Hossein Mousavian

"Ein nuklearer Deal mit dem Iran ist möglich"

Iranischer Diplomat und Politikwissenschaftler: Hossein Mousavian.
Iranischer Diplomat und Politikwissenschaftler: Hossein Mousavian. © Deutschlandradio - Philipp Eins
Moderation: Patrick Garber |
Stehen die Zeichen zwischen Teheran und Washington auf Tauwetter? An der US-Universität Princeton forscht Hossein Mousavian über das iranische Atomprogramm – und erläutert in "Tacheles", wie eine diplomatische Lösung des Atomstreits aussehen könnte.
Deutschlandradio Kultur: Unser Thema ist heute der Iran mit seinem Atomprogramm – und darüber wollen wir Tacheles reden mit einem Insider: Hossein Mousavian ist ein ehemaliger iranischer Diplomat, er hat für sein Land an Atom-Verhandlungen mit dem Westen teilgenommen und ist seit einigen Jahren Gastwissenschaftler an einer amerikanischen Universität. Momentan hält er sich auf Einladung der Körber-Stiftung in Berlin auf. Guten Tag, Herr Mousavian.
Hossein Mousavian: Guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben also selbst am Verhandlungstisch gesessen, als vor rund zehn Jahren das iranische Atom-Programm erstmals auf der diplomatischen Tagesordnung gestanden hat. In dieser Woche wurde darüber wieder verhandelt, in Wien, aber die Gespräche zwischen den fünf ständigen Sicherheitsrats-Mitgliedern plus Deutschland einerseits und dem Iran andererseits konnten nicht abgeschlossen werden. Das Feilschen geht also weiter bis Juli nächsten Jahres. Ist das ein Rückschlag, dass man in Wien nicht zum Abschluss gekommen ist?
Hossein Mousavian: Nein. Damals 2003-2005 hatten wir ja Verhandlungen, damals war ich noch Teil dieses Teams. Wir waren 2005 wirklich kurz davor, einen Vertrag zu verabschieden, aber wir sind gescheitert, weil die US-Regierung die legitimen Rechte des Irans abgestritten hat.
Wir hatten jetzt ein Jahr gemeinsame Verhandlungen mit den USA und den europäischen Ländern und wir haben sehr große Fortschritte erzielt in sehr, sehr kurzer Zeit. Iran und die Weltmächte haben sich schon darauf geeinigt, was für Transparenz-Maßnahmen mit der Internationalen Atomenergie-Behörde stattfinden sollten und auch, was den Atomwaffen-Sperrvertrag anbelangt. Und wenn es um Transparenz geht, sind wir durch.
Der zweite Teil der Maßnahmen, die diskutiert werden, da geht es um vertrauensbildende Maßnahmen, um sicherzustellen, dass es keine zukünftige Einmischung in das iranische Atom-Programm gibt. Es geht nicht nur um das nukleare Programm. Ich würde sagen, im zweiten Teil haben wir 70 Prozent der Probleme gelöst: Beispielsweise der Iran akzeptiert eine Beschränkung seiner Uran-Anreicherung auf fünf Prozent für einige Jahre.
Zwei Probleme bleiben übrig für die Verhandelnden, die müssen in drei Monaten gelöst werden. Da bin ich aber optimistisch, dass man sich da einigen wird. Das eine ist die Möglichkeit der Anreicherung, da hat man sich geeinigt, die auf das zu limitieren, was der Iran praktisch wirklich braucht. Für unser Atomkraftwerk haben wir beispielsweise ein Abkommen mit Russland, das wird 2021 beendet sein...
Deutschlandradio Kultur: Um das zu erläutern, es geht dabei darum, dass angereichertes iranisches Uran in Russland zu Brennstäben für Atomkraftwerke umgewandelt wird, die dann nicht mehr militärisch nutzbar wären.
"Der US-Kongress will ja Obama blockieren"
Hossein Mousavian: Das angereicherte Uran würde wirklich nur für das iranische Atomkraftwerk gelten, im Süden Irans, für nichts anderes. Darauf hat sich der Iran eingelassen.
