Hype um Wim Hof Methode

Was ist dran an tief einatmen und kalt baden?

08:19 Minuten
Ein Mann sitzt in Unterhose im frisch gefallenen Schnee.
Ein Wanderer sitzt nur mit Unterwäsche wie der "Iceman" Wim Hof im Schnee. © picture-alliance / ANP / Marcel van Hoorn
Von Niklas Potthoff · 12.03.2020
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Fit sein, die Immunabwehr steigern, sich selbst in Schuss halten: Der Trend zur Selbstoptimierung ist ungebrochen. Nach Meditation, Intervallfasten und Ölmundspülung ist Niklas Potthoff auf die Wim Hof Methode gestoßen - und wagt den Selbstversuch.
Umgeben von zwölf Frauen und Männern turne ich oberkörperfrei, in Badehose bekleidet in einer Art spirituellem Zentrum in Berlin. Im Hintergrund diktieren die Trommeln den Rhythmus unserer Armbewegungen. Was klingt wie ein Stammesritual, ist der sogenannte Horse Stance. In leichter Kniebeuge drehe ich meinen Oberkörper nach links und rechts, meine Hände schieben imaginäre Hindernisse zur Seite.
Ich soll mich warm halten – und versuchen, das zu visualisieren, was mich gleich erwartet: ein Bad in einer mit Eiswürfeln gefüllte Badewanne. Für zwei Minuten.

Viele schnelle, aber tiefe Atemzüge

Zwei Wochen vorher. Ich liege auf meinem Bett - und atme. Nicht irgendwie – sondern nach der Wim Hof Methode. Im Netz wird der Niederländer geradezu vergöttert. Seine Methode soll dabei helfen, das eigene Nervensystem und Immunsystem steuern zu können. Um sich besser vor Krankheiten zu schützen, sich besser zu fühlen.
Die Methode basiert auf drei Säulen. Die erste ist eine spezielle Form der Atmung. Es geht um viele schnelle, aber tiefe Atemzüge. Eine Art kontrollierte Hyperventilation. Anschließend hält man möglichst lange die Luft an. Im Körper wird dadurch Adrenalin freigesetzt.
Die zweite Säule ist die Kälteadaptation. Sprich, das Bad in der kalten Wanne. Zur Gewöhnung dusche ich mich jetzt immer ganz kalt ab. In diesem Moment verstehe ich auch die dritte Säule der Methode: Willenskraft.
"Unterm Strich kann man sagen das führt dazu dass man erstmal einer Stressantwort im Körper hat", sagt Matthias Wittfoth. Er leitet Kurse nach der Wim Hof Methode.

Körperlichen und mentalen Stress aushalten

Allein in der Atemtechnik sieht der Psychologe großes Potenzial: "Da kann man sich natürlich fragen: Was soll das denn? Haben wir nicht genug Stress? Ja, aber wenn man das auf eine kontrollierte Art und Weise macht, und man erfährt das dann selber, ist das was ganz anderes. Man trainiert seinen Körper, das besser auszuhalten, sowohl körperlichen Stress, als auch mentalen Stress."
Sind diese simplen Methoden wirklich so effektiv? Andreas Michalsen ist Chefarzt für Naturheilkunde an der Berliner Charité. Und er sagt: Ja.
"Was Wim Hof macht sind drei sehr gute Dinge", erklärt er. "Das ist eine Kältetherapie, also eine Kälteadaptation, das sind zweitens Atemübungen, und Meditation, oder Fokussierung. Und alle drei sind sehr, sehr gesund, jetzt mal grundlegend gesprochen. Und damit kann man auch vielen stressinduzierten Erkrankungen vorbeugen, von Bluthochdruck bis auch in gewissem Maße bis hin zu Autoimmunerkrankungen."

Verbesserung der Immunabwehr

Die Effekte der Atemtechniken auf den eigenen Körper, bestätigt auch die Forschung. So erhöht sich der pH-Wert des Blutes kurzzeitig – und wird dadurch "basisch". Die Immunabwehr wie auch die Steuerung des autonomen Nervensystems verbessern sich.
Doch Andreas Michalsen betont auch: Positive Einflüsse von Kältetherapien und Atem- wie Meditationstechniken seien schon lange bekannt.
"Man muss natürlich immer in die Rechnung einbringen, dass es auch eine Nachphase gibt", sagt er. "Und wenn man übertreibt, also wenn man zu sehr diese Adrenalinantwort provoziert, kann es einem danach auch gar nicht gut gehen."
Ok, jetzt will ich die Wim Hof Methode richtig lernen. Dazu muss ich an einem offiziellen Workshop teilnehmen. Kostenpunkt: an die 100 Euro. Ingo Sukkhadas Auer leitet den Kurs. Mit mir zusammen sind es zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die nach einer kurzen Einführung jetzt auf Yogamatten verteilt in dem großen, hellen Raum liegen.

