Ich bin kein „historisches Vehikel“

Moderation: Jürgen König |
<strong> Der Bildhauer und Objektkünstler Günther Uecker wird am Sonntag, den 13. März, 75 Jahre alt. Er gilt als wichtiger Vermittler zwischen der Nachkriegs- und der aktuellen Kunstszene. Anlässlich seines Geburtstages betonte er, dass er sich nicht als „historisches Vehikel“ sehe. Als Mecklenburger mit Osterfahrung eher schon als Wanderer zwischen zwei Welten. </strong>
Jürgen König: Sie wurden bekannt als ein Künstler, der mit Zimmermannsnägeln arbeitet. Sie haben auch ganz viele andere Sachen gemacht, aber dafür wurden Sie bekannt. Ab 1958 entstanden diese Nagelrhythmen in Scheiben, Platten, in ganze Möbelstücke haben Sie zahllose Nägel geschlagen, die Objekte dann einfarbig gestrichen, und wenn man vor diesen Objekten hin- und hergeht, so habe ich es mehrfach erlebt, hat man ganz wunderbare Licht- und Schatteneffekte, geht man ein bisschen zur Seite, hat man den Eindruck, als würden sich die Nägel plötzlich bewegen. Sie haben auch Motoren eingebaut, so dass sie sich tatsächlich bewegen konnten. Mögen Sie diese Nagelarbeiten noch?

Günther Uecker: Ja. Es ist schön, wie Sie das beschrieben haben, den Standpunkt des Betrachters, ich des Täters. Ich hatte diese erarbeiteten bildnerischen Strukturfelder, die ja so etwas wie kontemplative Betrachtungsfelder waren, für mich autotherapeutisch hergestellt, mich in Gleichmut zu versetzen, wie ein inneres Porträt, das ins Bild gesetzt ist im Sinne noch klassischer künstlerischer Bedeutung an der Wand hing, dass diese erarbeiteten Strukturen nun plötzlich über Möbel und den banalen, säkularisierten und gelebten Arbeits- und Lebensbereich der Bevölkerung gehen sollte, war damals eine Idee, ein Manifest der Transgression: Überflutung der Welt mit Kunst und so dachte ich, keine Bilder an der Wand, sondern rauf auf die Möbel, auf das ewige Polier, dieser Atavismus einer kultischen Handlung – man weiß nicht, was man tut, aber poliert jeden Tag die Möbel – da muss ein Nagel reingeschlagen werden, damit ein Widerstand erzeugt wird, um die Betrachtung meiner Werke auch zu verdeutlichen, dass Kunst eindringen kann in diese Banalität von Leben.

Jürgen König: Das war also auch der zornige junge Mann, der in den Muff der späten 50er, frühen 60er Jahre die Nägel hineintrieb?


Günther Uecker: Besonders natürlich im Ruhrgebiet, wo es ja doch eine stark geprägte Arbeitswelt gibt und wo auch das erarbeitete Möbel auch ein Wert war und besonders auch der Fernseher, da musste man schon drei Monate malochen, um so ein Ding zu kaufen, und es war ziemlich erschütternd, da Nägel einzuschlagen, die Wertvorstellungen auf den Kopf zu stellen. Auch der Kunstwert war ja gering in meinem Falle, die Dinge waren nicht verkaufbar, die ich in dieser Zeit machte, ich ging auch noch ans Fließband und arbeitete in der Gerolsheimer Glashütte für meinen Lebensunterhalt, habe aber diese Werke hervorgebracht und verzahnt mit dieser Alltagswelt. Das war das Manifest, ausgestellt 1963 in der „Galerie d“ in Frankfurt, mit Bazon Brock eröffnet. Der las, wie ein fetter Mann morgens versuchte, aus dem Bett zu kommen und nicht herauskam und ich am Boden benagelte den Text, den er las. Das war die Aktion der Eröffnung und heute befindet sich das Bild bei Burda in der Sammlung.

Jürgen König: Sie haben nach dem Krieg in Berliner Trümmerbergen gelebt, stand im „Berliner Tagesspiegel“, zwei Türen aneinandergelehnt und der Raum war fertig. Wie lange haben Sie so gewohnt?

