Historische Dimension der Berge
Bereits vor 1933 war der Alpenverein deutschnational und antisemitisch. Im alpinen Milieu ist der Antisemitismus vor allem von der völkischen Bewegung ausgegangen. Das Buch „Berg heil“ ist das Ergebnis eines Forschungsprojektes und präsentiert wertvolle historische Details.
Die Ausgrenzung und Verfolgung von Juden in Deutschland kam nicht aus dem Nichts. Sie entsprach einer weitverbreiteten Mentalität während der Weimarer Zeit, einer Mentalität, die ein 1933 – und folgende – geradezu herbeisehnte. Im alpinen Milieu ist der Antisemitismus vor allem von der völkischen Bewegung ausgegangen – deren Symbol war übrigens schon ein Hakenkreuz, allerdings das alte, noch nicht auf die Spitze gestellte. Einige Sektionen des Alpenvereins haben Anfang der zwanziger Jahre damit begonnen, keine Juden mehr aufzunehmen. Selbst die Gründer des ersten Alpenvereins verstanden ihre Tätigkeit als „Deutschtumsarbeit“ – das war im Jahr 1869. Und Deutschtum, das hieß: Antisemitismus, Antislawismus, Antimarxismus, Antiklerikalismus.
Die endgültige Gleichschaltung aller Alpenvereine mit dem Naziregime fand erst 1938 statt. Dann allerdings ging alles sehr schnell. Die Gruppe „Naturfreunde“, in deren Besitz über 250 Berghütten waren, wurde verboten, die Hütten sofort beschlagnahmt. Auf einer neu eingerichteten Heereshochgebirgsschule wurden Bergsteiger allein für Kriegszwecke ausgebildet. Sie kamen in unwegsamem Gelände zum Einsatz, unter anderem in Polen, Frankreich, Norwegen und in Russland. In der Sprache des Dritten Reichs hat sich das im Jahr 1938 dann so angehört:
„Wir alle müssen zum äußersten Einsatz bereit sein. Zur beglückenden Vielgestaltigkeit unseres Volkes und unseres Gemeinschaftslebens haben wir Bergsteiger einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Wir müssen dieser Gemeinschaft und jedem Einzelnen nun auf der geschlossenen und zielbestimmten Grundlage des Nationalsozialismus das Verständnis und die Möglichkeit für alle die Werte vermitteln helfen, die die Berge uns schenken.“
Dass man nicht unbedingt von einer geschlossenen Naziideologie sprechen kann, sieht man an der Instrumentalisierung der Berge, sie erfolgte nämlich nach Tageslage.
Am Anfang nahm man den Alpenvereinen die Berghütten weg und machte die Alpen für Leute vom Flachland zugänglich, sofern damit dem deutschen Volkskörper und seiner Gesundheit gedient war. Für Alpinisten ist das eine Katastrophe gewesen, denn die Massen strömten in die Berge. Nach Kriegsbeginn aber hieß es, in keinem deutschen Haushalt sollten sich Skier befinden, die werden an der Front gebraucht. Und die deutsche Frau, die ihrem Mann eine Hilfe sein wolle, gebe die Skier der Familie nun an den Sammelstellen ab.
Das Buch „Berg Heil!“ handelt zwar ausführlich die politische Geschichte der Alpenvereine Deutschlands, Österreichs und Südtirols ab. Das war der Auftrag dieser Unternehmung, für die die Alpenvereine externe Wissenschaftler hinzuzogen, die die drei Archive durchforstet und Dokumente und Fotos ans Tageslicht geholt haben. Es enthält aber auch einen sehr anschaulichen Teil über die Mentalitätsgeschichte des Bergsteigens, über die Grundlagen, die Natur, die Ausrüstung, die Widrigkeiten, den Spitzenbergsport und den Naturschutz in den Bergen. Und man sieht fantastische Fotos, die es zum Teil noch nie zu sehen gab. Der Zeitraum der Existenz der Alpenvereine ist ja auch der Zeitraum der Existenz der Fotografie.
Man kann sich in diesem Buch wissenschaftlich korrekt durch das Hin und Her, das Für und Wider der verschiedenen Fraktionen lesen, bis die Alpenvereine dann doch von den Nazis geführt wurden. Man kann sich aber auch die Bildstrecke der Hauptversammlungen von Mitte der 20er- bis Mitte der 30er-Jahre ansehen, um die Nazifizierung vor Augen zu haben.
