Holocaust auf dem Balkan

Fragmente des Bösen

Die kroatische Schrifstellerin Dasa Drndic auf der Lit.Cologne in Köln 2015
Die kroatische Schrifstellerin Dasa Drndic auf der Lit.Cologne in Köln 2015 © Henning Kaiser / dpa
Dasa Drndic im Gespräch mit Andrea Gerk · 09.07.2015
Die kroatische Schriftstellerin Dasa Drndic hat einen formal sehr ungewöhnlichen Roman mit einem merkwürdigen Titel geschrieben: "Sonnenschein". Denn den Rahmen der Geschichte bildet der Holocaust. Für Drndic ist es ein Text über Identitäten, Mitläufer und die Macht des Bösen.
Die kroatische Schriftstellerin Dasa Drndic wurde 1946 in Zagreb geboren. Rund 20 Jahre war sie Redakteurin, Regisseurin und Autorin in der Hörspiel- und Featureabteilung von Radio Belgrad.
Drndic hat mehrere Jahre in Kanada und den USA an Universitäten gelehrt und unterrichtet heute Englische Literatur an der Hochschule von Rijeka. Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt, nun ist ihr erstes Buch auf Deutsch erschienen, das gleich auf der Shortlist des Internationalen Literaturpreises landete.
Der Titel des Buches ist sonderbar: "Sonnenschein". Denn es geht den nationalsozialistischen Judenmord im nördlichen Italien und heutigen nördlichen Slowenien und Kroatien.
Die Mutter ist Jüdin, der Vater ein grausamer SS-Mann
Den Rahmen des Buches bildet die Geschichte eines traumatischen Verlusts: Eine Mutter hat kurz nach der Geburt ihren Sohn verloren, er ist von den Nazis entführt worden. Damit nicht genug: Der Vater des Kindes ist ein hochrangiger, grausamer SS-Mann, die Mutter eine Jüdin. Zu Beginn des Romans wartet die Mutter seit 62 Jahren auf ihren Sohn, verstummt und vereinsamt und umgeben von Dokumenten. Am Ende kommt der Sohn tatsächlich.
Doch mit dieser Rahmenhandlung ist das Buch nur unzulänglich beschrieben. Es ist ein fragmentarischer Text, dessen Konstruktion komplex anmutet. Die Autorin weist dies allerdings im Interview zurück: Ihr Buch sei nicht komplex – wir seien es nur nicht daran gewöhnt, Fragmentarisches zu lesen.
Drndic stellt Fragen, antworten müssen die Leser
Drndic will mit ihren Überzeugungen nicht durch die Vordertür: Sie als Autorin stelle die Fragen, und die Leser müssten dann jeweils für sich die Antworten darauf finden, sagt sie. Ihr Buch handele von Identitäten und wie sich diese bildeten, von der Macht des Bösen, und auch vom Mitläufertum.
Hier gibt Drndic dann doch ihre Haltung preis: Nicht jeder der Mitläufer habe sich schuldig gemacht, aber alle waren verantwortlich, betont sie.
Und das gelte nicht nur für den Holocaust, sondern für alle Zeiten.
Dasa Drndic: "Sonnenschein"
Hoffmann und Campe 2015
400 Seiten, 24 Euro
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