Höllische Abgründe

24.04.2012
Schwer zu entscheiden, in welcher dieser fünf afrikanischen Geschichten das Entsetzlichste geschieht. In seinem Debüt-Band von Erzählungen nimmt der nigerianische Autor und Jesuiten-Pater Uwem Akpan den Leser mit auf eine Schreckens-Tour durch alle Abgründe des Infernalischen im heutigen Afrika: Armut, Hunger und Elend, Aids, Prostitution, Sklaverei, Mord, Korruption, ethnische Säuberungen, religiöse Pogrome, Genozid.
Die Geschichten spielen in unterschiedlichen afrikanischen Ländern, in Nigeria, Kenia, Äthiopien und Ruanda. Doch sie haben alle den Blickwinkel gemeinsam: Uwem Akpans Perspektiv-Figuren sind Kinder. Er zeigt alle Übel des Kontinents, gesehen immer durch Kinderaugen. Es sind arglose kleine Mädchen oder Jungen von acht, neun, zehn Jahren, die die längste Zeit gar nicht begreifen, was mit ihnen geschieht und was ihnen anzutun die Erwachsenen sich anschicken. Der Leser hingegen wird vom Autor von Anfang an darüber informiert, wohin die Geschichten führen und wie sie ausgehen werden – immer mit der schlimmstmöglichen Wendung.

In der Erzählung "Mästen für Gabun" etwa werden ein zehnjähriger Junge in Nigeria und seine kleine Schwester von ihrem Onkel aufgenommen, weil ihre aidskranken Eltern nicht mehr für sie sorgen können. Die halbverhungerten Kinder bekommen gut zu essen, kommen zu Kräften und freuen sich, dass ein wohlhabendes Paar in Gabun sie angeblich adoptieren will. Vom ersten Satz an weiß der Leser allerdings Bescheid, was der Onkel, ein Grenzschlepper und Menschenhändler, beim Gabun-Geschäft in Wahrheit im Schilde führt: "Das eigene Kind oder den eigenen Neffen zu verkaufen war meist schwieriger, als andere Kinder zu verkaufen." Nach und nach dämmert dem Jungen aus aufgeschnappten Gesprächsfetzen seines Onkels mit dessen Komplizen, worum es wirklich geht – um organisierten Menschenhandel, um Kinder-Sklaverei.

Uwem Akpan hält sich als Erzähler streng und ohne literarische Kunstgriffe an die Realität. Dass hinter seiner nigerianischen Kinder-Geschichte das grausige Märchenmotiv vom gemästeten Hänsel und der kleinen Gretel aufscheinen könnte, wäre eine Offerte zu narrativer Raffinesse, die der Autor aus Gründen eines sozial-politischen und humanitären Aufklärungsinteresses nicht wahrnimmt.

Auch in den übrigen vier Erzählungen obwalten ebenso schreckliche wie beiläufig-selbstverständliche Gewalt und hoffnungslose Verelendung. In "Sag, dass du eine von ihnen bist" etwa muss ein neunjähriges Mädchen in Ruanda zusehen, wie ihr Hutu-Vater von einem verrückten Mob gezwungen wird, ihrer Tutsi-Mutter mit der Machete den Schädel zu spalten. Die längste (und beste) Geschichte "Luxusleichenwagen" spiegelt allegorisch Nigerias Bürgerkriegskämpfe und konzentriert alle verfeindeten ethnischen, religiösen und politischen Gruppen im Mikrokosmos einer Busreisegesellschaft.

Uwem Akpans Erzählungen sind harte Kost. Sie gestatten kein Ausweichen in bizarren oder surrealen Horror. Doch sie zeigen, was in Afrika heute Sache ist.

Besprochen von Sigrid Löffler

Uwem Akpan: Sag, dass du eine von ihnen bist
Erzählungen
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
368 Seiten, 24,95 Euro
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