Hitler-Attentat am 20. Juli 1944

So antisemitisch war der militärische Widerstand

Hermann Göring (helle Uniform) und Martin Bormann (l.), begutachten die Zerstörung im Führerhauptquartier, wo Oberst Stauffenberg am 20. Juli 1944 eine Sprengladung zündete.
Hermann Göring (helle Uniform) und Martin Bormann (l.), begutachten die Zerstörung im Führerhauptquartier, wo Oberst Stauffenberg am 20. Juli 1944 eine Sprengladung zündete. © picture alliance / dpa / Heinrich Hoffmann
Von Otto Langels · 22.07.2016
Antisemitismus war unter den Verschwörern des 20. Juli ein verbreitetes Phänomen: Claus von Stauffenberg bekannte sich zum Nationalsozialismus, einige Verschwörer waren sogar am Holocaust beteiligt. Ihr Umsturzversuch hatte andere Motive.
Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schrieb Claus Schenk Graf von Stauffenberg an seine Frau Nina über seine ersten Eindrücke in Polen:
"Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt."
Ein Beleg, dass Stauffenberg 1939 die Rassenpolitik der Nationalsozialisten grundsätzlich bejahte. Es gebe keine Hinweise, dass der radikale Antisemitismus der Nazis ein zentrales Motiv für Stauffenbergs Widerstand gegen Hitler war, meint der Historiker Peter Steinbach, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin:
"Klaus von Stauffenberg, der als Militär eine Karriere in der Konsolidierungsphase des nationalsozialistischen Regimes mit dem Aufbau der Wehrmacht machte, der Zeitgenosse war, von dem wir schmerzlich vermissen Proteste angesichts der Rassenpolitik der Nationalsozialisten, also etwa eine Reaktion auf die Nürnberger Rassengesetze von 1935 oder eine Reaktion auf die Pogrome im November 1938 oder etwa auch auf die sofort mit Kriegsbeginn einsetzende Verfolgung und Unterdrückung der Juden."

Goebbels schwärmte von Helldorff

Der spätere Hitler-Attentäter Stauffenberg unterschied sich in seiner antisemitischen Einstellung nicht wesentlich von anderen Personen, die am Umsturzversuch des 20. Juli 1944 beteiligt waren.
Peter Steinbach verweist auf Arthur Nebe und Wolf-Heinrich von Helldorff:
"Das überzeugendste Beispiel ist ganz sicherlich Nebe, der Reichskriminaldirektor, der eine Einsatzgruppe geleitet hat und mehr als 40.000 Menschen in dieser Zeit hat ermorden lassen. Ein anderer Fall ist Graf Helldorff, der seit 1933 Polizeipräsident in Berlin war und ohne Zweifel an der Konsolidierung der nationalsozialistischen Rassendiktatur beteiligt war."
Helldorff ging z.B. rücksichtslos gegen die Berliner Juden vor und erließ 1938 Richtlinien, wonach Juden schärfer kontrolliert und vornehmlich am Sabbat vorgeladen werden sollten. Joseph Goebbels zeigte sich äußerst zufrieden:
"Helldorff überreicht mir eine Aufstellung der in Berlin gegen die Juden getroffenen Maßnahmen. Die sind nun wirklich rigoros und umfassend. Auf diese Weise treiben wir die Juden in absehbarer Zeit aus Berlin heraus."

Viele Regimegegner verschlossen die Augen

Erst der brutale Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion öffnete manchen Adligen und Militärs die Augen. Sie waren, wie der Hygienefachmann der SS, Kurt Gerstein, entsetzt über die Massenmorde an den Juden und wandten sich von Hitler ab:
"Ein wichtiges Beispiel in dieser Hinsicht ist Gerstein, der die Massenvernichtung in Belzec beobachtet, nicht dagegen einschreitet, sondern Himmler beobachtet, sieht, wie sich Himmler übergibt, wie er eigentlich die Realität dieses Mordes nicht aushält, vor allen Dingen dann aber versucht, seine Kenntnisse von den Massenmorden, präzise Botschaften, insbesondere in die schwedische Diplomatie zu vermitteln."
Nicht zuletzt diese Informationen veranlassten den Diplomaten Raoul Wallenberg, Tausende ungarischer Juden mit Schutzpässen auszustatten und sie vor der Deportation zu bewahren.
Wer von den Wehrmachtsoffizieren etwas über die Ermordung der Juden erfahren wollte, brauchte sich nur umzusehen und umzuhören. Viele Regimegegner im Umkreis des 20. Juli aber verschlossen bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein die Augen, ehe sie sich vom Nazi-Regime abwandten und zum Handeln bereit waren.

Verbittert über den Dilettantismus des obersten Kriegsherren

Im Oktober 1942 beobachtete Axel von dem Bussche als junger Offizier am Rande eines Flughafens eine Massenerschießung von 2.000 Menschen. Eine Jüdin fleht ihn an, sie zu retten.
"Er kann nichts tun; und der aus dieser Einsicht dann eine Entschlossenheit entwickelt, das Regime zu bekämpfen und sich in der letzten Phase sogar persönlich, um den Umsturz einzuleiten, mit Hitler in die Luft sprengen will bei einer Uniformvorführung."
Doch die Vorführung kam nicht zustande, von dem Bussche konnte das Selbstmordattentat nicht ausführen.
Die Empörung über den Massenmord an den europäischen Juden war jedoch nicht ausschlaggebend, um Männer wie Axel von dem Bussche zu allem entschlossenen Regimegegnern zu machen.
Die Verschwörer des 20. Juli waren verbittert über den Dilettantismus des obersten Kriegsherren Adolf Hitler, sie waren enttäuscht vom Kriegsverlauf und der sich abzeichnenden Niederlage, und sie wollten vor der Welt demonstrieren, dass es noch anständige Deutsche und eine Alternative zum Nazi-Regime gab. Die sogenannte "Endlösung der Judenfrage" war kein entscheidendes Motiv, so der Historiker Peter Steinbach:
"Man muss den militärischen Widerstand im Umkreis des 20. Juli mit einer anderen Gruppe kontrastieren, zum Beispiel mit den katholischen und den evangelischen Geistlichen, die sehr früh erkannten, als kleine Gruppe sehr früh erkannten, was Antisemitismus bedeutete als Ursache für den Verlust humaner Orientierung. Die Einzigen, die im Grunde sofort relativ früh dem ideologischen Rassenantisemitismus entgegen treten, sind einige Christen."
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