"Identifikationsereignis" fürs Bürgertum

Moderation: Nana Brink |
Der Direktor der Semperoper, Hans-Joachim Frey, hat Dresden als Zentrum für ein neues Bürgertum in Ostdeutschland bezeichnet. Deshalb sei der jetzt stattfindende Opernball als "Identifikationsereignis" für das neue Bürgertum enorm wichtig. Der Ball kostet rund eine Million Euro und ist der erste seit 67 Jahren.
Brink: Ein "soziales Ereignis" soll er werden, der erste Opernball an der Semperoper seit 1939. Damals war es ein rauschendes Fest. Heute ist nun der große Tag für über 2000 Gäste. Über eine Million Euro hat sich die Oper ihren Ball kosten lassen. Ich begrüße jetzt am Telefon den Direktor der Semperoper Hans-Joachim Frey. Herr Frey, warum brauchen Dresden und die Semperoper wieder einen Opernball nach 67 Jahren?

Frey: Also, ob wir einen brauchen, das weiß ich nicht. Anlass war, dass wir seit Jahren von vielen Bürgern dieser Stadt damit konfrontiert wurden, es wäre doch schön, wieder in die bürgerliche Gesellschaft einzusteigen und diese Tradition, die es in den 20er und 30er Jahren vor dem II. Weltkrieg gab, wieder aufleben zu lassen. Und da haben wir lange reflektiert, über Jahre gesagt: "Das ist zu teuer. Können wir uns das leisten?" Aber dann haben wir erkannt: Im Jahre 2006, wenn 800 Jahre Dresden gefeiert wird, da haben wir den Anlass und deswegen lassen wir das große Ballereignis dann steigen.

Brink: Ist der Opernball ein Versuch, die gesellschaftlichen Gepflogenheiten eines längst vergessenen Bürgertums wieder aufleben zu lassen?

Frey: Ich meine, Dresden ist ganz speziell und in Ostdeutschland findet sich eine Gesellschaft zusammen von Bürgern, die von hier kommen, von Bürgern, die von woanders, aus den alten Bundesländern, sich hier ansiedeln. Es findet sich ein neuer Mittelpunkt der bürgerlichen Gesellschaft und so sind gesellschaftliche Identifikationsereignisse ganz wichtig. Und ich denke, dass so ein großer Ball da wirklich einen Zusammenhalt bringen kann und wenn dann von Dresden demnächst die Botschaft ausgeht: "Einer der größten Ballereignisse in Deutschland!" Das wäre eine tolle Botschaft.

Brink: Im Gegensatz zum letzten Semperopernball gibt es keine geschlossene Adelsgesellschaft mehr, die groß repräsentiert hat oder keine so genannte "etablierte Gesellschaft". Wie definieren Sie denn diese neue Gesellschaft, dieses neue Bürgertum, was jetzt in Dresden angeblich auf Ihren Ball geht?
Frey: Ich weiß gar nicht, ob man das so definieren kann. Ich kann nur sagen, es finden sich viele Leute zusammen, wir haben ja den Ball verkauft, die Logen verkauft, an Wirtschaftsfirmen, viele sächsische Firmen sind dabei. Wir huldigen allerdings auch dem Adel: Auch Prinz Alexander von Sachsen wird dabei sein. Wir machen sogar in der Eröffnungszeremonie ein Zitat, einen Brückenschlag, "300 Jahre sächsisches Königshaus" und haben gleichzeitig die aktuelle Politik dabei, Ministerpräsident et cetera und die Kunst. Und die Kunst ist ja sozusagen immer der Türöffner für neue moderne Formen und deshalb, glaube ich, dass uns so eine neue Kreation gelingen wird.

Brink: Also knüpfen Sie auch ein bisschen an die Tradition von Dresden an. Dresden war ja im Gegensatz zu Leipzig immer die Tradition, die Honoration, der Hof.

Frey: Genau, daran knüpfen wir an und wir beginnen den Opernball gleich mit einem Schlag, in dem wir sozusagen ein kleines "sächsisches Hofprotokoll" inszenieren.

Brink: Wie sieht das aus?

Frey: Da gibt es dann historische Gestalten wie August den Starken, die zurückkommen an den Ort und einmal begutachten, wie das dort läuft. Und dann wird in dieser Zeremonie ein Dankesorden vergeben an eine illustre Persönlichkeit und dann löst sich das langsam auf in die bürgerliche Gesellschaft von heute.

Brink: Normale Eintrittskarten kosten bis zu 250 Euro, manche Bürger haben auch bis zu 1200 Euro für einen Sitzplatz gezahlt, viele Logen wurden auch an Firmen verkauft - wollen Sie ein exklusives Publikum?

Frey: Also wir hatten jetzt nicht von vorneherein vor, ausschließlich Leute einzuladen, die betucht sind, sondern es gab ein Konzept, um es das erste Mal durchzuführen, dass die Unkosten für einen ersten so großen Ball - 1,1 Millionen sind der Umbau des Hauses, die vier Schließtage - überhaupt refinanzieren zu können, haben wir uns ein Modell erdacht, dass sozusagen auf dieses Kundenklientel schielt und das hat funktioniert. Es sind viele Wirtschaftfirmen, die diese Tische, diese VIP-Logen gekauft haben und dann dort dabei sind.

Brink: Aber das gemeine Volk darf auch ein bisschen teilnehmen, denn Sie haben eine Videoübertragung bis fünf Uhr früh auf dem Opernplatz.

Frey: Ja genau, das ist das besondere. Wir haben auch Flanierkarten, 300 Flanierkarten für 120 Euro…

Brink: Immerhin, das sind auch 120 Euro.

