Ian Morris: „Geographie ist Schicksal“

Politik verstehen – mithilfe von Landkarten

Auf dem Buchcover "Geographie ist Schicksal" von Ian Morris ist ein stilisierter Globus zu sehen, in dem der Buchtitel steht.
© Campus Verlag

Ian Morris

Aus dem Englischen übersetzt von Stephan Gebauer

Geographie ist SchicksalCampus Verlag, Frankfurt am Main 2022

29,99 Euro

Von Nana Brink · 11.06.2022
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Ian Morris erzählt die 10.000-jährige Geschichte Großbritanniens anhand von Landkarten. Mit dieser Methode, sagt der britische Historiker, lassen sich auch Schlüsse für die gegenwärtige Weltgeschichte und für Putins Krieg gegen die Ukraine ziehen.
Wie weit müssen wir in der Geschichte zurückgehen, um den Brexit zu verstehen? Wer die wissenschaftlichen Abhandlungen und Kommentare seit 2016 verfolgt, der findet viele Anhaltspunkte: der Niedergang des Britischen Weltreichs vor oder nach dem Zweiten Weltkrieg oder sogar die Besetzung der Insel durch die Römer vor knapp 2000 Jahren.
Aber keiner geht so weit zurück wie der britische Archäologe und Althistoriker Ian Morris.
Geht es nach ihm, liegen die Wurzeln des Brexit 10.000 Jahre zurück: „Der Brexit ist die letzte Antwort auf die Frage, ob die Britischen Inseln Teil von Europa sind oder etwas völlig anderes“. Und diese Frage – der Brexit 1.0 sozusagen – hat sich am Ende der Eiszeit beantwortet, als steigendes Meerwasser die Landbrücke zwischen Dover und Calais überflutet und Großbritannien endgültig zur Insel wird.

Geografie prägt Politik und bestimmt Geschicke

Ian Morris, Professor an der kalifornischen Standford University, blättert in seinem Buch eine faszinierende Theorie auf: Die 10.000-jährige Geschichte der Inseln ist die eines „Machtkampfes zwischen Großbritannien, Europa und der Welt“. Die „big history“, wie er sie nennt, wird durch geografische Fakten erzählt und lässt sich am besten anhand von Landkarten darstellen.
Die erste Karte stammt aus dem frühen 14. Jahrhundert und hängt noch heute in der Kathedrale von Hereford. Sie zeigt die Britischen Inseln am äußersten Rand der damals bekannten Welt – ein Platz, wie Morris schreibt, „an dem der Fortschritt als Letztes angekommen ist“. Die Inseln wurden dominiert von den Mächten des Mittelmeers und des Nahen Ostens.

Großbritannien als dominierende Seemacht

Erst als Großbritannien seine Insellage zum Vorteil nutzt und ein Weltreich errichtet, rückt es ins „Zentrum der Welt“. Auf der Landkarte des Geografen Halford Mackinder aus dem Jahr 1902 ist Großbritannien die dominierende Seemacht Europas, ein Zeitraum, der, so Morris, gerade einmal „ein Vierzigstel unserer Geschichte“ umfasst:

„Das war in mehrerlei Hinsicht der außergewöhnliche Teil der britischen Geschichte. Die Anhänger des Brexit klangen oft so, als entspräche Mackinders Karte dem natürlichen Zustand der Welt und der Planet werde in diesen Zustand zurückkehren, sobald Großbritannien seine kontinentalen Fesseln abgeschüttelt habe.“

Aus Ian Morris: "Geographie ist Schicksal"

China wird das Schicksal bestimmen

Die dritte Karte, die Morris ins Spiel bringt, ist die ungewöhnlichste. Die „Karte des Geldes“ soll den Zustand des Jahres 2103 abbilden. Drei „Geldberge“ in Nordamerika, Westeuropa und Ostasien beherrschen die Weltkarte. Sie verzerren unseren gewohnten Blick auf den Globus, da jedem Land so viel Fläche eingeräumt wird, wie es – Stand 2018 – Anteil am globalen Wohlstand hat.
Damit ist auch Großbritanniens Schicksal entschieden: Nicht Europa, sondern China wird die Geschicke der Inseln bestimmen.

"Geografie ist unfair“

Der Historiker, dessen Buch „Wer regiert die Welt?“ vor zwölf Jahren Furore gemacht hat, sieht seine Theorie auch im aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine bestätigt.
„Geografie ist unfair, sie gibt vielen Ländern gute Karten und vielen sehr schlechte, wie zum Beispiel der Ukraine, die immer – wie der Name schon sagt – ein Grenzland war und von mächtigen Nachbarn dominiert wurde“, sagt er.
Die jüngste Entwicklung der Ukraine, ihre Hinwendung zum westlichen Europa, ist, in den Augen Russlands, geografisch nicht vorgesehen.

Gefahren für Russland immer aus dem Westen

Die großen Gefahren für Russland kamen in den letzten 400 Jahren immer aus dem Westen, und wenn man die Welt mit den Augen eines russischen Anführers sieht, ist es nicht erstaunlich, dass die Ukraine für ihn eine Angelegenheit von Leben und Tod ist.

Ian Morris

Das rechtfertigte natürlich in keiner Hinsicht die Anwendung von Gewalt. Die viel größere Herausforderung sieht Morris allerdings – siehe seine Landkarte von 2103 – in einer „engen Kooperation“ zwischen Russland und China.

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