"Günther Uecker - 20 Kapitel"

Von Michaela Gericke · 09.03.2005
Er gehört zu den wichtigsten deutschen Künstlern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts - Günther Uecker. Gleich drei Ausstellungshäuser in Berlin widmen sich dem Werk des Bildhauers und Objektkünstlers, der am Sonntag 75 Jahre alt wird.
"Schwarzer Regen" heißt ein vergleichsweise kleinformatiges Bild aus seiner ersten künstlerischen Phase Mitte der 50er Jahre, mit Strukturen, die sich bis heute bei ihm wieder finden lassen: vertikale und horizontale dunkle Striche auf hellem Grund, auch ins Papier eingedrückte Nagelköpfe sind zu erkennen. Das Experimentieren mit Fingermalerei, ungegenständlichen Bildern und "umnagelten Leinwänden" waren seine Reaktion auf die realistische Malerei, die er zuvor in der DDR gelernt hatte. Günther Uecker, Sohn eines Landwirts, geboren in Mecklenburg, entdeckte schon früh seine individuelle künstlerische Handschrift, die an das "Bestellen von Feldern" erinnert: Zeit seines Lebens fühlt er sich mit der Erde und der Natur verbunden.

" Wir hatten keine Bücher und keine Bilder und ich bin auf ner kleinen Insel aufgewachsen, in der Ostsee, wenn man den Pflug und die Egge führt, hat man einen andern Bezug auch zur Erde wie auch zu den Wesen und das hat mich natürlich auch stark geprägt und so war ich immer in meinem Drang, etwas handgreiflich zu tun."

1953 zieht Uecker nach Westberlin, und schließlich weiter nach Düsseldorf, wo er studiert. Für ein paar Jahre ist er Mitglied der Nachkriegs-Künstlergruppe Zero. Günther Uecker sucht für seine Verwirklichung in der Kunst die Bewegung, die Aktion, als Ausdruck seines Empfindens, das auch mit seiner Jugend verknüpft ist. Mit 15 Jahren hatte er erlebt, was Krieg bedeutet. Angeschwemmte Leichen aus den untergegangenen Schiffen vor der Küste musste er - auf Anweisung sowjetischer Soldaten - mit Freunden unter die Erde bringen:

" Wir haben sie mehr oder weniger mit Erde bedeckt, aber es waren doch 175, die da sehr intensiv mein Leben geprägt haben, denn jedes kann ich erinnern. Und dieses entspannte - und voller Würmer und außen mumifiziert in der Sonne, dieses Merkwürdige, dieses Schemenhafte eines Wesens, das sind Dinge, die auch in meine künstlerische Arbeit eingeschlossen sind. "
Die Verletzlichkeit des Menschen, auch die Aggression des Menschen gegen sich selbst und gegen die Natur wird sein Thema. Und der Nagel zu seinem Symbol. Im wahrsten Sinn des Wortes "eindringlich" überträgt er mit aus Nägeln geschaffenen Selbstporträts seine Energie auf zwei mal zwei Meter große Flächen. Wut und Angst entäußern sich als genagelte Psychogramme. Mit verschlossenen Augen - ohne nachzudenken arbeitet sich Uecker von der Mitte weiter nach außen, um wahrhaftig aus der Seele zu reagieren auf das, was in der Welt passiert. Kraftvoll, dynamisch, aggressiv und zugleich zärtlich und poetisch sind seine Arbeiten:
Uecker stellt die Konsum-Werte der bürgerlichen Gesellschaft in Frage, attackiert falsche rituelle Handlungen, wie das Polieren von Klavieren oder Entstauben von Radios und Fernsehern. In den 60er Jahren vernagelt er deshalb Flügel, Stühle, Nachtkästen und Nähmaschinen:
" Es ist noch ein Möbel, aber es hat sich verwandelt. Wenn man nicht sagen kann, es ist das und das, dann könnte es sich vielleicht um Kunst handeln."

Mit schlagenden Hämmern, seinem Terrororchester aus Krachmaschinen zeigt Uecker in den 80ern, eine, wie er es nennt: "Gesellschaft auf der Flucht vor sich selbst und am Ort ihrer Wünsche". Er sucht lieber die Orte der Spiritualität. Reist nach Asien und Afrika, und wird im Laufe der Jahre meditativer. Doch keineswegs kraftloser. Immer wieder setzt er seinen ganzen Körper ein für seine Aktionen und Raum füllenden Installationen. Als er von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl hört, hat er plötzlich wieder die Toten am Strand vor Augen:

"Da wurden Handlungen und Erinnerungen wieder in mir wach, mich rückseitig auf die Leinwand zu legen und in Asche getaucht wie ein Epileptiker zu handeln, weil das unsagbar war, was einen bedrohte."

Und erst recht den kurz zuvor geborenen Sohn mit dem biblischen Namen Jacob.
Sand und Asche - archaisches Material - lösen mehr und mehr den Nagel ab.
Uecker - ein Mahnender auch: Mit dem auf Glas gekippten Klavier 1988 will er an die Reichsprogromnacht 1938 erinnern. Er mischt sich ein. "Friedensgebote" heißt seine jüngste Arbeit. Kniend hat er mit weißer Farbe Texte aus dem Alten Testament und dem Koran auf eine riesige helle Leinwand geschrieben, ein von weißen Tüchern umwickeltes Kreuz erinnert ans Christentum. Günther Uecker, ein religiöser Künstler, an keine Konfession gebunden: ein spiritueller Mensch, der immer wieder seine Ehrfurcht vor der Natur ausdrückt. Selbst in den kleinen Aquarellen, die Alexander Tolnay in den Räumen des Neuen Berliner Kunstvereins zeigt: Es ist die andere Seite des Künstlers, der in seinen großen Arbeiten vor allem mit Schwarz und Weiß arbeitet - als Zeichen für Licht und Dunkelheit. Die kleinen Blätter zeigen - mit Farben wiedergegeben - seine Empfindung von Landschaften und Atmosphären. 15 Zyklen - und mehr als 300 Blätter: Alexander Tolnay, Direktor des Neuen Berliner Kunstzvereins und Kurator der gesamten Ausstellung:

"Das ist ein sehr privater, sehr intimer Teil seines Werks, und vor allem sagt er selbst, das ist keine Kunst .... gerade das hat mich gereizt, neben diesem großen Rückblick eine private Seite dazu zu tun, was für die Leute bestimmte Einblicke oder Gedanken anregt, was ist noch in Uecker, außer dem, was man sonst von ihm weiß."

Service

Der Gropius-Bau zeigt unter dem Titel "Günther Uecker - Zwanzig Kapitel" ab dem 11. März bis zum 6. Juni 240 Werke von Uecker. In 19 Kapiteln wird hier der Werdegang des Künstlers nachgezeichnet. Das 20. Kapitel zeigt vom 20. April bis zum 16. Mai seine neue Arbeit "Sandmühlen - Zeitspiralen".

Der Neue Berliner Kunstverein stellt hingegen die eher unbekannte Seite Ueckers vor: seine Aquarelle. Die Ausstellung ist vom 12. März bis zum 6. Juni geöffnet.

Links:

"Günther Uecker - Zwanzig Kapitel" - Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau

Neuer Berliner Kunstverein