Frey: Ja, das stimmt, aber man kann wenigstens dabei sein und wir übertragen das große Ereignis nach draußen und haben dann sogar noch draußen ein eigenes Programm. Wir studieren die Chöre und schönsten Melodien, die drinnen dann nachher aufgeführt werden, draußen mit den Bürgern ein. Die können dann diese Melodien mitsingen. Wir machen draußen für die Leute ein großes Feuerwerk mit einem großen Dresdner Feuerkünstler und Lichtkünstler, Tom Röder. Und der wird dann kurz vor der Eröffnung des Opernballs in einem Kran sozusagen landen vor der Semperoper und das Licht des Feuerwerks aufgefangen haben und bringt dieses Licht in ein kleines Feuerwerk in die Oper.

Brink: Sie wollen eine "eigene Markenkultur" pflegen, also nicht den Wiener Opernball kopieren. Was verstehen Sie unter einer "eigenen Markenkultur"?

Frey: Wir haben ja bewusst gesagt, dass es nicht der Dresdner Opernball ist wie der Frankfurter, Wiener Leipziger, Hannoveraner, Nürnberger Opernball, sondern wir haben gesagt, wir stellen das Gebäude in den Mittelpunkt, die schon eine Marke ist, also die Semperoper…

Brink: Die kennen sehr viele aus der Werbung mit dem Bier.

Frey: Genau. Und dann wollen wir das ganze versehen, nicht indem nur ein normaler Ball stattfindet, sondern wir sagen, das ist ein Gesamtkunstwerk, eine Gesamtkomposition, die draußen anfängt und nachts um fünf aufhört. Und das ist wirklich auch programmatisch, eine Komposition, dass immer wieder was Besonderes stattfindet mit einem großen Crescendo, mit einem Abklingen und das ist das Besondere, denke ich.

Brink: Opernball soll nicht nur ein Tanzvergnügen sein?

Frey: Nein, am Anfang hört man erst mal zu und genießt auch schöne Arien, schöne Musik und dann taucht man in Tanz ein, dann gibt es noch ein paar protokollarische Akte, dann gibt es wieder Programm, dann gibt es Kabarett und immer mehr und immer mehr und nachher zwischen eins und zwei wird dann richtig ekstatisch getanzt und dann wird dann ganz weich getanzt.

Brink: Na das werden wir dann wahrscheinlich noch sehen, ob es wirklich so ekstatisch ist. Sie leiden ja auch an Finanzknappheit, 35 Millionen Zuschuss bekommt die Semperoper pro Jahr vom Freistaat und erst kürzlich haben sie auch eine Finanzspritze bekommen von 3,11 Millionen. Damit ist ja auch eine Zahlungsunfähigkeit aufgehalten worden, trotz einer Auslastung von 95 Prozent, die ja erheblich ist. Sie sagen, Sie wollen "neue strategische Partnerschaften" auch mit so einem Ball erschließen. Was stellen Sie sich denn darunter vor?

Frey: So ein Ball ist ja ein genialer oder großer Publizitätseffekt, aber zweitens geht es natürlich darum, wenn wir die Spitzen der deutschen Wirtschaft - und wir haben viele Größen an diesem Abend bei uns zum Ballereignis im Haus - haben, die vielleicht nicht nur ausschließlich wegen Konzerten oder Balletten zu uns ins Haus kommen, können neue, wirkliche Kundenbindungen entstehen und Radeberger, diese Bierreklame, ist ja nur eine strategische Partnerschaft und so könne weitere strategische Partnerschaften und Bindungen entstehen, wo Leute sich einsetzen für und Spenden und Geld geben für die Semperoper.

Brink: Aber Sie schenken dann auch das richtige Bier aus?

Frey: Davon können Sie ausgehen, ja.

Brink: Im Schauspielhaus Dresden hat heute das Musical Hartz IV Premiere. Daneben ist der Opernball. Sind das zwei Seiten einer Medaille in Dresden?

Frey: Das ist tatsächlich eine Diskussion, die am Anfang hochgekommen ist: Braucht Dresden diese elitären Ball zu diesen Preisen und draußen steht der Hartz IV Bürger? Wir haben das ja probiert mit dieser Brücke von einem großen Volksvertrauten dann auszugleichen. Der Intendant des Staatsschauspiels meinte dann, er müsste diese Premiere von Hartz IV senden. Ich finde das gar nicht schlecht. Wir stehen da nicht in Konfrontation und sollen ruhig offensiv mit diesen Gedanken umgehen, und wer sich damit beschäftigen will, soll an diesem Abend ins Hartz IV Musical gehen.

Brink: Eine letzte Frage noch zu dem heutigen Ereignis: Haben Sie Ihre Abendgarderobe schon auf Vordermann gebracht? Für Männer ist das ja nicht ganz so kompliziert, wie für Frauen. Frack oder Smoking ist ja auch eine wichtige Frage.

Frey: Ich selber trage einen Frack, aber es ist auch nicht so unkompliziert, wie Sie das darstellen. Ich glaube, ich habe 15 Einzelknöpfe dafür gekriegt, die dann alle durch gewisse Eingriff jeweils einzeln angebracht werden müssen am Frackhemd, also das steht mir noch bevor.

Brink: Vielen Dank, Hans-Joachim Frey, Direktor der Dresdner Semperoper für das Gespräch und das "Hartz IV" Musical im Schauspielhaus Dresden wird uns Radiofeuilleton heute Nachmittag beschäftigen.
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