"Hört, hört!" beim Kunstfest Weimar

Der Streit ums Bauhaus als Puppenspiel

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Von Karl Marx bis Adolf Hitler: die Puppenspielerin und -bauerin Suse Wächter umgeben von ihren Puppen. © imago / epd
Suse Wächter im Gespräch mit Janis El-Bira · 25.08.2018
Anfang der 1920er-Jahre wurde heftig um die Bauhaus-Schule in Weimar gestritten. Jetzt hat die Puppenspielerin Suse Wächter die Kontroverse auf die Bühne gebracht: mit Sigmund Freud und einem deutschnationalen Studienrat als Hauptfiguren.
Janis El-Bira: Dass ein Geburtstag wirklich bedeutend ist, merkt man oft daran, dass er sich lange ankündigt. So ist es im Moment auch beim Bauhaus. Denn obwohl das hundertjährige Jubiläum der einflussreichsten Kunst- und Architekturschule der Moderne eigentlich erst im nächsten Jahr ansteht, wird das Bauhaus schon jetzt überall gefeiert. Dass das allerdings nicht immer so war, kann man jetzt in der Geburtsstadt des Bauhaus beim Kunstfest Weimar erleben. Dort ist mit "Hört, hört! Die Bauhaus-Protokolle" eine neue Produktion der viel gefeierten Puppenspielerin Suse Wächter zu sehen. Darin geht es um die politischen Kontroversen, die die Gründung des Bauhaus in der jungen Weimarer Republik begleitet haben. Ich habe Suse Wächter vor unserer Sendung getroffen und sie zu Beginn unseres Gesprächs gefragt, was das Bauhaus eigentlich für sie bedeutet.
Suse Wächter: Also, ich bearbeite mit meinem Stück zurzeit diese ganz frühe Bauhaus-Phase, die erste Phase in Weimar praktisch. Die war zwischen 1919 und 24, da mussten die Bauhäusler eigentlich wieder gehen oder sie haben selbst gekündigt, und das war noch eine sehr starke Experimentierphase, würde ich sagen. Also, die Setzung war ja, auch die Kunst wieder einzubeziehen in den Bau, und deshalb wurden auch Leute wie Paul Klee ans Bauhaus geholt, also wirklich noch Künstler. Irgendwann gab es auch da Gegenströmungen, die dann gesagt haben, die Kunst soll eigentlich nur ein Werkzeug sein, um die Gesellschaft umzugestalten, also, da wollte man die Kunst funktionalisieren, aber in der Weimarer Zeit, da war das noch ein richtiger integraler Bestandteil des Bauhauses.

Von links und rechts in der Kritik

El-Bira: Sie haben jetzt gerade schon diese Brisanz angesprochen, dass da auch dann später ein gesellschaftlicher Anspruch mit hineinkam. Jetzt heißt Ihr Abend "Hört, hört! Die Bauhaus-Protokolle – der große Streit von Weimar". Worüber wurde denn eigentlich im Thüringer Landtag damals gestritten, und welche Parteien standen sich sozusagen gegenüber?
Wächter: Ja, lustig, irgendwie steckte da praktisch das Bauhaus noch in seinen Kinderschuhen und auch die junge parlamentarische Demokratie während der Weimarer Republik. Und wir haben als Material Original-Landtagsdebatten zwischen 21 und 23, da hat man sehr um das Bauhaus gestritten, also etatistisch natürlich, es war auch die Zeit der Inflation und dann der Hyperinflation – da geht's um Millionen- und Milliardenbeträge, wenn die Bauhäusler zum Beispiel einfach nur eine Ausstellung organisieren wollen.
Die hatten ja damals sehr großes internationales Interesse schon hervorgerufen, waren aber verortet in der Provinz, kann man sagen, in der Weimarer Provinz, in der Klassikerstadt, die auch einen gewissen Eigendünkel pflegt. Da kamen ja dann die Internationalisten des Bauhauses hin, und die wollten sich dort in Weimar dann zum ersten Mal der Stadt und auch der ganzen Welt zeigen mit einer Bauhaus-Ausstellung und auch mit einem Musterhaus, was schon gebaut wurde, und dann ging es in den Debatten immer um die Finanzierung. Aber dahinter stehen eigentlich auch geschmäcklerische Haltungen.
El-Bira: Das Bauhaus war ja interessanterweise von Vertretern beider Lager angegriffen worden, sowohl vom rechten als auch vom linken Lager. Wo wir heute wieder so viel auch darüber sprechen, was Kunst darf, war das auch ein Anspruch für Sie, da einen aktuellen Bezug zu finden?
Wächter: Ja, das waren damals streitbare Zeiten, es wurde extrem viel gestritten, politisch und auch über Kunst, die ganzen Ismen damals auch. Und ja, jetzt gibt es wieder Kämpfe in der Politik, und Rechts wird stärker, und ich als Künstler frage mich auch: Was ist, wenn die mal Kulturpolitik machen, so richtig? Es geht ja schon jetzt los, zum deutschen Kunstbegriff deutsche nationale Kunst zu definieren – das war bei den Nazis auch eine sehr starke Suchbewegung und davor auch schon in den Jahrzehnten. Selbst am Bauhaus gab es Fraktionen, die gestritten haben für das Deutsche in der Kunst.

