Homo naledi

Der neue Frühmensch

Homo naledi - ein Rekonstruktion der entdeckten Menschenart
Homo naledi - ein Rekonstruktion der entdeckten Menschenart © AP / National Geographic / Mark Thiessen
Von Michael Stang · 17.09.2015
Einen solchen Fund hat es lange nicht gegeben: In Südafrika haben Forscher Knochenfragmente eines bislang unbekannten Frühmenschen entdeckt. Doch wie passt der Homo naledi in den Stammbaum des modernen Menschen? Die Wissenschaftler stehen noch vor einem Rätsel.
Nur etwa 40 Kilometer von Johannesburg in Südafrika entfernt liegt Sterkfontein. Die zahlreichen Karsthöhlen gehören zum UNESCO-Welterbe und werden als Wiege der Menschheit bezeichnet. Hier wurden zahlreiche Frühmenschenfossilien gefunden.
In der Museumscafeteria von Sterkfontein treffen sich Geologen und Höhlenkletterer, die im Auftrag der Universität von Witwatersrand die Höhlen im benachbarten Rising Star System nach neuen Fossilienstätten durchsuchen. Einer von ihnen ist Steven Tucker. Vor zwei Jahren stieß er in 30 Metern Tiefe auf einen winzigen Eingang, der nur 17 Zentimeter breit ist.
"Ich gehöre zu den schlaksigen Typen, die sich durch solche schmalen Gänge zwängen können, aber so wenige Zentimeter waren auch für mich eine Herausforderung."
Das Unterfangen war gefährlich, denn in den Höhlen gibt es oft Unfälle.
"Es war aufregend, sich durch diesen kleinen Eingang nach unten zu begeben. Die Höhle ist eigentlich bekannt, aber diese Ecke des System hatte nie einer beachtet. Dort unten stießen wir direkt auf viele Fossilien. Wir hatten aber keine Ahnung, wie alt sie waren, wie viele es sind oder zu welcher Menschenart sie gehören."
Die Knochen wurden monatelang untersucht. Jetzt liegen die Resultate vor
Einige Tage darauf startete die "Rising Star Expedition". Deren Leiter, der Paläoanthropologe Lee Berger aus Johannesburg, stellte ein internationales Ausgrabungsteam auf die Beine. Die Arbeiten begannen Ende 2013.
"Nach einer Woche hatten wir schon genauso viele Fossilien ausgegraben, wie jemals in Sterkfontein gefunden wurden, die bis dahin als reichhaltigste Fundstätte für Frühmenschenfossilien in Südafrika galt. Am Ende waren es mehr Knochen als alle Funde im südlichen Afrika in den vergangenen 90 Jahren zusammen."
2014 fand eine weitere Grabung statt, danach wurden die Knochen in wissenschaftlicher Kleinarbeit monatelang untersucht. Jetzt liegen die Resultate vor.
Einer der Leiter des Rising-Star-Projekts ist John Hawks von der Universität von Wisconsin in Madison. Er hat fast die Hälfte der vergangenen zwei Jahre in Südafrika verbracht. Der Paläoanthropologe sitzt in dem großen Fossilienraum in Johannesburg, in dem die Rising-Star-Knochen bearbeitet wurden.

"Das sind die Überreste von mindestens 15 Personen. Viele Stücke können wir einzelnen Knochen zuordnen, da wissen wir, ob das ein Teil eines Oberschenkelknochen ist oder das eines Schienbeins. Hunderte Knochen sind nahezu unversehrt, zudem haben wir eine vollständige Hand und einen ganzen Fuß, auch mehr als 150 Zähne."
Und, es sind wohl die Knochen einer ganzen Sippe.
"Wir haben alles, was es in einer Population gibt. Erwachsene, Heranwachsende, Kinder und Babys, Frauen und Männer."
Das Skelett eines Homo naledi ist an der Wits-Universität in Johannesburg ausgelegt
Das Skelett eines Homo naledi ist an der Wits-Universität in Johannesburg ausgelegt© picture alliance / dpa / John Hawks / University Of Wisc.
"Wir haben nicht genug Ausgrabungsteams da draußen"
Die Knochen gehören alle zu einer bislang unbekannten Frühmenschenart, die die Forscher als Homo naledi bezeichnen. Der Name bedeutet Stern in Sotho, einer der lokalen Sprachgruppen in Südafrika.
"Die Knochen sind nicht menschlich, gehören also nicht zu unserer Spezies, es ist eher das, was wir Frühmenschen nennen."
Hochgerechnet kamen die erwachsenen Mitglieder von Homo naledi auf eine Durchschnittgröße von 1,46 Metern. Damit unterscheiden sie sich nicht groß von heute lebenden kleinen Menschen, wie sie in einigen afrikanischen Gebieten vorkommen. Anatomisch betrachtet sind die Skelette ein Mosaik: denn während Hände und Füße unserer Art Homo sapiens sehr ähnlich sind, wirken Brustkorb Schultergürtel und Becken primitiv und erinnern an frühe Homo-Vertreter wie Homo rudolfensis, Homo habilis oder Homo erectus, die vor rund zwei Millionen Jahren lebten. Der Schädel ist sehr klein und hat eine geringe Hirnkapazität, seine Form jedoch, ebenso Kiefer und Zähne, sind wieder modern. Für John Hawks aber ist klar:
"Ich denke, dass wir eine gute Hypothese haben, um was es sich bei diesen Individuen handelt. Das war nicht einfach, schließlich galt es Daten einer ganzen Population zu analysieren."
Wo genau Homo naledi im Stammbaum des Menschen anzusiedeln ist, ob er gar ein direkter Vorfahre des modernen Menschen ist, da bleiben die Forscher vorsichtig. Denn wie alt die Knochen sind, ist unklar. In der Höhle gibt es weder Tropfsteine, noch Werkzeuge oder sonstige Hinterlassenschaften, die eine Datierung erlauben würden. Auch andere Methoden, die in der Archäologie oder Geologie normalerweise zum Einsatz kommen, waren nicht erfolgreich. Klar ist nur, dass es ein sehr primitiver, also ursprünglicher Vertreter der Gattung Homo ist. Doch Projektleiter Lee Berger denkt schon weiter.
"Diese Funde zeigen uns deutlich, dass wir nicht genug Ausgrabungsteams da draußen haben. Wir können nicht den Ursprung der Menschheit verstehen, wenn wir nicht reichlich gut erhalte Fossilien vorliegen haben. Also müssen wir weiter suchen und nicht nur in Afrika, sondern in anderen Regionen der Erde. Erst all das zusammen wird uns vielleicht helfen die Frage zu beantworten, woher wir wirklich stammen."
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