Historikerin über IM-Tätigkeit von Holger Friedrich

Unaufgearbeitete Wende-Geschichte fällt uns auf die Füße

10:05 Minuten
Das Verleger Ehepaar Holger und Silke Friedrich (Berliner Zeitung) in einer Gesprächssituation.
Die neuen Verleger der Berliner Zeitung: Ehepaar Holger und Silke Friedrich. © picture alliance/dpa/Britta Pedersen
Mandy Tröger im Gespräch mit Dennis Kogel und Mike Herbstreuth · 23.11.2019
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Derzeit wird über Stasi-Mitarbeit des neuen Besitzers der "Berliner Zeitung" debattiert. Das Problem sei eigentlich ein anderes, findet die Historikerin und Medienwissenschaftlerin Mandy Tröger.
Nachdem im September der Berliner Verlag von den Digitalunternehmern Silke und Holger Friedrich gekauft wurde, machte die "Welt am Sonntag" in der vergangenen Woche öffentlich, dass Holger Friedrich für die Stasi tätig war – nach eigenen Angaben, weil er sich in einer akuten Zwangssituation befunden habe. Seitdem wird die Stasi-Vergangenheit des Neu-Verlegers diskutiert.
Doch für Mandy Tröger ist das nur ein Aspekt in der medialen Aufarbeitung der DDR-Presselandschaft. Tröger ist Historikerin am Institut für Medienwissenschaft und Kommunikation an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Außerdem arbeitet sie im Forschungsverbund "Das mediale Erbe der DDR" und ist Autorin des Buches "Pressefrühling und Profit: Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten".

Momentan hat nur der Axel-Springer-Verlag Akteneinsicht

Ein Problem, das Tröger sieht, ist, dass Friedrich sich erst im Fragenkatalog der "Welt" zu der Stasi-Vergangenheit geäußert hat. Dies sei in ihren Augen keine gute Idee gewesen: "Er wäre besser beraten gewesen, wenn er schon von vornherein seine eigene Biografie in seiner eigenen Geschichte thematisiert hätte."
Die Stasi-Vergangenheit sei, so Tröger, auch nur ein Aspekt einer sehr viel komplexeren Geschichte, die noch nicht aufgearbeitet wurde. "Das ist halt eine Debatte, die ist, um es milde, zu sagen echt auch oberflächlich, weil unser ganzes Gespräch jetzt gerade auf Informationen, die uns vom Springer-Verlag quasi zugeschanzt wurden, basiert."
Tröger lobt die "Berliner Zeitung" für die Aufarbeitung der Geschichte. Dass sich dort ein Team mit redaktioneller Freiheit zusammenschließt, um das Thema genau zu beleuchten, sei aus ihrer Sicht positiv und auch einzigartig.
Wichtiger sei jedoch die Frage, wessen Interessen bei solchen Vorwürfen verfolgt würden: "Gerade wenn es um Stasi-Vorwürfe geh – ohne sie herunterzuspielen zu wollen –, muss man sich immer fragen: Okay, wer hat hier Definitions-Gewalt und mit welchen Intentionen? Ich glaube, was uns heutzutage auf die Füße fällt, ist gar nicht mal so sehr die nicht-aufgearbeitete DDR-Geschichte, sondern die nicht-aufgearbeitete Wende-Geschichte."

Zeit für eine Aufarbeitung der Wende-Geschichte

Dies habe damit zu tun, dass westdeutsche Verlage nach der Wende nahezu alle ostdeutschen Verlage aufgekauft hätten, was dazu geführt habe, dass der Pressemarkt schon im Mai 1990 im Grunde vereinigt war. Außerdem seien von circa 100 Zeitungen 1992 nur noch 30 übrig gewesen. So sei viel demokratisches Potenzial in der Region kaputtgemacht worden.
Darum sei jetzt ein guter Zeitpunkt, um die Chance zu nutzen, nicht nur das Stasi-, sondern auch andere Wende-Themen endlich aufzuarbeiten. "Ich denke schon, dass es eine Chance ist, hier zu versuchen, einfach Komplexität zu sehen und auch zu gucken, wie denn DDR-Biografien verlaufen sind. Und auch zu gucken, wie viel Raum Ostdeutschen gegeben wird, ihre eigenen Geschichten zu erzählen", meint Tröger.
Die Gesellschaft sollte ihrer Meinung auf mehr Selbstreflexion im Bezug auf die Wendezeit pochen. Dazu solle man sich vor Augen halten, was es mit Menschen mache, wenn die meisten Lokalzeitungen in einer Region bankrott gehen. "Was macht das mit der Idee, dass Menschen eine Stimme haben? Wie sie sich im demokratischen Prozess gehört und einbezogen fühlen?"

Von einem System ins andere

Es brauche Zeit, eine Transformation von einem System ins andere aufzuarbeiten, doch diese habe es am Anfang überhaupt nicht gegeben. Schließlich habe man sich an das neue System anpassen und in diesem funktionieren müssen, um seinen Job behalten zu können.
Auch dadurch habe es nicht die nötige Zeit gegeben, um sich mit den tiefliegenden Problemen auseinanderzusetzen. "Und dann geht es wirklich an das, was wir eigentlich fragen müssten: Was läuft vielleicht bei uns jetzt in einer Gesellschaft demokratisch oder auch wirtschaftlich im Medienbereich nicht richtig?"
(hte)
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