Ein typisch deutsches Phänomen

El-Bira: Es gab eine deutsch-nationale Fraktion am Bauhaus...
Wächter: … das typisch Deutsche am Bauhaus. Und das Bauhaus ist ja auch vielleicht doch ein sehr typisches deutsches Phänomen.
El-Bira: Jetzt ist ja die Geschichte des Bauhauses bestens dokumentiert, die Literatur zum Bauhaus füllt ganze Bibliotheken, ich stelle mir auch vor, dass das Material, das Sie jetzt zur Hand hatten, wahrscheinlich fast unüberschaubar gewesen sein dürfte. Wie haben Sie sich das denn angeeignet, hatten Sie da einen Leitfaden, der Sie besonders interessiert hat, an dem Sie sich haben festhalten können bei der Recherche?
Wächter: Oh ja, das war verdammt viel Material, ja. Das Allererste, was ich faszinierend fand, ist, dass immer mit objektiven Argumenten gestritten wird – scheinbar. Dass aber wirklich auch oft kunstgeschmäcklerische Haltungen dahinterstehen. Mein Protagonist ist eigentlich ein Gegner, das ist der Herr Dr. Emil Herfurth von den Deutschnationalen, der ist sehr präsent in den Debatten, der hat wirklich was gegen das Bauhaus. Er debattiert aber in den Debatten immer sehr, sehr sachlich, aber dahinter steht natürlich eigentlich seine Ablehnung gegen den Bauhausstil, gegen die Bauhäusler und was die da machen. Man muss sich auch vorstellen, das waren noch wilde Zeiten, die Bauhäusler, die haben da selber ja rumexperimentiert in ihrer Schule und Partys gemacht, ganz tolle Bauhaus-Abende, mit teilweise sicher sehr, sehr merkwürdigen Beiträgen. Das allererste Bauhaus-Fest, das hat Else Lasker-Schüler bestritten mit ihren expressionistischen Gedichten, und das ist sicher auch nicht jedermanns Sache.

Die "frühkindliche Phase" des Bauhauses

El-Bira: Jetzt haben Sie gerade schon eine historische Person erwähnt, die Ihr Hauptprotagonist sein wird. Sie arbeiten in Ihren Produktionen gerne mit einem sehr großen Figurenkarussell, Sie haben schon oft mehrere Dutzend Puppen auf der Bühne gehabt. Wird das bei "Hört, hört!" auch wieder so sein, also werden da die einschlägigen Protagonisten der Zeit auftreten, können Sie das schon verraten?
Wächter: Sehr viele gibt es eigentlich nicht. Ich habe mir als Protagonisten gewählt Dr. Emil Herfurth, dem habe ich auch eine bestimmte Gestalt gegeben – da habe ich ausnahmsweise kein direktes Porträt gemacht, sondern das ist was anderes, das kann ich aber jetzt hier im Radio schlecht beschreiben, das muss man sehen. Und dann habe ich noch als Zeitgenossen eigentlich mir Sigmund Freud dazu gewählt und Henry Ford.
El-Bira: Warum die beiden?
Wächter: Also, ich sehe die Weimarer Zeit des Bauhauses so ein bisschen als frühkindliche Phase des Bauhauses, mit sehr vielen Widerstreits und Paradoxien, die man mal beleuchten kann, regelrecht psychologisch beleuchten kann. Oder dann fand ich Sigmund Freud auch interessant dafür, mal zu beleuchten, was wird denn in den Landtagsdebatten alles zurückgehalten, quasi noch verdrängt, was darf da nicht gesagt werden, und was würde denn herausplatzen aus jemandem, wenn er mal auf der Couch wäre und zur freien Assoziation gebeten werden würde.
Und Henry Ford natürlich, er hat ja große Schnittmengen mit dem Bauhaus auf eine Art, weil er natürlich auch die industrielle Produktion neu erfunden hat, und weil es da um Industrieprodukte geht. Und die Bauhäusler, ganz witzig, die waren ja auch immer auf der Suche nach Geld, die haben tatsächlich mal einen Brief nach Amerika geschrieben, nach Übersee, und im Prinzip um Geld gebettelt für ihre Schule, für ihre Unterrichte und für ihre Ausstellungen auch, um die es über weite Strecken geht in meiner Inszenierung.

