Arno Frank, 1971 in Kaiserslautern geboren, ist Publizist. Von 1999 bis 2011 war er bei der Tageszeitung "taz" in verschiedenen Funktionen tätig – zuletzt als Ressortleiter des von ihm mitgegründeten Gesellschaftsteils. Seit 2011 schreibt er frei, unter anderem für den "Spiegel", "Spiegel Online" und "Die Zeit". Als Essayist und Schriftsteller veröffentlichte er bisher "Meute mit Meinung – Versuch über die Schwarmdummheit" (Kein & Aber, Zürich 2013).
Falsche Versprechen der DNA-Tests
Jeder fragt sich irgendwann wohl, wo komme ich her? Die Antworten darauf sind zum lukrativen Geschäft geworden. Unzählige Anbieter werben mit DNA-Tests. Publizist Arno Frank meint: Die Identitätssuche via DNA-Test bietet vor allem Überraschungen.
Woher kommen Sie eigentlich? Also… eigentlich!
Unter taktvollen Menschen verbietet sich diese Frage neuerdings. Vor allem dann, wenn der Fragende ein "Biodeutscher" ist, von Menschen mit orientalischen Hintergrund gern "Kartoffel" genannt. Und der Befragte sich wegen der Pigmentierung seiner Haut oder eines fremdländischen Zungenschlags zu erklären hat. Dann ist dieses "Woher kommen Sie eigentlich" eine zudringliche, fallweise sogar rassistische Frage.
Die Herkunft, wie beinahe jedes andere Element unserer Identität auch, ist eine fluide Angelegenheit geworden. Wie groß der Wunsch nach Aufklärung ist, das zeigt der aktuelle Boom der Ahnenforschung per Erbgutanalyse. Es gibt einen Markt für genetische Gewissheiten, der seit Jahren immer größer wird. 2017 ist er explodiert, auch in Deutschland.
Das Verfahren ist nicht billig, aber kinderleicht. Per Speichel schicke ich eine Probe meines Erbguts an ein spezialisiertes Unternehmen. Das untersucht die DNA auf Muster, gleicht sie mit Datenbanken und anthropologischen Erkenntnissen ab.
Am Ende soll eine Antwort auf die Frage stehen: Woher kommen wir eigentlich? DNA-Genealogie reicht bis hinab zu unseren behaarten Verwandten in den Savannen des östlichen Afrika. Die klassische Ahnenforschung ist dagegen nur ein Kratzen an der Oberfläche - versprechen jedenfalls Firmen, die diese DNA-Tests an die Frau und den Mann bringen wollen.
Keine belastbaren Erkenntnisse über eigene Herkunft
Dagegen halten Kritiker die Ergebnisse solcher Gentests für kaum aussagekräftiger als ein Horoskop. Ihre Argumente: Aus dem weißen Rauschen der Statistik ließen sich keine wirklich belastbaren Aussagen destillieren. Zu sehr schwankten die Vergleichsgrößen in den Datenbanken von Anbieter zu Anbieter. Darüber hinaus sei der Mensch schon immer gerne gewandert. Auch habe er sich immer schon gerne gepaart, notfalls mit einem niedlichen Neandertaler aus der Nachbarhöhle.
Mag sein, dass der Blick in unsere Doppelhelix ein Blick in die Kristallkugel ist. Ahnenforschung per Gentest übererfüllt aber unseren Wunsch nach Heimat und Herkunft. Genau darin liegt die heilsame Wirkung dieser Methode. Der Kunde erhält bunte Karten mit Wanderungsbewegungen seiner Vorfahren, quer durch Jahrtausende, quer über Kontinente. Er erhält vage Informationen darüber, ob sie "Jäger und Sammler" oder "Ackerbauern" waren. Er erhält, kurzum: Erzählungen aus der Vergangenheit. Bögen, die viel zu weit gespannt sind, als dass er sie wirklich gebrauchen – oder missbrauchen – könnte.
DNA-Genealogie erzählt also immer die Geschichte unserer Spezies als Ganzes, nie die die eines speziellen Individuums. Sie treibt die Frage, woher wir eigentlich kommen, durch Gründlichkeit ad absurdum, löst sie sozusagen in Säure auf – in Desoxyribonukleinsäure, um genau zu sein.
Genetisch betrachtet, sind alle Menschen Geschwister
Der Boom der DNA-Tests mag fragwürdig sein. Ihr Blick in die Menschheitsgeschichte aber macht sie zur idealen Lockerungsübung gegen die identitätspolitischen Verspannungen unserer Zeit. Sie hält uns ohne Pathos vor Augen, was wir zwar wissen, aber gerne vergessen: Identität ist eben ein kulturelles Konstrukt, kein biologisches Mandat.
Genetisch sind wir alle zu 99,9 Prozent identisch und damit: Geschwister. Wir sind, mehr noch, mit allem verwandt, was auf Erden kreucht, fleucht oder blüht. "Tat tva m asi" hieß es auf Sanskrit im Hinduismus schon vor 3000 Jahren: "Das bist du selbst", Teil des Ganzen.
Ich werde, wie gesagt, gern "Kartoffel" genannt, bin übrigens tatsächlich zu fast 50 Prozent mit dem Knollengemüse verwandt: Und das trifft auf jeden anderen Menschen auf diesem Planeten auch zu.