Warum internationale Unterstützung beim Weg aus der Narco-Diktatur hilfreich sein kann, erklärt Günther Maihold, stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, im „Weltzeit“-Interview:
„Die internationale Zusammenarbeit ist in einem solchen Fall eine Ressource, um voranzukommen. Sie kann für Transparenz sorgen, sie kann das, was national nicht benannt werden kann, benennen, sie kann mit Abhörmethoden oder V-Männern die Strukturen durchdringen und diese öffentlich machen. Sie kann den Aufbau einer unabhängigen Staatsanwaltschaft unterstützen und dadurch Druck auf die nationalen Behörden ausüben. Die Sichtbarkeit, die dadurch hergestellt wird, ist von großer Bedeutung, weil sich bestimmte Personen öffentlich rechtfertigen müssen.“
Honduras erste Präsidentin
Hoffnungsträgerin: Präsidentin Xiomara Castro - hier mit ihrem Ehemann Mel Zelaya, der selbst einmal Präsident von Honduras war und aus dem Amt geputscht wurde. © Getty Images / SOPA Images / LightRocket / Seth Sidney
Xiomara Castro räumt auf
24:45 Minuten
Der Ex-Präsident im Knast, das Land unterwandert von der Drogenmafia, Korruption auf allen Ebenen – diese Erbe hat Xiomara Castro angetreten. Die erste Frau im Präsidentenamt will Honduras aus der „Narco-Diktatur“ führen. Ein gefährliches Unterfangen.
Es war nicht nur ein normaler, demokratischer Machtwechsel, der sich im Januar in Honduras vollzogen hat. Xiomara Castro ist die Hoffnungsträgerin schlechthin, nachdem ihr Amtsvorgänger, Juan Orlando Hernández, Honduras endgültig in den Ruin getrieben hat. Inzwischen sitzt der Ex-Präsident in den USA im Gefängnis, nur einen Monat nach dem Ende seiner Präsidentschaft wurde er verhaftet. Der erste Coup ist Xiomara Castro damit nach 100 Tagen im Amt gelungen.
Narco-Diktatur - Ein Begriff wird geboren
Ihrem Vorgänger wird vorgeworfen, ein ganz großer Fisch im Drogenhandel gewesen zu sein und ein Netzwerk aus Abhängigkeiten gesponnen zu haben, um sukzessive den gesamten Staat unter seine Kontrolle zu bringen. Ein neuer Begriff war geboren: die Narco-Diktatur.
Iolany Pérez, Journalistin beim jesuitischen Radio Progreso, spricht aus diesem Anlass offen davon, dass es der Präsident selbst war, der an der Spitze der honduranischen Narco-Diktatur stand.
„Die Niederlage der Nationalpartei ist die Folge eines zwölfjährigen Kampfes der Zivilgesellschaft gegen diese Narco-Diktatur. Die Auslieferung Juan Orlando Hernández ist für die Menschen Anlass zu Freude und Hoffnung, sagt dies doch, dass es Gerechtigkeit gibt, sehr spät zwar und im konkreten Fall aus den USA, aber sie kommt! So kann der Verantwortliche für Morde, Repression und Leiden seiner gerechten Strafe zugeführt werden.“
Narco-Diktatur, das ist eine Charakterisierung des Systems, das die Nationalpartei unter Hernández in den letzten zwölf Jahren geschaffen hat. Kleptokratie ist die andere. Sie habe einen Staat am Rande des Bankrotts übernommen, sagte die neue Präsidentin gleich zu Beginn ihrer Antrittsrede. Dennoch will und muss sie etwas tun, vor allem für die Armen.
Kein Staat weit und breit
Miriam Sierra lebt seit über 20 Jahren im Bordo La Esperanza. Los Bordos, so heißen die Armenviertel von San Pedro Sula. Unasphaltierte Straßen mit tiefen Löchern, die sich in der Regenzeit in Matschpisten verwandeln. In den Flussbetten liegen Tonnen von Müll, nicht nur aus den Bordos, sondern auch aus den oberhalb liegenden, wohlhabenderen Vierteln.