Günther Uecker: Das ist eine abgewandelte Beschreibung. Wo die Nationalgalerie steht, war damals ein Trümmerfeld und da gab es ein solides Gebäude vor diesem Shell-Haus, das heute noch dasteht, da habe ich mir zwei Türen ausgehängt und in den Innenräumen an die Wand gelehnt, worunter ich dann schlief. Das Dach war nicht ganz kaputt und so war ich eigentlich ganz angemessen untergebracht – das Haus ist doch prächtig.

Jürgen König: Wie lange haben Sie so gewohnt?

Günther Uecker: Nur drei Monate. Wegen der Verhöre, die ich dann später in einzelnen Sektoren als FDJler hatte und man dachte, wir wären eingeschleust und dadurch, dass ich 1951 bei den Weltjugendfestspielen in Ostberlin mitgewirkt hatte, war ich da auch tätig und habe aus meinem Studium als Maler, Reklamemaler, kann man hier sagen, aber da war es Agitation, Propaganda, große Friedenstauben gemalt und so war ich dann übergewechselt unter die zwei ausgehängten Türen und später nach den langen Verhören ausgeflogen in ein Konzentrationslager nach Bremen, dieses Moorlager, wo wir dann sozusagen durchleuchtet und freigelassen in die Bundesrepublik wurden. So kam ich dann direkt in die Kunstakademie, was ich mir schon in der DDR vorgenommen hatte zu Pankok, weil ich von ihm sah, dass er in den 30er Jahren ein Bild gezeichnet hatte, wie Jesus ein Gewehr überm Knie zerbricht. Das war der richtige Lehrer für mich, der hatte auch Malverbot, was ein wichtiges Zertifikat war und antifaschistische Geschichte, so war er für mich einer der Edlen nach 1945 in Deutschland.

Jürgen König: Das Terrororchester darf nicht fehlen und wird auch hier im Gropiusbau zu sehen sein: 20 Maschinen, heulende Staubsauger, eine Wäschetrommel, wunderbar Hammer und Sichel, die aneinanderklappern. Sie haben das damals im sehr feinen Baden-Baden gezeigt. Es muss ein unglaublicher Skandal gewesen sein, die Leute haben getobt, geschrieen, sich die Ohren zugehalten. Heute ist es fast nur noch ‚Amusement‘.

Günther Uecker: Es ist ein Unterhaltungswert geworden, ja. In Baden-Baden haben die Leute sich beleidigt gefühlt und sind wieder rausgegangen und haben die Eintrittskarte abgegeben und wollten das Geld zurück, weil sie dachten, das ist gar keine Ausstellung. Wir haben ja auch Leben im Museum demonstriert mit dem begleitenden Orchester und den Alpenbildern von Richter und sind von den Konsolen im großen Saal mit einem großen Luftballon immer heruntergesprungen und haben Alpenflüge in seinen Bildern versucht. Das hat die Leute etwas irritiert. Wir haben auch ein Schlafzimmer eingerichtet mit einer Studentin, klaffenden Oberschenkeln und über unserem Ehebett, haben dort gelebt, getanzt, ich habe den Schrei aufgeführt. Das war der Versuch Leben im Museum, Museen können bewohnbare Orte sein. Das Tabu der Schwellenangst wurde überschritten, das Ganze erstürmt. Es kam auch diese Aufregung hinzu, dass Ohnesorg gerade erschossen wurde und diese Demonstrationen in Berlin stattfanden und wir in Baden-Baden in diesem wunderbaren Ort, wo man immer erfreut ist, wenn man den nächsten Schritt überlebt, wenn man durch den Park geht, man hat ein gewisses Alter erreicht, so sieht es ja aus. Die Menschen dort haben eine Lebensfreude auf vorsichtige Art und eine schöne Umgebung – und da haben wir dann das Terrororchester aufgeführt. So war das.

Jürgen König: War das auch der alte Traum der Aufklärung, durch Kunst die Welt zu bessern, Kunst als Instrument der Läuterung?

