.500 Ausbildungsplätze sind zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres in Berlin noch unbesetzt. Dabei haben die kleineren Unternehmen mehr Probleme, Nachwuchs zu finden als die großen, meint Meike Al Habash.

Wunsch und Wirklichkeit klaffen oft weit auseinander

Weil Bewerbermarketing die Unternehmen Geld und Personal kostet. Denn gute Azubis sind Mangelware und heiß umkämpft. Gesucht wird vor allem in den Bereichen Informatik, IT, Büro, Hotel- und Gaststättengewerbe und Handel.
Theoretisch gibt es in Berlin noch über 6000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. Passgenaue Voraussetzungen bringen aber die wenigsten mit, sagt Ausbildungsberaterin Claudia Denkmann. Beispiele seien schlechte Mathe-Noten bei künftigen Bürokaufleuten, extreme Schüchternheit bei Verkäufern oder zu wenig Hintergrundwissen bei Informatikern:
"Das hört sich erstmal gut an, Fachinformatiker für Systemelektronik. Aber nur weil man vielleicht am Handy spielt, heißt das noch nicht, dass man diese Kompetenzen hat. Die Unternehmen möchten gerade in diesen Bereichen junge Leute, die selbständig auch schon mal was programmieren zuhause im Kinderzimmer oder in der Projektgruppe, womit die Motivation abgecheckt wird."
Oft klaffen Wunsch und Wirklichkeit bei der Berufswahl meilenweit auseinander, das hat die Innung SHK Sanitär, Heizung, Klima in einer Untersuchung herausgefunden. Wer vorher weiß, worauf er sich bei der Ausbildung einlässt und ein Praktikum absolviert hat, ist deshalb leichter passgenau unterzubringen – so wie Tobias Patzwald, jetzt im zweiten Lehrjahr:
"Ich mag es, wenn man sieht, was man geschafft hat. Also, im Büro kommt dann der nächste Ordner wieder, und man sieht halt nicht, was man geschafft hat. Und so steht man auf einer rohen Baustelle, wo gerade mal der Putz an der Wand ist und später steht man im fertigen Badezimmer – und das finde ich halt das Interessante."

"Denen fällt es schwer, eine Krankschreibung abzugeben"

Viele Jugendliche, die sich bei der IHK beraten lassen, wissen überhaupt noch nicht, in welche Richtung es gehen könnte, einige werden einfach von den Eltern vorbeigeschickt. Claudia Denkmann muss sich dann langsam zu den Stärken der jungen Leute vortasten, Bewerbungen optimieren und einfachste Abläufe erklären:
"Das ist eine andere Generation, man nennt die ja auch gerne Generation Z, die muss man im Prinzip anders angehen. Die sind anders aufgewachsen, die hatten möglicherweise die Helikoptereltern, die sich um alles gekümmert haben, denen fällt es dann schwer beispielsweise, eine Krankschreibung abzugeben. Die geben das in der Schule ab, sagen dann aber nicht dem Ausbildungsbetrieb morgens Bescheid, wenn das dann zwei-, dreimal passiert, ist das leider schon ein Grund für eine Kündigung."
Beliebt bei den Ausbildungsbetrieben seien deshalb auch Studienabbrecher wegen der größeren Lebenserfahrung. Viele hätten sich zudem dann ganz bewusst für eine Ausbildung entschieden – wie Rosa Kantereit, jetzt Lehrling im technischen Modellbau:
"Ich habe tatsächlich auch schon mal studiert, Architektur habe ich gemacht, aber habe da einfach gemerkt, dass ich was mit meinen Händen machen will, und dass ich Lust auf was Praktisches habe. Und da bietet sich eine Ausbildung an, statt einem Studium."

Vermittlung von mehreren hundert Jugendlichen pro Jahr

Junge Menschen, die motiviert sind und mit Persönlichkeit überzeugen, können sich heutzutage den Ausbildungsplatz fast aussuchen, so Claudia Denkmann. Sie gibt deshalb auch den kleineren Unternehmen Tipps, was sie anbieten könnten, damit sich solch ein Jugendlicher für sie entscheidet:
"Die beraten wir dahingehend, dass es vielleicht auch schön wäre, den Azubis noch freie Zeiten zur Verfügung zu stellen, dass sie sich auf Prüfungen vorbereiten können. Manchmal ist es so, dass das BVG-Ticket bezahlt wird oder Zusatzsprachqualifizierungen möglich sind, dass vielleicht ein Auslandspraktikum dann der besondere Punkt in der Ausbildung ist."
Und davon haben dann nicht nur die Auszubildenden etwas, sondern auch das Unternehmen. Mehrere hundert Jugendliche kann die IHK auf diese Weise jedes Jahr im Projekt "Passgenaue Besetzung" vermitteln.
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