Hunderte Milliarden Neuverschuldung

Können Sparer nun auf echte Zinsen hoffen?

08:04 Minuten
Auf dem Display eines Taschenrechners steht das Wort "Zinsen".
Höhere Staatsverschuldung erhöht nicht automatisch die Zinsen der Anleger. © imago images / MiS
Von Frank Drescher · 09.06.2020
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Schwarze Null, rückwärts laufende Schuldenuhr, das war einmal. Nun plant die Bundesregierung neue Schulden wie noch nie. Ob die Kreditaufnahme der einen sich auf die Zinsen für Guthaben der anderen auswirkt? Gar nicht so einfach vorherzusagen.
Heute Morgen um halb neun in einem Auktionshaus. Einem ganz speziellen Auktionshaus. Betrieben wird es von der Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH und der Bundesbank in Frankfurt am Main. Es funktioniert rein elektronisch. Die Geräusche hier im Hintergrund haben wir zur Illustration aus unserem Archiv geholt, denn bei der echten Auktion wollte uns das Bundesfinanzministerium nicht dabei haben.
Das Bieterpublikum besteht aus 36 Großbanken. Sie sind via Datenleitung zugeschaltet.
Ebenso zugeschaltet sind einige Beamte im Bundesfinanzministerium. Sie hüten die Auktionsware. Heute wollen sie für die Bundesregierung drei Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen. Das geschieht in Form einer Anleihe. Die Schulden der einen sind die Geldanlage der anderen. Ob die Bundesregierung diese drei Milliarden bekommt – und wie viel sie dafür im Jahr 2027 zurückzahlen muss, das zeigt sich erst in drei Stunden. Und dann auch wirklich auch erst in den letzten Minuten kurz vor Schluss.
"Das können Sie sich im Grunde so vorstellen wie bei einer Kunstauktion", sagt Ingo Nolden von der Großbank HSBC, eine der 36 Großbanken aus dem Bieterkreis. Er leitet dort die Abteilung, die die Anleihen großer Emittenten wie Staaten oder Teilstaaten in deren Auftrag an den Kapitalmärkten platziert.

Dynamik wie bei einer Kunstauktion

"Wenn es dort Rekordergebnisse gibt für ein Bild von Picasso oder von wem auch immer", sagt er, "da ist es oft ja so, dass bis zum Schluss der Auktion gar nicht so viel Aktion zu verzeichnen ist und dann am Ende sich die Bieter überbieten und die Dynamik wesentlich zunimmt, weil sich am Anfang einer Auktion die Bieter ein Stück weit zurückhalten. Das ist durchaus vergleichbar mit so einer Bundesanleiheauktion."
Dass die Bundesregierung in einem Jahr nach heutigem Stand rund 280 Milliarden mehr Schulden aufnimmt als geplant, hat es noch nie gegeben. Und wer weiß, wie viele Milliarden sie noch zusätzlich aufnehmen wird. Klingt nach blendenden Geschäftsaussichten für die beteiligten Banken, oder?
Ulrich Kater, Chef-Volkswirt bei der zur Sparkassengruppe gehörenden Deka-Bank, sieht es ähnlich.
"Die Margen in diesem Geschäftsfeld sind extrem gering", erklärt er. "Das hat eben auch damit zu tun, dass die eigentliche Rendite von Bundesanleihen ja sogar negativ ist. Insofern ist dies kein expandierendes Geschäftsfeld für eine Bank, Bundesanleihen zu zeichnen und zu distribuieren. Das ist eher eine Infrastrukturleistung."

Banken bündeln die Nachfrage der Anleger

Und die besteht darin, die Nachfrage nach Bundesanleihen zu bündeln: Sie kommt von Pensionskassen, Versicherungen oder Fondsgesellschaften, die jeweils nur wenige Millionen anlegen wollen. Müsste die Bundesregierung mit ihnen direkt handeln, hätte sie es mit hunderten Partnern zu tun statt der eingangs erwähnten 36. Innerhalb weniger Stunden drei Milliarden neuer Schulden aufzunehmen wäre dann deutlich komplizierter.
Dabei sehen Staatsanleihen schon seit 2012 nach einem schlechten Geschäft aus. In dem Jahr brach das Wort "Negativzins" aus volkswirtschaftlichen Theorieseminaren in die freie Wildbahn aus. Die Bundesregierung muss seitdem weniger Geld zurückzahlen, als sie an Schulden aufnimmt. Die Anleger bekommen weniger, als sie investiert haben.

