Hörspiel-Retrospektive zu Arthur Miller

Mehr als nur "alte Schinken"

Porträtfoto des amerikanischen Dramatikers und Schriftstellers Arthur Miller am 13.10.1998 in der Akademie der Künste in Berlin.
Der amerikanische Dramatiker und Schriftsteller Arthur Miller am 13.10.1998 © dpa / picture alliance / Schulz Christian
Von Hartwig Tegeler · 17.03.2015
Er war nicht nur der Ehemann von Marilyn Monroe, sondern einer der bedeutendsten Dramatiker der USA: Zehn Jahre nach Arthur Millers Tod versammelt eine Hörspiel-Edition die Radio-Adaptionen seiner Werke aus sechs Jahrzehnten. Eindrucksvoll und mit unerwarteten Erkenntnissen.
1692 in Salem.
"Was sollen die Trommeln, Cheever? Ganz Salem dröhnt. - Haltet mich nicht auf, Proctor! Ich muss aufs Stadthaus. - Aber warum denn der Lärm. Es ist ja, als zittere die ganze Stadt."
Ja, das mit der Angst, mit dem Zittern. Altes Gefühl, uraltes. Die Angst vor ...??
"Gericht? Gericht über wen? Man merkt, ihr wohnt am Wald. Hexerei ist in der Stadt. - Hexerei? - Darüber wird Gericht gehalten. Und ich bin Schreiber dabei. - Bei uns am Wald kennt man doch keine Hexen. - Sagt das nicht Proctor."
1953 schrieb Arthur Miller sein Theaterstück über die Hexenprozesse in Salem, um darin natürlich auch die, wie er in dem Essay im Booklet schreibt, "erstaunlichen Ähnlichkeiten" mit der "katastrophalen Situation" in den USA in den 1940er- und 50er-Jahren zu beleuchten. Stichwort: Kommunistenhatz, McCarthy-Ära. Von der Terrorismus-Paranoia nach Nineelven konnte Miller Anfang der 50er noch nichts wissen.
Eindrucksvolle Retrospektive
Aber wir können "Hexenjagd" in dieser Hörspieladaption ja heute gut hören in Bezug auf zeitgenössische Angst- und Paranoia-Zustände. Schon ein Jahr nach Veröffentlichung des Theaterstücks ist das Hörspiel beim Hessischen Rundfunk entstanden. Die Box versammelt weniger bekannte Stoffe von Arthur Miller wie "Clara", "Alle meine Söhne" oder "Der Preis" neben den Klassikern wie eben "Hexenjagd" oder der Geschichte eines Handlungsreisenden:
"Meine Damen und Herren, ich bin, sage ich mal, der Ansager dieses Spiels. Dieser Geschichte vom Leben und Sterben dieses Handlungsreisenden Willy Loman."
"Der Tod des Handlungsreisenden". Arthur Millers intensive Kritik am Amerikanischen Traum, der den Einzelnen allein für Erfolg und Misserfolg verantwortlich macht. Auf CD 11 dieser Box ist übrigens Arthur Miller mit einer Lesung von "Death of a Salesman" zu hören:
"In the middle of the night Linda Loman awakes out of sleep hearing her husband Willy entering her bedroom. He had left for a saling-trip only this morning."
"Willy, Willy! - Ja, schon gut. Ich bin wieder zurück. Ach, dieser verdammte Koffer. Was ist passiert, so mitten in der Nacht. Mit dem Auto vielleicht."
Die opulente Hörspiel-Edition ist eine eindrucksvolle Retrospektive, die an den gesellschaftskritischen Blick eines großen amerikanischen Schriftstellers auf sein Land erinnert. Das für Arthur Miller natürlich nur vorgeblich "god's own country" ist.
Merkwürdiger, beruhigender Effekt
Gleichzeitig bietet diese Arthur-Miller-Edition aber auch eine spannende, akustische Reise in sechs Jahrzehnte deutscher Hörspiel-Produktion. Von 2001 - die WDR-Produktion "Mister Peters' Verbindungen" - bis zurück ins Jahr 1950. Damals inszenierte Wilhelm Semmelroth Millers Stück "Alle meine Söhne" als Hörspiel. Wir hören die alten, später aus vielen TV- und Kinorollen bekannten Schauspieler wie Heinz Drache, Peter Frankenfeld, Erich Ponto, Karl-Michael Vogler, Mathias Habich oder Karin Anselm hier in ihrer frühen Hörfunk-Arbeit.
Natürlich hat sich seit Anfang der 1950er-Jahre in der Hörspiel-Kunst viel getan: kein Rauschen mehr, die akustischen Räume sind viel differenzierter inszeniert, Geräusche, Musiken verfeinern das Hör-Bild, machen es bunter, kurzweiliger, manchmal unterhaltsamer. Kein Hörspiel-Regisseur würde heute auf die Idee kommen, "Hexenjagd" so karg zu inszenieren, wie es Fritz Schröder-Jahn 1954 tat.
Und doch stellt sich, wenn man diese Arthur-Miller-Hörspiele hört, ein merkwürdiger, am Ende aber vielleicht eben doch nicht so überraschender, gar beruhigender Effekt her: Überzeugend, ja, manchmal ergreifend, fesselnd, spannend wirkt der "alte Schinken" auf gleiche Weise wie das eher moderne Hörspiel. Denn das ist die wunderbare Lehre, die diese Box dem Hörer vermittelt: Entscheidend ist nicht die Inszenierung, sondern die Vorlage. Diese Hörspiel-Box ist also gleichzeitig auch ein Hohes Lied auf die Literatur.

Arthur Miller, Die Hörspiel-Edition
Hörverlag, München 2015
11 CDs, Laufzeit ca. 10 Stunden, 39,99 Euro

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