Und das andere Problem besteht darin, was die Zeitdauer der Sanktionen anbelangt. Man hat sich geeinigt, dass bis zum Ende dieses Vertrages alle Sanktionen aufgehoben werden. Das sind die zwei Probleme, die es noch gibt, weil in einem Jahr hat man 70 bis 80 Prozent der Probleme gelöst, und nun denke ich wird man auch die restlichen 10 bis 20 Prozent lösen, die noch übrig sind.
Deutschlandradio Kultur: Sie meinen, dass damit die Befürchtungen der Weltgemeinschaft, nämlich dass Iran früher oder später doch die Atombombe anstrebt, dass die damit ausgeräumt werden könnten?
Hossein Mousavian: Ich glaube, man hat sich darauf schon geeinigt. Und ich glaube, dass die europäischen Mitglieder, Russland, China und sogar die US-Delegation davon überzeugt sind, dass die Maßnahmen, die man eingeleitet hat: Dass der Iran kooperativ sein wird, was die Transparenz angeht, was Inspektionen und Überprüfungen angeht und all diese Probleme wie die fünfprozentige Anreicherung und nicht mehr als man wirklich verbraucht im eigenen Land.
Ich glaube, all diese Maßnahmen haben dazu geführt – so sehe ich es zumindest –, dass das, was noch vor uns liegt, eher das Problem ist der USA, wie man in Zukunft zusammenarbeitet und wie Sanktionen aufgehoben werden. Der US-Kongress, der immer sehr negativ dem Iran gegenüber steht, ist nicht sehr kooperativ mit der US-Administration. Sie wollen ja Obama blockieren, der einen Deal mit dem Iran anstrebt. Das ist mehr eine inneramerikanische politische Angelegenheit.
Deutschlandradio Kultur: Aber dabei geht es auch um Vertrauen, es geht um die Frage in den USA aber auch vor allem in Israel, ob man sich darauf verlassen kann, dass der Iran niemals Atomwaffen anstrebt.
Hossein Mousavian: Ich bin mit Ihnen einverstanden, dass es ein großes Problem ist, wenn man einander nicht vertrauen kann. Wir müssen vertrauensbildende Maßnahmen schaffen. Aber ich glaube, wir sind uns beide einig, dass um dies Maßnahmen zu schaffen wir Kriterien brauchen für Vertrauen. Die Basis, die Kriterien für den Iran, Israel, die USA, Europa, die ganze Internationale Gemeinschaft ist der Atomwaffen-Sperrvertrag. Wir haben nichts anderes als Basis als diesen Atomwaffen-Sperrvertrag. Der Iran ist ein Mitglied dieses Vertrags und Israel ist kein Mitglied des Atomwaffen-Sperrvertrags. Daher müsste Israel ein Mitglied werden.
November 2014: Verhandlungen in Wien über das iranische Atomprogramm.
November 2014: Verhandlungen in Wien über das iranische Atomprogramm.© AFP / JOE KLAMAR
In den letzten zehn Jahren hat der Iran 7000 Leute, hat viel mehr IAEA-Inspektoren ins Land gelassen als andere Mitgliedsländer. Das hat es in der Geschichte des Atomwaffen-Sperrvertrags noch nie gegeben. Es hat noch nicht ein Mandat in Israel gegeben in den letzten 40 Jahren. Der Iran hat keine Atombombe und Israel besitzt 400 Atombomben. Daher ist es der Iran, der den Israelis nicht vertrauen sollte, weil Israel den Atomwaffen-Sperrvertrag ablehnt. Und der Iran besitzt ja gar keine Atombombe und hat den Kontrolleuren und Inspektoren Zugang gewährt.
Daher denke ich, dass die Israelis akzeptieren müssen, dass sie das Problem in der Region darstellen, weil sie das einzige Land sind, das die Atombombe besitzt. Kein anderes Land in dieser Region besitzt die Atombombe. Leider sind alle Sanktionen und der ganze Druck immer auf den Iran ausgerichtet, der ein Mitglied des Atomwaffen-Sperrvertrags ist und gar keine Atombombe besitzt. Und niemand redet von Druck auf Israel, das Atombomben besitzt, das sind doppelte Standards, das ist doppelzüngig.