Günther Uecker: Nein, von der Kunst zu erlösen, gar nicht so sehr mit Kunst, sondern die Kunst so weit zu treiben, dass man sie nicht mehr aushält. Aber der humane Ausdruck in diesen Werken war uns wichtig. Es war nur eine andere Erfahrungswelt, ein anderer Realitätsbezug, Wirklichkeit zu erfassen, sicht- und lebbar zu machen, also nicht diese einseitige Schön- oder Gutheit, sondern alles. Hier leben, hier sind wir alles und gehen mit allem um. Und das, was uns auch befremdet mit einem humanen Gefühl und emotionaler Kraft, bildhaft zu machen und erlebbar und das wirtchenhafte Lebensgefühl, das eben in mir auch war aus meiner landwirtschaftlichen Herkunft, drängte einfach dahin durch, mich aus dieser dramatischen Dunkelheit zu befreien und da hat auch die New York Times 1964 geschrieben, der Uecker scheint wie vom Himmel gefallen, dieser Nazijunge, der Dinge macht, als hätte es den Nationalsozialismus gar nicht gegeben. Aber das war auch eine gewisse Notwendigkeit, sich an alte Quellen zu binden, Rückbindung herzustellen zu den Aufbrüchen, den geistigen Manifesten des 20. Jahrhunderts. Diese Manifeste und Schriften haben wir gelesen im Ausland, nur in Deutschland war es ja alles vernichtet und die rückkehrenden Immigranten waren meine Freunde und Lehrer, die ich aufsuchte, also die Andersdenkenden, die nicht in Konzentrationslager gekommen sind, sondern durch Flucht überlebten. Das waren eigentlich die Orientierungshilfen; von einem ganz starken humanen Gefühl erfüllt wendete ich mich denen ganz intensiv zu.

Jürgen König: Wir leben heute auch in einem Zeitalter großer Kommerzialisierung von Kunst, wenn ich Sie so höre, habe ich den Eindruck, dass Kategorien wie Erfolg, Ruhm oder ähnliches in ihrem Denken gar keinen Platz haben konnten. Sie wirken so auf mich, als ob das nie etwas für Sie Planbares oder auch nur Gewolltes gewesen ist.

Günther Uecker: Immer hat alles, was man tut Folgen und der Erfolg ist dann eben das Ende einer Folge. (lacht) Da hört es dann auf, man wird dann arriviert, das habe ich immer vermieden. Ich bin so stark gedrängt, meine in mir vorhandenen Energien bildhaft zum Ausdruck zu bringen, dass zur Selbstbetrachtung eigentlich gar nicht so viel Zeit und Raum ist und ich auch glücklicherweise die Distanz nicht finde, mich als einen Künstler zu sehen, der als historisches Vehikel herumrennt, sondern ich habe doch in meiner Arbeit so enge Verhältnisse zum Werk, dass ich es nicht schaffe.

Jürgen König: Sie mussten fast 75 Jahre alt werden, bevor die Stadt Berlin eine erste Günther Uecker-Retrospektive zustandebringt, warum hat das so lange gedauert?

Günther Uecker: Das können Sie gleich im Vorwort bei Herrn Dieter Honisch lesen, dem im Dezember verstorbenen Direktor der Nationalgalerie, und er schreibt, er wollte das immer, aber dadurch, dass er so freundschaftlich mit mir verbunden ist, hat er sich immer versagt, das zu tun und es aufgeschoben.

Jürgen König: Dieter Honisch hat über Sie gesagt, Sie seien ein Wanderer zwischen zwei Welten. Stimmt das?

Günther Uecker: Viele der Künstler, die heute in Deutschland eine respektable Bedeutung haben, kamen aus dem Osten und diese Gegenwelten haben uns auch geweckt. Meine Sehnsüchte, die sich immer östlich orientiert haben, dieses Sehnen zu diesem Kulturstrom zwischen Burgland und dem Schwarzen Meer, das hat diese Welt mehr bestimmt, als die lateinisch-frankophonische Einflußnahme im Gegenstrom am Rhein und so sehnte ich mich immer auch nach den Quellen meiner eigenen Herkunft, weil ich mental davon ganz stark geprägt war.
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