In den aus Paletten und Wellblech zusammengeschusterten Hütten drängen sich auf engem Raum oft ein Dutzend Menschen. 70 Prozent der Honduraner*innen leben unter der Armutsgrenze. Die Situation habe sich in den letzten zwölf Jahren, also in der Zeit der Narco-Diktatur, unter dem nun verhafteten und ausgelieferten Juan Orlando Hernández drastisch verschlechtert.
Miriam Sierra wird wütend bei dem Gedanken. „Die Regierung war unsäglich. Wir kämpfen hier ums Überleben und die stopfen sich die Taschen voll. Unsere Jugendlichen hier arbeiten allenfalls tageweise, irgendwo auf dem Bau oder bei einem Lieferdienst, es gibt keine Jobs. Natürlich fühlen sie sich von den Maras, den Banden angezogen. Sie sehen da einfaches Geld, vor allem auch eine Gemeinschaft. Und viele, die von hier in die USA wollen, verschwinden und sterben auf dem Weg.“
Die neue Regierung hat beschlossen, den Ärmsten in Honduras unter die Arme zu greifen. Für sie soll Elektrizität kostenlos sein, der öffentliche Busverkehr subventioniert werden, in den Schulen sollen Studiengebühren wegfallen und ein kostenloses Mittagessen angeboten werden.
Privatwirtschaft profitiert von Narco-Diktatur
Für Unternehmen war Honduras in den letzten zwölf Jahren trotz dieser Narco-Diktatur ein attraktiver Standort - und als solchen ließ Ex-Präsident Hernández Honduras international vermarkten. Kaum Auflagen, kaum Abgaben und wenn, dann ließen sich Schwierigkeiten mit Geld aus dem Weg räumen. Seit dem Machtwechsel liegen die Dinge anders: Einem Lieblingsprojekt der Regierung des Juan Orlando Hernández erteilte Xiomara Castro gleich in ihrer Antrittsrede eine Abfuhr. Per Dekret werde sie die ZEDEs stoppen.
Die ZEDEs, sogenannte Sonderentwicklungszonen, sollten internationalen Unternehmen die Ansiedlung in Honduras schmackhaft machen. Sie gehen aber weit über die in Lateinamerika verbreiteten Sonderwirtschaftszonen hinaus, in denen die Unternehmen vor allem Steuervorteile genießen.
José Ramon Ávila, Chef einer Koalition von zwei Dutzend honduranischer NGOs, kämpft gegen die ZEDEs, seit das Projekt zu Beginn von Hernández erster Amtszeit publik wurde. „Die ZEDEs sollen kleine Staaten auf dem Hoheitsgebiet von Honduras sein. Die Unternehmen übernehmen die volle Kontrolle über das Gebiet, einschließlich der politischen, steuerrechtlichen, polizeilichen und richterlichen Kontrolle. Jede einzelne ZEDE wird also komplette interne Autonomie besitzen. Das wäre in jedem anderen Rechtsstaat undenkbar!“
Ein großer Teil des Landes ist zudem konzessioniert: An Bergbaukonzerne, die Gold im umweltzerstörerischen offenen Tagebau fördern, Wasserkonzerne haben sich Konzessionen über Flüsse und Wasseradern gesichert, an Holzkonzerne wurden riesige Waldstücke übereignet. Dagegen regte sich von Anfang an Widerstand, gegen den aber hart vorgegangen wurde, erklärt José Ramon Ávila.