"USA, Europa, Israel - alle haben Saddam Hussein unterstützt"
Deutschlandradio Kultur: Aber gerade weil es so ist, ist es deshalb nicht einfach eine Frage des nationalen Interesses des Iran, das man zumindest die Option auf den Besitz von Atomwaffen hat? Gerade weil Israel mit dem Iran ein – sagen wir mal – problematisches hat und eine Atommacht ist. Muss da nicht jeder verantwortliche iranische Führer an eigene Atomwaffen denken – und sei es nur zur Abschreckung?
Hossein Mousavian: Sehen Sie, wir hatten einen Krieg, Sie erinnern sich daran. Saddam Hussein hat den Iran überfallen. Die USA, Europa, Israel, sie haben alle Saddam Hussein unterstützt, der den Iran überfallen hat. Saddam Hussein benutzte chemische Waffen, wenn Sie sich erinnern. 100.000 Iraner sind entweder getötet oder verletzt worden. Die iranische Armee ist zu Ajatollah Chomeini damals gegangen, um eine Atombombe zu bauen, um zurückzuschlagen. In dieser Zeit hat Ajatollah Chomeini gesagt: Massenvernichtungswaffen sind haram, sind verboten und wir werden das nicht tun. Wir werden so nicht antworten, dass wir auf Massenvernichtungswaffen mit Massenvernichtungswaffen antworten. Wenn ein Land im Krieg nicht gegen den Feind zurückschlägt mit Massenvernichtungswaffen, wo 100.000 verletzt oder getötet worden sind, ist das nicht die beste Garantie und der Beweis dafür, dass die Iraner wirklich gegen Massenvernichtungswaffen sind?
Deutschlandradio Kultur: Trotzdem ist es so, dass die IAEA, die Internationale Atomenergie-Agentur, bis heute nicht Zugang zu allen iranischen Atomanlagen hat und sie bekommt auch keine Informationen über die eventuelle militärische Dimension des iranischen Atomprogramms, was Teheran eigentlich zugesichert hat. Warum neigt man im Iran so zur Geheimhaltung?
Hossein Mousavian: Nun, weil niemand hier der öffentlichen Meinung die Wahrheit sagt. Die Wahrheit besteht darin, dass der Iran und alle anderen Mitglieder des Atomwaffen-Sperrvertrags gezwungen sind, Abkommen zur Sicherheit abzuschließen. Der Internationalen Atomenergie-Behörde, wenn sie Inspektoren schickt, hat der Iran immer Zugang gewährt, den Kontrolleuren. Aber es gibt zwei andere Verträge, die nicht obligatorisch sind, sondern freiwillig. Das ist das Zusatzprotokoll und 80 Länder sind dort auch nicht Mitglieder.
Auch der Iran ist da nicht Mitglied bei diesem Zusatzprotokoll. Die Atomenergie-Behörde möchte, dass diese zwei freiwilligen Arrangements akzeptiert werden, damit man einen größeren Zugang, einen kompletten Zugang erhält. Der Iran ist dazu bereit, aber der Iran möchte diese beiden freiwilligen Vereinbarungen innerhalb eines Deals akzeptieren, um alle Dispute aus dem Weg zu räumen. Und wenn man da zu einem Abkommen gekommen ist, wenn man unterschrieben hat, dann wäre die Internationale Atomenergie-Behörde in der Lage, da auch hinzugehen. Aber man muss immer noch das Abkommen unterschreiben und dann sind weiterführende Inspektionen auch sehr wohl möglich, auch im militärischen Bereich.
"Die Sanktionen tun dem Iran weh, kein Zweifel"
Deutschlandradio Kultur: Herr Mousavian, das andere große Thema bei den Wiener Atom-Gesprächen waren die internationalen Sanktionen gegen den Iran. Da man bisher zu keiner Einigung in der Atom-Frage gekommen ist, bleiben diese Sanktionen jetzt erst einmal im Wesentlichen bestehen. Wie hart trifft das den Iran wirtschaftlich?
Hossein Mousavian: Die Sanktionen tun dem Iran weh, kein Zweifel. Die Iraner haben hohe Kosten dafür bezahlt, was die Sanktionen anbetrifft, sie haben schwer dafür bezahlt. Aber die iranische Nation, das hat eine Umfrage ergeben vor einigen Wochen, die iranische Nation, deren Politik basiert auf drei Punkten. Erstens: Sie möchten wirklich die vollen Rechte, um Atomenergie friedlich zu nutzen. Zweitens: Sie möchten keine Atombombe haben. Drittens: Sie möchten, dass die Sanktionen sofort unterbrochen, abgeschafft werden.