Hitler als Puppe - "eine merkwürdige Sache"

El-Bira: Wenn Sie sagen, dass Sie zum Beispiel Sigmund Freud und Henry Ford als Zeitgenossen, aber nicht unmittelbare Wegbegleiter des Bauhauses mit hinzuziehen, dann kann man vielleicht auch davon ausgehen, dass es kein dokumentarischer Abend wird in dem Sinne, sondern dass es den Rahmen auch sprengen soll, den diese Landtagsakten hergeben.
Wächter: Ja, für mich ist das auch sehr hybrid. Es hatte einen großen dokumentarischen Anteil, aber die Präsentation ist jetzt doch ein Theaterabend, wir behaupten einfach einen letzten Bauhaus-Abend, einen Abschiedsabend der Bauhäusler aus Weimar. Das findet nicht als Lesung statt bei uns, sondern es wird wirklich gespielt damit. Das war spannend für mich, dieses Originalmaterial dann szenisch einzuarbeiten oder umzuschreiben.
El-Bira: Nach dem Szenischen würde ich Sie gern noch mal fragen: Sie arbeiten sehr, sehr oft mit historischen Vorbildern für Ihre Puppen. Es gibt eine ganz berühmte Szene, über die immer alle reden, aus "Helden des 20. Jahrhunderts", Ihrem vielleicht berühmtesten Stück, wo Adolf Hitler, eine Hitlerpuppe, Herbert Grönemeyers Song "Flugzeuge im Bauch" singt, das ist legendär. Was passiert eigentlich mit diesen historischen Figuren, wenn sie zu Puppen werden und auf die Bühne kommen? Was ist die besondere Herausforderung auch dabei, sich so eine historische Figur anzueignen als Puppenspielerin?
Wächter: Ja, das ist in der Tat eine Herausforderung, weil dieses Mittel Puppe funktioniert oft als Verniedlichung, und wenn man so historische Größen vor sich hat natürlich – einigen begegnet man mit sehr viel Respekt, Karl Marx vielleicht, Sigmund Freud auch –, da ist die Adaption sehr schwierig eigentlich mit dem Mittel Puppe, aber auch spannend für mich, das auszutesten, so für mich jetzt: Was geht, was ist geschmacklos, was ist noch angemessen, was kann man alles damit machen. Das bleibt für mich immer ein großes Experimentierfeld. Bei Hitler ist es auch eine ganz merkwürdige Sache, den als Puppe zu haben.
Als Mensch ist er nicht darstellbar, finde ich, und als Puppe macht das wieder was. Man kann ihn quasi wieder beseelen, man kann ihn nachmanipulieren, man kann mit ihm auch irgendwie sichtbar machen, spürbar machen, dass man mit ihm das Publikum manipulieren kann. Wenn ich die Hitlerpuppe ein Lied singen lasse von Herbert Grönemeyer, was heißt "Flugzeuge im Bauch" und es ist ja ein Liebeslied, und plötzlich ist das ein Liebeslied von Adolf Hitler an sein deutsches Volk – "Gebt mir mein Herz zurück, ihr braucht meine Liebe nicht" –, dann wird das plötzlich rührend, und es wird übergriffig auf die Leute, auf das Publikum. Irgendwas Merkwürdiges passiert da. Die sind gerührt, die sind hin- und hergerissen, und ich erzeuge gerne solche Gefühle in den Zuschauern.

Was man heute vom Bauhaus lernen kann

El-Bira: Letzte Frage noch mit der Bitte um eine kurze Antwort, noch mal zurück zum Bauhaus: Gibt es was, was man heute als Künstlerin, als Künstler vom Bauhaus noch lernen kann, worin das Bauhaus noch aktuell ist?
Wächter: Eine total offene Geisteshaltung und die Lust und den Mut am Experiment, also nichts Vorgestanztes, wiederkäuen, was konzeptionell erwartet wird oder jetzt gerade gesellschaftlich wichtig ist oder womit man Kulturgelder beantragen kann, sondern frei und frisch experimentieren.
El-Bira: Heute eine Ikone, damals heftig umstritten. Die Puppenspielerin Suse Wächter über ihren Bauhaus-Abend beim Kunstfest Weimar. Dort ist "Hört, hört! Die Bauhaus-Protokolle" zu sehen am Dienstag und Mittwoch der kommenden Woche.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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