„Da wurde über Jahre ein repressiver Apparat geschaffen, der gegen Proteste und Demonstrationen der Menschen vorgehen kann. Während das Strafmaß für Korruption und Amtsmissbrauch gesenkt wurde, kriminalisiert das neue Strafrecht Menschen, die sich gegen ihre Enteignung oder Räumung wehren, als Terroristen.“
Alle Hoffnungen ruhen auf der Präsidentin
Hundert Tage ist Xiomara Castro im Amt und alle Hoffnung ruht auf ihr. Ihre Unterstützerinnen und Unterstützer erwarten zu allererst spürbare, wirtschaftliche Verbesserungen. Der noch von der Hernández-Regierung beschlossene Haushalt 2022 wurde massiv aufgestockt. Die Gelder werden bevorzugt ins Gesundheitswesen, in Bildung und Armutsreduzierung, in die kleinbäuerliche Landwirtschaft und den Umwelt- und Klimaschutz gesteckt, gesonderte Programme kommen Frauen und Indigenen zu Gute.
Einfach wird all das nicht: Während internationale Anleger die linke Regierung mit Argwohn betrachten und das gestiegene Budget kritisieren, sind mit dem Ukraine-Krieg die Lebenshaltungskosten deutlich angezogen, schon jetzt gibt es Proteste wegen der Preiserhöhungen im Nahverkehr.
Die entscheidende Herausforderung dürfte allerdings die Demontage der Narco-Diktatur sein. Elvia Ondina Varela Ávila ist Präsidentin der Richtervereinigung für Demokratie. Die Nationalpartei habe unter Ex-Präsident Juan Orlando Hernández systematisch die Demokratie in Honduras ausgehöhlt.
„Die drei Gewalten waren nicht voneinander unabhängig. Alle Einrichtungen des Staates sind von der Regierung auf Linie gebracht worden. In diesen zwölf Jahren haben sie es fertiggebracht, die Justiz, die Ermittlungsbehörden und die Nationalpolizei unter ihren Einfluss zu bringen. Ermittlungen wurden systematisch behindert.“
Um internationale Hilfe wird gebeten
Es ist ein System aus Korruption und Verstrickungen mit dem organisierten Verbrechen, das jeden Winkel in Honduras erreicht. Möglicherweise braucht es auch hier Hilfe von außen. Wie ab 2016, als in Honduras die MACCIH, eine Uno-Mission gegen Korruption und Straffreiheit arbeitete - mit internationalen Ermittlungsteams.
2020 schmiss Juan Orlando Hernández die MACCIH aus dem Land. Richterin Varela Ávila kann sich eine Wiedereinsetzung vorstellen. „Natürlich, wir sollten nicht an Dritte herantreten, um unsere Probleme zu lösen. Aber die Korruption ist so stark, dass es vielleicht besser ist, wieder Leute von außen zu holen. Ich bin für eine UN-Kommission, ich glaube, das kann funktionieren. Wenn sie denn mit fähigen lokalen Staatsanwälten und Menschenrechtsorganisationen zusammenarbeitet.“
Programme und Gesetze gegen Korruption und Amtsmissbrauch sind auf dem Weg, federführend ist das eigens gegründete Antikorruptionsministerium. Und wegen besagter Hilfe von außen hat die neue Präsidentin bereits Ende Februar die UNO um Unterstützung gebeten. Noch fehlt allerdings ein gesetzlicher Rahmen, der einer neuen UN-Mission ein robustes Mandat garantiert und die Unabhängigkeit der zukünftigen Ermittler schützt.
Xiomara Castro wird sich auch daran messen lassen müssen, ob sich die Sicherheitslage spürbar verbessert. Honduras gilt immer noch als eines der gefährlichsten Länder, mit einer der weltweit höchsten Mordraten. Neben der Armut ist sie verantwortlich für die Zehntausendfache Migration Richtung USA.
Die Tatsache, dass Xiomara Castro verheiratet ist mit Mel Zelaya, der selbst einmal Präsident von Honduras war und 2009 aus dem Amt geputscht wurde, trübt die Aufbruchstimmung. Viele meinen, er halte sich für den eigentlichen Präsidenten, sogar eine Kabinettssitzung hat er schon geleitet. Und bei aller Euphorie gibt es auch die Sorge, dass nach der Narco-Diktatur des Juan Orlando Hernández eine Familiendynastie der Zelaya-Castro drohen könnte.