Und wenn man die frühen Bergsteiger sieht, will man nicht recht glauben, in welcher Freizeitbekleidung Sechstausender bestiegen wurden. Auf dem Gipfel stehen dann ein paar sehr junge Kerle beieinander, die heute glatt als Rockband durchgehen würden. Den Tag vor dem Aufbruch zur Matterhorn-Nordwand, die die Brüder Schmid als erste bestiegen, beschrieben die später mit allen Ehren Versehenen folgendermaßen:
„Und so fuhren wir schließlich, noch immer voll von Staub und Straßendreck und wahrhaftig wie die Hausierer bepackt und behängt, verspottet und verlacht, durch das noble Zermatt – das uns ein paar Tage später ganz anders empfangen sollte.“
Um das neu aufgekommene Bergsteigen ist natürlich ein Kulturkampf entbrannt – wie bei allem, das neu aufkommt. Es stehen sich gegenüber: auf der einen Seite die Bewahrer des Erhabenen, die Naturschützer. Und auf der anderen Seite: die Masse ungeübter und ahnungsloser Flachländer, die in die Berge strömt. Es stehen sich gegenüber: Natur und Zivilisation. Was auf dem Flachland die Wandervögel waren, das sind auf alpiner Ebene die Bergvagabunden gewesen: so eine Art Hochgebirgshippies, vor allem mit dem einen Ziel vor Augen, das Hier und Jetzt zu genießen, weit weg von den Zwängen des Alltags. Und dann waren da die Spitzenbergsportler, die sich wie die Bergvagabunden von den Massen nur gestört fühlten.
Gleichzeitig entwickelte sich ein neuer Freizeitbereich, um den sich eine Industrie rankte, die, wie wir heute wissen, später komplett stilbildend werden sollte: die Freizeitindustrie.
Der Alpinist musste ausgerüstet werden, er brauchte nicht nur Skibekleidung, er sollte Silphoscalin-Tabletten gegen eine schwache Lunge kaufen, oder Vasenol-Fußpuder, um wunde Füße zu vermeiden. Man hielt sich in den zwanziger Jahren nicht mehr bedeckt wie in den Epochen zuvor, man zeigte Bräune, also wurde geworben für Pigmentan, Ultra-Zeozon oder Engadina-Creme, um die Haut zu schützen. Damit die Augen nicht geschädigt wurden, musste der Bergsteiger Neophan-Brillen tragen, für die übrigens die Legende Luis Trenker Werbung gemacht hat. Wunden heilten nur mit Desitin, und wenn die Energie aufgebraucht war, dann halfen unbedingt Dextro-Energen oder Scho-ka-ko-la. Schlankheit, das neue Schönheitsideal, wurde mit Dr.Richters weltberühmtem Frühstückskräutertee versprochen.
Der Untersuchungsgegenstand dieses Buches endet zwar 1945, aber es wird einem sonnenklar: Man ist in der Gegenwart angekommen. Mit „Berg Heil!“ ist ein Buch entstanden, das mehr ist als eine Pflichterfüllung. „Berg Heil!“ ist ein lehrreiches und anschauenswertes Werk über den Anfang des vergangenen Jahrhunderts.
Deutscher Alpenverein e.V., Österreichischer Alpenverein e.V. und Alpenverein Südtirol e.V. (Hg.)
Berg heil! Alpenverein und Bergsteigen 1918-1945
Böhlau Verlag Köln
Die endgültige Gleichschaltung aller Alpenvereine mit dem Naziregime fand erst 1938 statt. Dann allerdings ging alles sehr schnell. Die Gruppe „Naturfreunde“, in deren Besitz über 250 Berghütten waren, wurde verboten, die Hütten sofort beschlagnahmt. Auf einer neu eingerichteten Heereshochgebirgsschule wurden Bergsteiger allein für Kriegszwecke ausgebildet. Sie kamen in unwegsamem Gelände zum Einsatz, unter anderem in Polen, Frankreich, Norwegen und in Russland. In der Sprache des Dritten Reichs hat sich das im Jahr 1938 dann so angehört:
„Wir alle müssen zum äußersten Einsatz bereit sein. Zur beglückenden Vielgestaltigkeit unseres Volkes und unseres Gemeinschaftslebens haben wir Bergsteiger einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Wir müssen dieser Gemeinschaft und jedem Einzelnen nun auf der geschlossenen und zielbestimmten Grundlage des Nationalsozialismus das Verständnis und die Möglichkeit für alle die Werte vermitteln helfen, die die Berge uns schenken.“
Dass man nicht unbedingt von einer geschlossenen Naziideologie sprechen kann, sieht man an der Instrumentalisierung der Berge, sie erfolgte nämlich nach Tageslage.
Am Anfang nahm man den Alpenvereinen die Berghütten weg und machte die Alpen für Leute vom Flachland zugänglich, sofern damit dem deutschen Volkskörper und seiner Gesundheit gedient war. Für Alpinisten ist das eine Katastrophe gewesen, denn die Massen strömten in die Berge. Nach Kriegsbeginn aber hieß es, in keinem deutschen Haushalt sollten sich Skier befinden, die werden an der Front gebraucht. Und die deutsche Frau, die ihrem Mann eine Hilfe sein wolle, gebe die Skier der Familie nun an den Sammelstellen ab.