Aber wenn die USA weiter diskriminierend gegen die iranische Nation sich äußern und ihr legitime Rechte verweigern, die im Atomwaffen-Sperrvertrag enthalten sind, dann wird es noch weitere zehn Jahre Sanktionen geben. Deshalb hat das Team der Unterhändler sich dazu bereit erklärt, transparent zu sein und vertrauensbildende Maßnahmen zu ergreifen. Man will nicht ausbrechen aus dem Vertrag, weil man ja auch gar nicht die Atombombe möchte. Aber sie kämpfen für ihre legitimen Rechte, die festgehalten sind im Atomwaffen-Sperrvertrag. Es ist also an der Zeit, den Iran willkommen zu heißen und seine Politik, weil der Iran wirklich Garantien gibt, dass er keinen Ausbruch möchte, dass er alles akzeptiert, dass er vollen Zugang gewährt. Jetzt kann man diesen Vertrag unterschreiben und die Sanktionen aussetzen.
Der iranische Präsident Hassan Rouhani im Juni 2014.
Der iranische Präsident Hassan Rouhani.© AFP - ATTA KENARE
Deutschlandradio Kultur: Bis jetzt sind die Sanktionen aber noch nicht ausgesetzt und ist das ein Problem für Irans Präsidenten, für Hossein Rohani? Der ist ja angetreten, um die wirtschaftliche und soziale Lage der Iraner zu verbessern und das geht eben nur, wenn die Sanktionen beendet werden. Mit diesem Versprechen hat er die Aufnahme der Atomgespräche überhaupt durchgesetzt innenpolitisch gegen den Widerstand von konservativen Hardlinern. Aber jetzt kann er erst mal nicht liefern, weil, die Sanktionen bleiben ja.
Hossein Mousavian: Ja, das ist definitiv so. Rohani braucht es, dass die Sanktionen aufgehoben werden, damit er die iranische Wirtschaft wieder aufbauen kann und die aktuellen Probleme wie Inflation und Arbeitslosigkeit usw. regeln kann. Aber jetzt während seiner Regierungszeit von einem Jahr, während der die Sanktionen immer noch in Kraft waren, ist es ihm gelungen, die Inflation einzudämmen: Im letzten Jahr hat sich die Inflation von 40 Prozent auf 25 Prozent verringert. Zweitens: Er war in der Lage, die iranische Währung zu stabilisieren. Vor Rohani ist die iranische Währung acht Jahre lang immer weiter abgewertet worden, um 300 Prozent. Aber während die Sanktionen nicht aufgehoben worden sind, ist es Rohani gelungen, die Währung zu stabilisieren in seinem ersten Amtsjahr. Das bedeutet, dass, obwohl es die Sanktionen nach wie vor gibt, er einen sehr guten Job macht – obwohl es keine ideale Situation ist.
Und er muss es erreichen, dass die Sanktionen aufgehoben werden, um einen idealen Job zu machen. Gleichzeitig muss er dafür sorgen, dass die legitimen Rechte der iranischen Nation innerhalb des Atomwaffen-Sperrvertrags für friedliche Nutzung eingehalten werden. Daher haben wir hier zwei Probleme: Es geht um die friedliche Nutzung der Atomenergie und eine bessere wirtschaftliche Leistung. Und Rohani tut sein Bestes, um beides zu erreichen.
"Im Iran haben wir Prinzipialisten und Moderate"
Deutschlandradio Kultur: Sie kennen Präsident Rohani ganz gut, Herr Mousavian, Sie haben jahrelang eng mit ihm zusammengearbeitet. Wie stark ist seine Stellung derzeit – und wie stark sind die Konservativen im Iran, die eine Annäherung an den Westen nicht wollen?
