"Ich sehe nur noch die Kollektion"

Von Sarah J. Tschernigow · 25.09.2013
Fair produzierte Kleidungsstücke gewinnen bei Kunden und Designern immer mehr an Akzeptanz. Für Anne Gorke ist Ökomode, die tragbar und trendig ist, schon lange kein Widerspruch mehr. Die selbstbewusste Designerin präsentierte ihre Öko-Kollektion sogar auf der Berliner Fashion Week - und das mit Erfolg.
Anne Gorke ist ein geerdeter Mensch. Zum Interview zieht sie als erstes die Schuhe aus. Dabei sind wir inmitten einer schicken Glamour- und Bussibussi-Gesellschaft, in der jeder um Haltung bemüht ist. Wir sind bei einer Modenschau in Berlin. Ihrer Modenschau. Eine fünfstellige Summe hat die Jungdesignerin investiert, um vor potenziellen Einkäufern und renommierten Moderedakteuren ihre Arbeit zeigen zu dürfen. Die letzten Wochen waren anstrengend.

"Dann kommen plötzlich die Tränen einfach so. Und dann ist man schnell wieder sehr überdreht, weil die Anspannung so stark ist. Dann bekomme ich so einen Tunnelblick. Und seh nur noch die Kollektion, dann werde ich wie so eine Raubtiermutter mit ihren Kindern. Ich will dann nicht abgelenkt werden. Dann ignoriere ich auch alles."

Die fast ein Meter 85 große Designerin ist auch ohne Schuhe kaum zu übersehen. Sie empfängt Glückwünsche von allen Seiten. Ihre Sommerkollektion für 2014 hat überzeugt: schlichte, unkomplizierte Schnitte in den Farben Creme, Kaki, Dunkelblau und Rosé. Anne Gorke lässt alles fair produzieren: Das Leder kommt von Kühen aus dem Allgäu und wurde natürlich gegerbt; die Baumwolle stammt aus einem kontrollierten Anbaugebiet in der Türkei. Aber Anne Gorke betont das nicht extra; sie will niemanden bekehren.

"Ich ziehe es vor, mich auf einer normalen Plattform zu präsentieren, weil man dadurch hintenrum zeigen kann, dass es eigentlich nichts Besonderes mehr sein muss, ökologisch zu arbeiten. Und dass es nichts ist, das sich im Design zeigt, sondern, dass es einfach normal ist."

Weimar statt Paris oder New York
Bodenständigkeit und Naturverbundenheit, Respekt vor ihrer Umwelt, den Tieren und ihren Mitmenschen. Das hat die Designerin von Zuhause mitbekommen, sagt sie. Ihr Zuhause, das ist Weimar, wo Anne Gorke auch heute Wohnung und Atelier hat. Die 31-Jährige träumt nicht von einer Karriere in Paris oder New York.

"Ich bin da immer skeptisch. Weil ich denke, entweder ist bei mir etwas los, auch wenn ich in einer Kleinstadt sitze. Oder bei mir ist nichts los, dann bin ich auch in der Großstadt nicht fetziger."

Nach dem Abitur arbeitete sie anderthalb Jahre in Verona für eine Modefirma, kam aber schnell zurück nach Weimar.

"Viel im Wald, Sommer immer draußen... quasi zwischen Wald und Feld. Und ja, ich war so ein Spätzünder. Ich bin lange durch die Wälder getollt. Man ist ja viel unterwegs. Und zum zwischendurch Nachhausekommen ist Weimar sehr gut. Weimar ist ja eine sehr ästhetische Stadt. Und ich nehme an, dass das hintenrum einfach auch prägt."

Geprägt haben sie vor allem die Eltern. Die haben zwar nichts mit Mode zu tun, aber mit Form und Proportion. Die Mutter ist Architektin, der Vater Bauingenieur. Annes Mode ist vom Bauhausstil beeinflusst: grafisch, gerade, wenig verspielt – und doch tragbar und urban. Ihre Leidenschaft zu beschreiben fällt ihr sichtlich schwer. Sie sucht lange nach Worten, ihre Sätze überschlagen sich, dann wird sie hektisch. Annes Ausdrucksform, das sind ganz klar Textilien.

"In Textilien fühle ich mich einfach Zuhause. Beim Übersetzen von Ideen und so was. Ich sehe mich zum Beispiel auch überhaupt nicht als Künstler oder so was. Sondern als Design und Form... Formen von Dingen und Silhouetten, das Zusammenspiel von Materialien. Und für mich sind der passendste Werkstoff Textilien."

Anne Gorke hat sich nicht bewusst für einen Weg als Designerin entschieden. Sie hat ihre Berufung einfach immer gelebt und viel genäht. 2008 hat sie mit einer Freundin ihr erstes Label gegründet. Seit drei Jahren führt sie es alleine weiter und kann schon gut davon leben.

"...dass es ein stabiles Unternehmen wird, tatsächlich. Das mir ermöglicht, weiter zu entwerfen. Ich kann mir nichts anderes vorstellen, als zu entwerfen!"

Aktivurlaub am Filmset
Mode hat sie nie studiert, sondern Medienkultur an der Bauhaus-Universität Weimar. Ihre Erfahrung sammelte sie beim Film im Kostümdepot. Das macht sie heute immer noch ab und zu und nennt das Aktivurlaub.

"Es ist unglaublich entspannend für den Kopf. Weil man sich in einer anderen Welt bewegt und ganz andere Ansprüche an einen erhoben werden. Man arbeitet anders, und das ist immer sehr erholsam."

Beim Film hat sie auch ihren Freund kennengelernt. Einen Kameramann aus München, mit dem sie eine Fernbeziehung führt. Dorthin, oder eben nach Weimar, zieht sich Anne Gorke an den wenigen freien Tag zurück und schaut am liebsten gruselige Filme. Dann, wenn ihr der Modezirkus zu viel wird, oder sie einfach wieder das Bedürfnis nach Normalität verspürt, nach Heimat und nach Bäumen.


Weitere Informationen zu Anne Gorke finden Sie auf ihrer Homepage.
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