Das Buch „Berg Heil!“ handelt zwar ausführlich die politische Geschichte der Alpenvereine Deutschlands, Österreichs und Südtirols ab. Das war der Auftrag dieser Unternehmung, für die die Alpenvereine externe Wissenschaftler hinzuzogen, die die drei Archive durchforstet und Dokumente und Fotos ans Tageslicht geholt haben. Es enthält aber auch einen sehr anschaulichen Teil über die Mentalitätsgeschichte des Bergsteigens, über die Grundlagen, die Natur, die Ausrüstung, die Widrigkeiten, den Spitzenbergsport und den Naturschutz in den Bergen. Und man sieht fantastische Fotos, die es zum Teil noch nie zu sehen gab. Der Zeitraum der Existenz der Alpenvereine ist ja auch der Zeitraum der Existenz der Fotografie.
Man kann sich in diesem Buch wissenschaftlich korrekt durch das Hin und Her, das Für und Wider der verschiedenen Fraktionen lesen, bis die Alpenvereine dann doch von den Nazis geführt wurden. Man kann sich aber auch die Bildstrecke der Hauptversammlungen von Mitte der 20er- bis Mitte der 30er-Jahre ansehen, um die Nazifizierung vor Augen zu haben.
Und wenn man die frühen Bergsteiger sieht, will man nicht recht glauben, in welcher Freizeitbekleidung Sechstausender bestiegen wurden. Auf dem Gipfel stehen dann ein paar sehr junge Kerle beieinander, die heute glatt als Rockband durchgehen würden. Den Tag vor dem Aufbruch zur Matterhorn-Nordwand, die die Brüder Schmid als erste bestiegen, beschrieben die später mit allen Ehren Versehenen folgendermaßen:
„Und so fuhren wir schließlich, noch immer voll von Staub und Straßendreck und wahrhaftig wie die Hausierer bepackt und behängt, verspottet und verlacht, durch das noble Zermatt – das uns ein paar Tage später ganz anders empfangen sollte.“
Um das neu aufgekommene Bergsteigen ist natürlich ein Kulturkampf entbrannt – wie bei allem, das neu aufkommt. Es stehen sich gegenüber: auf der einen Seite die Bewahrer des Erhabenen, die Naturschützer. Und auf der anderen Seite: die Masse ungeübter und ahnungsloser Flachländer, die in die Berge strömt. Es stehen sich gegenüber: Natur und Zivilisation. Was auf dem Flachland die Wandervögel waren, das sind auf alpiner Ebene die Bergvagabunden gewesen: so eine Art Hochgebirgshippies, vor allem mit dem einen Ziel vor Augen, das Hier und Jetzt zu genießen, weit weg von den Zwängen des Alltags. Und dann waren da die Spitzenbergsportler, die sich wie die Bergvagabunden von den Massen nur gestört fühlten.
Gleichzeitig entwickelte sich ein neuer Freizeitbereich, um den sich eine Industrie rankte, die, wie wir heute wissen, später komplett stilbildend werden sollte: die Freizeitindustrie.
Der Alpinist musste ausgerüstet werden, er brauchte nicht nur Skibekleidung, er sollte Silphoscalin-Tabletten gegen eine schwache Lunge kaufen, oder Vasenol-Fußpuder, um wunde Füße zu vermeiden. Man hielt sich in den zwanziger Jahren nicht mehr bedeckt wie in den Epochen zuvor, man zeigte Bräune, also wurde geworben für Pigmentan, Ultra-Zeozon oder Engadina-Creme, um die Haut zu schützen. Damit die Augen nicht geschädigt wurden, musste der Bergsteiger Neophan-Brillen tragen, für die übrigens die Legende Luis Trenker Werbung gemacht hat. Wunden heilten nur mit Desitin, und wenn die Energie aufgebraucht war, dann halfen unbedingt Dextro-Energen oder Scho-ka-ko-la. Schlankheit, das neue Schönheitsideal, wurde mit Dr.Richters weltberühmtem Frühstückskräutertee versprochen.
Der Untersuchungsgegenstand dieses Buches endet zwar 1945, aber es wird einem sonnenklar: Man ist in der Gegenwart angekommen. Mit „Berg Heil!“ ist ein Buch entstanden, das mehr ist als eine Pflichterfüllung. „Berg Heil!“ ist ein lehrreiches und anschauenswertes Werk über den Anfang des vergangenen Jahrhunderts.
Deutscher Alpenverein e.V., Österreichischer Alpenverein e.V. und Alpenverein Südtirol e.V. (Hg.)
Berg heil! Alpenverein und Bergsteigen 1918-1945
Böhlau Verlag Köln