Schriftstellerin Michaela Vieser

"Ich fühle mich wie Albrecht Dürer"

36:08 Minuten
Die Autorin Michaela Vieser steht am Meer und trägt eine blaue Pudelmütze.
Träumt davon, ein Wal zu sein: die Autorin Michaela Vieser. © Isaac Yuen
Moderation: Katrin Heise |
Audio herunterladen
Als Studentin verbrachte sie ein Jahr in einem buddhistischen Kloster in Japan, später arbeitete Michaela Vieser in einer Agentur und schrieb viele Bücher. Nun hat sie einen neuen Job: Sie ist „Wave Writer“ und denkt hauptberuflich über das Meer nach.
„Nature Writing Schriftstellerin“ steht auf der Homepage von Michaela Vieser, aber auch „Wave Writer“.
Nature Writing: Das ist das Schreiben über die Natur. Aber auf eine besondere Weise. Die Wurzeln, erklärt die Buchautorin, stammen aus der Reiseliteratur und reichen ins 18. Jahrhundert zurück. Alexander von Humboldt sei ein gutes Beispiel. „Der hat naturwissenschaftlich geschrieben, aber immer auch seine eigenen Emotionen damit verbunden.“
Und darauf komme es an. Bei Themen wie der Klimakrise sei die Sprache zumeist „weit weg von unserer Lebenswelt". Sie sei entweder "politisch oder wissenschaftlich“. Es klinge kitschig, sagt Michaela Vieser, aber Nature Writing versuche, Natur-Themen "in die Herzen" zu tragen. "Nur was bei uns ankommt, sind wir auch gewillt zu retten.“

"Auch ein Virus ist Natur"

Die Herausforderung beim Nature Writing bestehe darin, die Natur weder zu verklären noch permanent Ängste zu schüren. Das passiere in Deutschland sehr häufig, etwa in der Coronapandemie. „Aber auch ein Virus ist Natur“, sagt die Autorin. „Ich versuche einen Mittelweg zu finden, darauf hinzuweisen: Schaut mal, das ist es wert zu behalten.“
Zum Nature Writing kam Michaela Vieser eher zufällig. Im Internet stieß sie 2016 auf einen Berg im Altai-Gebirge. „Dieser Berg hat mich wahnsinnig begeistert.“
Kurz bevor sie mit einem Recherchestipendium der Bosch-Stiftung dorthin fuhr, lernte sie Robert Macfarlane kennen, einen Vertreter des Nature Writing. „Das Gespräch mit ihm war der Auslöser. Da habe ich mir gesagt: Das ist genau die Art, wie ich schreiben möchte.“

Über das Meer schreiben

Und was macht ein „Wave Writer“? Auch das ist Michaele Vieser, sogar ganz offiziell, für die Okeanos Stiftung: „Die kamen auf mich zu und meinten, sie mögen meine Texte so gern. Und sie würden gerne sehen, was passiert, wenn sie mich ein Jahr lang fördern, was ich dann über das Meer herausfinde.“
So führt sie jetzt ein Wellentagebuch und schreibt täglich etwas über Wasser. „Das kann alles sein“, erzählt die 50-Jährige. Was ihr dabei mit Bedauern auffällt: „Ich war relativ wenig am Meer. Ich habe also wenig echte Erfahrungen, lese aber ganz viel, schaue ganz viele Videos. Ich fühle mich wie Albrecht Dürer, der dieses Nashorn gemalt hat, das er nie gesehen hat.“

Walsturz und Transformation

Mittlerweile träume sie vom Meer und auch davon, ein Wal zu sein. Schon länger beschäftigt sich Vieser in ihren Texten mit diesen Tieren. Ganz besonders auch mit dem Walsturz. Das ist, „wenn ein Wal stirbt, dann sinkt er langsam auf den Meeresboden“, erklärt die Autorin. Immer mehr wird von dem riesigen Säugetier gefressen, er löst sich praktisch auf.
Der Wal werde transformiert und so zu "anderen Dingen". Dieser Veränderungsprozess, „man arbeitet ja viel mit Metaphern, wenn man schreibt“, habe sie an ihre Brustkrebserkrankung denken lassen. „Man hat dieses Bild des Unbesiegbaren. Plötzlich steht man an der Schwelle des Todes.“

Das Leben im Kloster

Bevor Michaela Vieser Bücher über das Wetter, über verschwundene Berufe und die Liebe in unterschiedlichen Kulturen schrieb, studierte sie Japanologie und Asiatische Kunstgeschichte in London. Ein Jahr, so war es laut Studienordnung vorgesehen, sollte es nach Japan gehen, um die Sprache zu lernen. Vieser blieb insgesamt sechs.
Japanisch lernte sie in einem Kloster. Und daneben auch Kalligraphie, die Teezeremonie, sogar den Schwertkampf. Hier musste sich Vieser aber sehr in Geduld üben:
„Als Westler will man ja immer gleich tolle Ergebnisse haben. Ich glaube, die ersten vier Monate durfte ich noch nicht mal ein Schwert in der Hand halten, sondern musste nur barfuß durch diese Turnhalle gehen, den Schritt lernen. Es ist so wichtig, mit beiden Füßen auf dem Boden zu stehen.“
(ful)
Mehr zum Thema