Ian McEwan: "Die Kakerlake"

Kafkaeske Satire auf den Brexit

05:56 Minuten
Buchcover zu Ian McEwan: "Die Kakerlake"
Kafka andersrum: Eine Schabe erwacht als britischer Premierminister - und stellt ein ganzes Land auf den Kopf. Ian McEwans "Die Kakerlake" persifliert die Farce um den Brexit. © Diogenes
Von Johannes Kaiser · 03.12.2019
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"Die Kakerlake" von Ian McEwan ist eine bitterböse Satire auf den Brexit und seine Folgen. Eine Kakerlake verwandelt sich in den englischen Premierminister und stürzt mit Lug, Betrug und Hinterlist das Land ins Chaos. Boris Johnson lässt grüßen.
Kafka stand Pate. Nur erwacht diesmal kein Mensch morgens als Käfer, sondern eine Kakerlake als britischer Premierminister. Nach kurzem Eingewöhnen in die neue Rolle feuert er als erstes seinen persönlichen Sekretär. Er will freie Hand bei seinen Entscheidungen haben, ein völlig neues Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ins Leben zu rufen: den Reversalismus.

Wer Arbeit hat, muss zahlen

Dahinter steht die Idee, den Geldfluss umzukehren. Wer Arbeit hat, muss dafür den Arbeitgeber bezahlen und zwar in Höhe der Gehalts. Beim Einkaufen wiederum bekommt man für die gekauften Waren die Preissumme ausbezahlt. Mit der bezahlt man dann seinen Arbeitgeber. Überschüsse darf es nicht geben. Alles Geld muss sofort wieder ausgegeben werden. Je höher die Vergütung des Jobs, desto mehr muss man einkaufen. Das bringt die Wirtschaft in Schwung und führt zur Verteilung des Reichtums. So die Theorie.
Eine ebenso witzige wie hanebüchene Idee. Eine Anspielung auf die Brexitfreunde, die eine Rückkehr in jene Zeiten versprechen, in denen das britische Imperium den Welthandel und die politische Arena beherrschte.

Kafka-Anspielungen im McEwan-Stil

Dass der Schriftsteller seinen Premier Jim Sams nennt, ist als Verneigung vor dem berühmten Vorgänger zu verstehen, denn dessen Protagonist heißt Gregor Samsa. Auch gibt es ebenso wie in "Die Verwandlung" einen Erzähler, der die Ereignisse detailreich vor uns ausbreitet.
Der Stil allerdings ist eindeutig Ian McEwan: elegant, witzig-ironisch, bisweilen sarkastisch, ein Feuerwerk an Einfällen. Mit geradezu maliziösem Vergnügen greift der Schriftsteller immer wieder typische Redephrasen der Brexitfreunde auf, legt sie seinem Premier in den Mund. Er beschreibt die gesamte Situation aus dessen Blickwinkel. Geschickt lässt McEwan seinen Jim Sams die sozialen Medien zur Verbreitung von Fake News und Verleumdungen nutzen. Er zeigt ihn als listigen, skrupellosen Manipulator, der sich nicht scheut, Lügen zu verbreiten, um seine Wirtschaftsrevolution durchzusetzen.

Premier bricht schamlos Absprachen

Als ein französisches Kriegsschiff ein britisches Fischerboot in dichtem Nebel unbeabsichtigt rammt und sechs Seemänner sterben, wird das zum bewusst provozierten Angriff aufgeblasen. Dabei ist das Kabinett bestens darüber informiert, dass die Fischer illegal in französischen Gewässern wilderten, ein eklatanter Bruch internationalen Seerechts.
Doch das hindert den Premier nicht, eine Schmutzkampagne gegen Frankreich zu starten. Als dann die Wahrheit ans Tageslicht kommt, entschuldigt man sich halbherzig. Was bleibt, ist die aufgeheizte Stimmung, die den Reversalisten nützt. Es ist nicht der einzige Trick, der dem Premier einfällt, um seine Gegner zu desavouieren. Um seine Pläne durchs Parlament zu bekommen, bricht der Premier schamlos eine traditionell vereinbarte parlamentarische Absprache zwischen Regierungspartei und Opposition.

Eine spaßige Lektüre

Auch wenn das Buch eingangs behauptet, ein Werk der Fiktion zu sein und jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Kakerlaken abstreitet, so sieht man doch mühelos zahlreiche Parallelen zwischen den tatsächlichen Ereignissen um den Brexit und der Satire.
Ein amüsanter, leichtfüßiger kleiner Spaß.

Ian McEwan: "Die Kakerlake"
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Diogenes Verlag, Zürich 2019
133 Seiten, 19 Euro

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