Hossein Mousavian: Die innenpolitische Situation im Iran ist ähnlich wie die Situation in den USA. In den USA haben wir den Kongress und die Administration, wir haben die Republikaner und die Demokraten. Im Iran haben wir Prinzipialisten und Moderate. Und das ist gleich. Die innenpolitische Lage im Iran und den USA ähnelt sich, mit einer Ausnahme: Im Iran gibt es einen, der die Entscheidungen treffen kann. Wenn es einen Vertrag gibt und der Oberste Führer einverstanden ist, dann ist das ein Vertrag, dann ist der Iran einig, da wird es keinen Streit mehr geben. Das ist jedoch nicht der Fall in den USA. Wenn die Administration einen Vertrag unterschreibt, kann der Kongress das noch verhindern. Wir haben also eine USA, die zerstritten ist, und einen geeinten Iran, daher mache ich mir keine Sorgen, was den Iran anbelangt, ich mache mir Sorgen um die innenpolitische Lage in den USA.
Deutschlandradio Kultur: Der Oberste Führer, den Sie gerade erwähnt haben, Ajatollah Chomeini, der hat in den letzten Monaten mehrmals Post von US-Präsident Barack Obama bekommen. Washington strebt offenbar eine gewisse Zusammenarbeit mit dem Iran an bei der Bekämpfung eines gemeinsamen Gegners, nämlich der Terroristen des so genannten Islamischen Staats im Irak und in Syrien. Ist der Iran bereit zu so einer Zusammenarbeit und wie könnte die aussehen?
US-Präsident Barack Obama.
Er strebt offenbar eine Zusammenarbeit mit dem Iran an: US-Präsident Barack Obama.© pa/dpa
Hossein Mousavian: Die Iraner waren immer gegen Terrorismus. Leider ist das etwas, das nicht in der westlichen öffentlichen Meinung verbreitet wird. Schauen Sie sich den so genannten Islamischen Staat, die IS an. Wir haben eine Koalition für Luftangriffe, die USA sind der Führer dieser Koalition, die andern sind praktisch nur Peanuts. 99 Prozent der Luftschläge sind amerikanisch. Alle wissen, man kann den IS nicht nur aus der Luft besiegen, das wissen alle in den USA und auch in Europa. Man braucht Bodentruppen.
Der Iran spielt hier eine Schlüsselrolle, jetzt schon, auf praktischer Ebene in der Bekämpfung des IS am Boden. Der Iran hat praktisch eine Koalition für Bodentruppen gebildet: die irakischen, die syrischen, die Peschmerga aus Kurdistan, die Hisbollah und der Iran – sie bekämpfen den IS auf dem Boden. Sonst ist da niemand, der Bodentruppen schickt. Wenn es den Iran nicht gäbe, wäre Bagdad längst gefallen, das wissen alle. Wenn es den Iran nicht gäbe, wäre Erbil, die Hauptstadt Kurdistans, gefallen. Nur dank des Irans ist es IS nicht gelungen, Erbil zu erobern und auch nicht den Irak völlig zu erobern. Und der IS hat deshalb Rückschläge erlitten, weil die irakische und iranische Armee zusammenarbeiten und die Amerikaner Luftangriffe ausführen.
Deutschlandradio Kultur: Wenn man das so hört, klingt das so, als würde der Iran – mal abgesehen jetzt von dem aktuellen Problem Islamischer Staat – generell anstreben, so etwas wie eine Ordnungsmacht in der ganzen Region zu spielen.
"Wir haben damals die Taliban bekämpft, heute den IS"
Hossein Mousavian: Nach dem Zusammenbruch des Saddam-Regimes waren sich der Iran, Europa und die USA einer Meinung, die neue Regierung im Irak zu unterstützen. Da gab es überhaupt gar keinen Streit. Und als al-Maliki dann nicht gut genug war, hat Iran dafür gesorgt, dass es einen neuen Präsidenten geben wird, der zu den Sunniten eine bessere Beziehung hat. Wir haben damals die Taliban bekämpft, heute den IS, wir haben Afghanistan stabilisiert – der Iran hat seit einem Jahrzehnt eine positive und konstruktive Rolle in der Region gespielt. Wir sind uns nicht einig, was Syrien anbelangt, aber der Iran ist auch da zu einer Kooperation bereit, um die syrische Krise friedlich zu lösen, mit diplomatischen Mitteln.
Deutschlandradio Kultur: Aber wie könnte diese friedliche Lösung in Syrien aus iranischer Sicht aussehen – dass Präsident Assad einfach im Amt bleibt nach allem, was er getan hat?
