Hochwasserschutz

Vorbild Niederlande

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Strumflutwehr Oosterschelde
Das Oosterschelde-Sturmflutwehr ist Teil der Deltawerke, die hauptsächlich in der niederländischen Provinz Zeeland vor Sturmfluten und Hochwasser schützen sollen. © picture alliance / R. Goldmann
Von Ludger Kazmierczak · 14.02.2022
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Bei der Flutkatastrophe 1953 verloren 1800 Niederländer in der Nordsee ihr Leben. Nur drei Wochen danach schmiedeten Politiker den Deltaplan: das revolutionärste Wasserbauprojekt der Welt. Doch der Hochwasserschutz hat zunehmend auch die Flüsse im Blick.
„Ein heftiger Orkan, einhergehend mit einer Springflut, sorgte für eine Katastrophe in den Niederlanden, die einen noch nicht überschaubaren Schaden verursacht hat“, berichtet ein Reporter im niederländischen Fernsehen am 1. Februar 1953.

Doch nur wenige Tage danach wird das Ausmaß der Katastrophe sichtbar. In den Fluten der Nordsee verlieren 1800 Niederländer ihr Leben. Mehr als 100.000 müssen ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Ganze Dörfer und Städte sind zerstört. Die politisch Verantwortlichen in Den Haag sind sich einig, dass so etwas nie wieder passieren darf.

Deltaplan - revolutionäres Wasserbauprojekt

Nur drei Wochen nach der Flut schmieden sie einen Plan, den Jacob Algera als Minister für Verkehr und Wasserwirtschaft, zur Abstimmung im Parlament vorlegt.
„Ich freue mich - und sage dies im Namen der Regierung - dass die Zweite Kammer den Standpunkt vertritt, dass der Deltaplan ausgeführt werden soll.“

Der Deltaplan wird später als das revolutionärste Wasserbauprojekt der Welt in die Geschichte eingehen. Fast alle Meeresarme, durch die die Flut das Landesinnere erreichen konnte, werden durch Dämme und gigantische Sturmflutwehre, von der Nordsee abgeriegelt.

Gefahr geht jetzt weniger vom Meer aus

Die größte Anlage liegt in der Osterschelde und kann ihre Sperrwände je nach Bedarf öffnen oder schließen. Die Gefahr von Überschwemmungen geht seitdem weniger vom Meer, als von Flüssen, Bächen und Kanälen aus, sagt Peter Glas. Er ist als Deltakommissar der Regierung für den Hochwasserschutz im Land verantwortlich.

„Ich gebe jedes Jahr Empfehlungen zum Hochwasserschutz, zum Zustand der Deiche. Haben wir genügend Wasser auch für Trockenperioden, und wie stellen wir uns auf Wetterextreme ein, deren Folgen wir ja zuletzt auch gespürt haben.“

Wo kann wie gebaut werden?

Das verheerende Hochwasser im vergangenen Sommer hat nicht nur das Ahrtal auf deutscher Seite, sondern auch einige Städte in der niederländischen Grenzprovinz Limburg schwer getroffen.
In Valkenburg trat das sonst so beschaulich durch den Ort plätschernde Flüsschen De Geul über die Ufer. Und erst vor ein paar Tagen stand die hübsche Altstadt des Ortes nach heftigem Dauerregen erneut unter Wasser. Den Flüssen und Bächen müsse künftig mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, sagt Deltakommissar Peter Glas.

„Was ganz klar ist, wir müssen im öffentlichen Raum das Wasser in den Mittelpunkt stellen. Wir müssen gucken, wo bauen wir, wie wir bauen. Wir haben in den letzten Jahrzehnten zu oft gedacht, dass wir überall bauen können, wie wir wollen und das Wasser wird sich schon anpassen. Die Zeit ist vorbei und dessen sind wir uns bewusst, und das wird auch breit geteilt.“

Jahrhunderthochwasser 1995 hat wachgerüttelt

Vor allem das Jahrhunderthochwasser 1995 hat Politiker und Experten in den Niederlanden wachgerüttelt. Damals liefen die Städte und Dörfer an Maas, Waal, Ijssel und Lek unter Wasser. Besonders dramatisch war die Lage in Nimwegen, kurz hinter der deutsch-niederländischen Grenze, wo die Verlängerung des Rheins scharf abknickt. Das Wasser, so Bürgermeister Hubert Bruls, habe hier nicht genug Platz gehabt.

„Also, wenn der Rhein in die Niederlande kommt, dann entsteht die Waal, als Fortsetzung von dem Rhein und bei Nimwegen hat die Waal eine ganz kräftige Kurve. Und wenn da viel Wasser in kürzester Zeit durchmuss, dann staut das Wasser auf; tja und dann kriegt man natürlich Hochwasser und alle Folgen damit bei.“

Programm „Mehr Platz für den Fluss“

Nimwegen hat sich nach dieser Erfahrung dem Hochwasserschutzprogramm „Ruimte voor de rivier“ angeschlossen.

„Mehr Platz für den Fluss“. Innerhalb von drei Jahren ist am rechten Ufer der Waal, im Vorort Lent, ein Seitenarm des Flusses ausgehoben worden, fast vier Kilometer lang, 200 Meter breit und acht Meter tief. Ein Teil des alten Dorfes liegt jetzt als Insel inmitten des alten und des neuen Flussbettes. Längst ein beliebtes Ziel für Spaziergänger, Jogger und Fahrradfahrer.

„Hier waren früher eigentlich nur Wiesen, Weiden und ein paar Häuser. Und was man jetzt sieht: einen neuen Stadtteil. Und es ist sogar ein Badeplatz entstanden. Wo man den Sommer genießen kann. Der ganze Strand ist oft voll mit Menschen.“

„Ja, sicher, ich komme gern hier zum Waal-Strand, ein bisschen mit Freunden chillen. Das ist ein fantastisches Projekt, auch für die Jugend; super, dass die Stadt so eine Insel bekommen hat und mit was für einer Aussicht – gegenüber auf die Skyline von Nimwegen!“

Positives Echo auf neuen Waal-Arm

Etwa 50 Wohnungen, die früher am Ufer von Lent standen, mussten für die Erweiterung des Flusses weichen. Die betroffenen Eigentümer wurden finanziell abgefunden oder erhielten Ersatzgrundstücke. Trotz anfänglicher Widerstände, ist das Echo heute überwiegend positiv.

„Wir wurden sehr gut informiert über die Gemeinde, und wir konnten auch auf Knackpunkte aufmerksam machen, zum Beispiel auf die Erreichbarkeit, und es wurden gute Lösung gefunden. Jetzt haben wir Sicherheit.“

„Bei Hochwasser fließt ein Drittel des Waal-Flusses durch diesen Nebenfluss. Früher hatten wir des Öfteren Überschwemmungen und Evakuierungen, und das ist jetzt nicht mehr der Fall.“

Unter den 34 Projekten des Programms „Raum für den Fluss“ ist der neue Waal-Arm von Nimwegen das wohl spektakulärste. Aus der ganzen Welt kommen Wasserbauexperten, Bürgermeister und Politiker in die Römerstadt, um sich über das Konzept zu informieren. Einen hundertprozentigen Schutz vor neuen Hochwassern bietet die Erweiterung des Flusses zwar nicht, aber das Risiko wurde auf ein Minimum reduziert.
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