Sichere Anleihen für die Balance

Warum tun sie es dann überhaupt? Jörg Warncke, Portfolio-Manager bei Union-Investment, dem Fondsanbieter der Volks- und Raiffeisenbanken:
"Wenn man zum Beispiel Aktien hält, dann ist es schlau, auch sichere Rentenanlagen zu halten. Das war in der Vergangenheit meistens eine gute Balance, weil die sich gegenläufig entwickeln und damit die Wertentwicklung glätten im Laufe der Zeit. Und das ist ein Motiv, das viele institutionelle Anleger verfolgen, und wir eben in unseren Fonds auch, um die Schwankungsanfälligkeit erträglich zu gestalten."
Darum hat Union Investment die 350 Milliarden Euro, die das Unternehmen für seine Kunden verwaltet, nur zu einem geringen Teil in deutschen Staatsanleihen investiert. Aber wenn der Staat jetzt auf einmal so viel mehr Geld braucht, also seine Nachfrage danach erhöht, müsste dann nicht auch bald der Preis dafür, also der Zinssatz, steigen? Rückblick: Erinnern Sie sich noch hieran?
Mit der computeranimierten Schildkröte namens Günter Schild machte die Bundesregierung noch 2008 Reklame für Bundesschatzbriefe als Geldanlage für Kleinsparer: "Bundeswertpapiere. Die entspannteste Geldanlage Deutschlands."

Schäuble schaffte Bundesschatzbriefe ab

2012 war damit Schluss. Wolfgang Schäuble schaffte als Finanzminister die Bundesschatzbriefe ab. Das Kleinsparergeschäft wurde ihm zu mühsam. Er brauchte ihr Geld nicht mehr. Voriges Jahr hat Deutschland den letzten Euro aus Bundesschatzbriefen getilgt.
Was müsste für ihre Wiederauferstehung passieren? Wie viel mehr könnte die Bundesregierung noch an neuen Schulden aufnehmen? Makroökonom Alexander Kriwoluzky vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin sieht noch beträchtlichen Spielraum, lag doch Deutschlands Schuldenstand zuletzt bei etwa 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
"Wir hatten nach der Finanzkrise einen Schuldenstand von 80 Prozent relativ zum Bruttoinlandsprodukt", erklärt er. "Und selbst bei diesem Schuldenstand musste der deutsche Staat keine großen Aufschläge auf seine Anleihen bezahlen beziehungsweise die Marktteilnehmer haben die deutschen Staatsanleihen immer noch als sehr sicher empfunden. Ich kann mir gut vorstellen, dass der deutsche Staat zusätzlich wahrscheinlich noch 20 Prozent an zusätzlichen Schulden aufnehmen könnte, ohne dass die Marktteilnehmer einen Ausfall erwarten würden."

Die Zinsen können steigen – oder auch nicht

Das wären, gerechnet vom jetzigen Schuldenstand, nochmals rund 600 Milliarden. Dabei könnten die Zinsen steigen. Vielleicht. Denn dagegen wirkt neben den Anleihekäufen der Zentralbanken noch ein anderes Phänomen, auf das Finanzmarktökonom Markus Demary vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hinweist.
"Corona hat natürlich auch dazu geführt, dass viel gespart wird, weil entsprechend Haushalte und Unternehmen Ausgaben nicht tätigen", sagt er. "Oder im Moment auch nicht tätigen können. Gleichzeitig wird aber auch aufgrund der großen Unsicherheit nicht investiert. Es ist also letztlich auch Kapitalangebot auch da, das Finanzmarktanlagemöglichkeiten sucht. Und das führt auch zu niedrigeren Zinsen, hier. Das heißt, wir haben durch die zunehmende Verschuldung steigende Zinsen. Es gibt aber auch zwei Effekte, die dagegen wirken, dass die Zinsen nicht allzu stark steigen werden."
Um zu sehen, welcher dieser Effekte im Moment die Oberhand hat, dazu schalten wir noch einmal zurück in das virtuelle Schuldenauktionshaus von Finanzministerium und Bundesbank.
"Zum Ersten, zum Zweiten und zum Dritten. Herzlichen Glückwunsch!"
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