Hossein Mousavian: Wissen Sie, die syrische Regierung ist legal, sie hat überall in Europa Botschaften. Es gab Demonstrationen, Assad hat einen Fehler gemacht, er hat nicht gut auf diese Demonstrationen reagiert. Aber das sollte kein legitimer Grund sein für andere Länder, einzugreifen in Syrien, um radikalen Terroristen Waffen zu liefern, um einen Regimewechsel in Syrien zu erzwingen. Es gibt kein UN-Mandat, das es arabischen Ländern, den USA oder Europa erlauben würde, Terroristen mit Waffen zu beliefern, um Assad zu bekämpfen. Der Iran wurde von Syrien dazu eingeladen, bei der Stabilität zu helfen.
Der Iran ist für freie Wahlen in Syrien, aber heute ist in Syrien einfach eine so instabile Situation. Man muss mit dem Iran und mit Russland kooperieren, damit die Terroristen erst einmal besiegt werden. Zweitens: Der Bürgerkrieg muss beendet werden. Drittens: Es muss humanitäre Hilfe geben, damit die Flüchtlinge zurückkehren. Viertens: Es muss eine Phase des Übergangs geben. Fünftens können dann von den UN kontrollierte Wahlen stattfinden, um die syrischen Probleme friedlich zu lösen. Und der Iran wäre sehr positiv und sehr kooperativ für so eine Lösung.
Deutschlandradio Kultur: Für die Rolle als Ordnungsmacht im Nahen Osten, die Sie anstreben, muss ja auch irgendwie das Verhältnis des Iran zu Israel geklärt werden. Israel ist ein enger Verbündeter der USA und die Bundeskanzlerin sagt, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson. Der Iran hingegen strebt nach wie vor ganz offiziell die Vernichtung des Staates Israel an. Wie will Teheran mit dieser Position aus seiner diplomatischen Isolation herauskommen?
Hossein Mousavian: Nein, die offizielle Politik des Iran wird vom Obersten Führer des Iran erklärt und dieser Oberste Führer ist derjenige der Entscheidungen trifft in der Außenpolitik, das ist offiziell. Er hat gesagt, die iranische Politik ist: freie Wahlen von Juden, Moslems und Christen, um zu entscheiden, was ihre Zukunft sein soll und die Zukunft des Landes. Was immer das Resultat sein wird bei freien Wahlen, das würde der Iran immer respektieren. Das ist die Position des Iran. Zweitens: Wenn Sie davon reden, der Iran hätte Israel nicht anerkannt – die Mehrheit der Alliierten Amerikas und Europas in der muslimischen Welt hat Israel noch nicht anerkannt, Saudi-Arabien beispielsweise hat Israel nicht anerkannt. Aber die USA haben gute Beziehungen zu Saudi-Arabien, sie bekommen Waffen und andere Dinge, und Saudi-Arabien hat Israel auch nicht anerkannt. Über 57 islamische Länder haben Israel nicht anerkannt – warum wird nur der Iran angegriffen, wenn die Mehrheit der alliierten arabischen Länder Israel auch nicht anerkennt?
Als ich hier Botschafter war, sagte mir jeder bei jedem Treffen in Bonn: Wissen Sie, die Zwei-Staaten-Lösung ist möglich, nur der Iran stellt ein Problem dar. Sie haben den Iran dafür verantwortlich gemacht, dass der Friedensprozess nicht in Gang kam. Wir sagten: Der Friedensprozess ist kein Problem, das vom Iran stammt. Jetzt haben die USA alles getan, damit es eine Zwei-Staaten-Lösung geben kann und sie sind gescheitert. Und die USA, Europa, die Welt verstehen jetzt, und sie haben verstanden: Das Problem mit dem Friedensprozess und der Zwei-Staaten-Lösung ist Netanjahu. Er ist derjenige, der die Zwei-Staaten-Lösung ablehnt. Daher, wenn Sie ein Problem haben, wen Netanjahu nicht kooperiert mit der US-Administration, wenn Netanjahu nicht kooperiert mit Europa – warum wird der Iran wieder verantwortlich gemacht?
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank für das Gespräch.
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