Anleitung mit atmosphärischen Klängen

Atmosphärische Klänge untermalen die Worte von Sukkhadas, der uns mit ruhiger Stimme die Atemtechnik erklärt.
"Tief einatmen. Ausatmen. Luft anhalten. Immer wieder", leitet Ingo Sukkhadas Auer an. Nach einigen Minuten zieht sich ein Kribbeln über den ganzen Oberkörper und hinunter bis in die Oberschenkel. Mir wird warm, ich bin entspannt und ruhig. Und fühle mich gleichzeitig sehr präsent.
Das ging allen so: "Ich hab danach so eine absolute Klarheit gehabt, Gedankenlosigkeit, Klarheit."
"Bei mir fing es an, dass es erst gekribbelt hat und dann immer mehr auch in die Beine und in die Hände."
Die meisten haben wie ich am meisten Respekt vor dem, was nach der Pause ansteht, das Eisbad. Wir gehen ins Badezimmer.

Eine Wanne voller eiskaltem Wasser

Insgesamt 80 Kilogramm Eiswürfel schwimmen in der Badewanne. Das Wasserthermometer zeigt ein Grad Celsius an. Nach und nach werden je zwei Leute für zwei Minuten in die Badewanne geschickt, während die restliche Gruppe sich mit den sogenannten Horse-Stance-Übungen warm hält. Dann bin ich dran.
"Schließt die Augen", sagt Ingo Sukkhadas Auer. "Setzt euch euer Commitment: Ich gehe da zwei Minuten rein. Holt tief Luft, tief atmen. Atem anhalten – und dann reingehen."
Ich setze einen Fuß in die Wanne, hole tief Luft, bevor ich mich langsam in das kalte Wasser sinken lasse. Die ersten Sekunden sind okay. Sobald ich richtig liege, wird es schwierig. Die Beine tun weh. Der Oberkörper brennt regelrecht. Unangenehm.
Aber Sukkhadas feuert mich an: "Weiter, los, bis zum Hals!"
Noch 30 Sekunden, mein ganzer Körper brennt, doch das Ziel vor Augen hilft.
"Drei, zwei, eins, yes!", zählt Ingo Sukkhadas Auer.

Nach der Kälte eine Wärmeexplosion

Geschafft: Das Überraschende, ich friere nicht. Mein Oberkörper explodiert nahezu vor Wärme. Ich fühle mich wach und fit, bewege mich voller Adrenalin, bis auch der letzte aus der Badewanne kommt.
Die Teilnehmer berichten: "Es waren einfach nur Schmerzen. Ich hab nicht mal gespürt dass es kalt ist, es hat einfach nur wehgetan." "War sehr überwältigend, bei mir haben die Arme angefangen zu Kribbeln als ich im Wasser war. Aber als ich rauskam war ich schon sehr, sehr erleichtert. "Als ich raus bin und wieder angefangen habe zu atmen, hatte ich das Gefühl, ich will noch mal rein."
Direkt wieder rein – das muss nicht sein. Trotzdem: Am Ende des Workshops fühle ich mich richtig gut. Und das ist auch in den nächsten Tagen so. Welche Rolle spielt aber dabei jetzt Wim Hof? Der Erfinder der Methode, der über 20 Weltrekorde hält. Der nur in Shorts den Kilimandscharo bestiegen hat. Natürlich steckt hinter der Methode inzwischen ein Unternehmen, geführt von seinen Kindern. Vertiefende Workshops, ein buchbares Jahres-Abo per App.
Der Personenkult macht mich skeptisch. Matthias Wittfoth ging ähnlich.
"Ich verstehe das sehr gut", sagt er. "Mir gefällt einerseits auch nicht, dass es so auf Wim Hof zugeschnitten ist, dass es seine Methode ist. Andererseits sehe ich aber auch, dass er die Leute begeistern kann mit seiner Persönlichkeit."

Altes Wissen neu vermarktet

Die Verbreitung altbekannter Selbstheilungsmethoden durch neues Marketing also?
Ja, sagt Andreas Michalsen: "Es ist sicherlich nicht das Ziel, dass man möglichst lange in Eiswasser schwimmt oder nackt auf einer Eisscholle meditiert, das ist ja alles nur Marketing. Und da sehe ich auch die Gefahren, es geht bei der Kältetherapie darum, sich persönlich zu spüren, seine Grenzen zu erkennen und nicht zu denken, dass es jeder so machen kann wie Wim Hof."
Ich habe fürs Erste nicht das Bedürfnis, oberkörperfrei im Schnee wandern zu gehen. Aber die schon kurzfristig merkbare Effektivität der Methode hat mich überrascht. Obwohl ich fürs Erste, kein zweites Eisbad brauche. Kalt duschen reicht mir.
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