US-Historiker Max Paul Friedman

Mit Verhandlungen den Krieg in der Ukraine lösen

04:55 Minuten
Der russische Präsident Wladimir Putin (2. v. r.) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei einem Treffen im Elysee-Palast in Paris am 09.10.2019
Sitzen derzeit nicht am Verhandlungstisch: der russische Präsident Wladimir Putin (2. v. r.) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, hier bei einem Treffen in Paris im Jahr 2019. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Ian Langsdon
Ein Kommentar von Max Paul Friedman · 19.07.2022
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Wer sich in Deutschland für eine Verhandlungslösung im Ukrainekrieg ausspricht, hat einen schweren Stand. Genauso sei es in den USA, meint der Historiker Max Friedman. Dabei sollten die Kriege von Vietnam bis Afghanistan eine Warnung sein.
Mein Land befindet sich im Krieg gegen Russland. Wir nennen es nicht so. Wir haben seit 1941 niemandem den Krieg erklärt, aber wir haben fast jedes Jahr irgendwo auf der Erde gekämpft. Und wenn russische Beamte zugeben würden, dabei geholfen zu haben, amerikanische Generäle zu töten oder ein Kriegsschiff der US-Marine zu versenken, wie würden wir es nennen, wenn nicht Krieg?
Von einer Zeitenwende kann bei uns nicht die Rede sein: Bei aller Sympathie für die Ukrainer als Opfer von Putins Angriffskrieg, die natürlich das Recht haben, sich zu verteidigen – wir erleben in den Vereinigten Staaten eine Rückkehr zu den schlimmsten außenpolitischen Fehlern des Kalten Krieges: das Streben nach einem triumphalen Sieg, der aber nicht in Reichweite ist, anstatt auf diplomatische Lösungen zu setzen, die vielleicht zum Frieden führen.

Verstoß gegen Grundprinzipien des internationalen Systems

Amerikas Machtansprüche haben seit Jahrzehnten gegen das Grundprinzip des internationalen Systems verstoßen, dass auch andere Länder ihre eigenen, wichtigen Interessen haben. 1947 veröffentlichte Präsident Truman eine Doktrin, die den gesamten Planeten zu einer Interessensphäre der Vereinigten Staaten erklärte. Sie diente als Rechtfertigung für endlose Interventionen.
In den 90er-Jahren warnte George Kennan, der Gründervater der Eindämmungsstrategie gegen die Sowjetunion während des Kalten Krieges, dass die Erweiterung der NATO ein verhängnisvoller Fehler wäre: Sie würde die russische Außenpolitik in eine Richtung drängen, die uns nicht gefällt.
Das ist keine Ausrede, die russische Gräueltaten relativieren soll. Es ist eher ein warnender Hinweis auf die Folgen einer triumphalistischen Außenpolitik. Aber wenn einer das heute in meinem Land zu sagen wagt, wird er genauso sicher als Marionette des Kremls verunglimpft wie zur Zeit des McCarthyismus in den 50er-Jahren. Sich für Verhandlungen auszusprechen, die die besten Chancen haben, das Töten zu beenden, heißt, in der Öffentlichkeit mundtot gemacht zu werden.

Warnungen als Antiamerikanismus diffamiert

In den 60er-Jahren wurde der französische Präsident Charles de Gaulle als Antiamerikaner bezeichnet, als er die Neutralisierung Vietnams forderte und vor einem zehnjährigen Krieg warnte, der zu einer amerikanischen Niederlage führen würde. Wenn heute der französische Präsident Emmanuel Macron der gleichen außenpolitischen Tradition folgt, um zu versuchen, das Töten in der Ukraine zu beenden, wird auch er diffamiert.

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Im amerikanischen übersteigerten Selbstvertrauen gibt es keine Zeitenwende. Wir gewinnen auf dem Schlachtfeld, haben wir uns in Vietnam, im Irak, in Afghanistan und jetzt in der Ukraine gesagt, wir brauchen nur genug Ausdauer und Feuerkraft. Aber die Geschichte sollte uns lehren, dass maximalistische Ziele es oft nur kostspieliger machen, realistische Ziele zu erreichen.
In Vietnam bot Ho Chi Minh 1963 und 1968 Bedingungen für ein Abkommen an, die die USA schließlich 1973 akzeptierten, aber erst, nachdem Millionen für das gleiche Ergebnis gestorben waren. Einen hohen Preis bezahlten die Vietnamesen.

Falsche Hoffnung auf den Sturz Putins

Heute, anstatt den Schwung des heroischen ukrainischen Widerstands zu nutzen, um auf eine diplomatische Einigung zu drängen, die alle Parteien gleichermaßen unzufrieden zurücklässt, aber die Zerstörung ukrainischer Städte stoppt, sprechen US-Beamte heute, wenn sie unter sich sind, von ihrer Hoffnung, dass Putin gestürzt wird, wenn Russland ausreichend blutbefleckt wird.
Kriege enden auf zwei Arten: mit der Niederlage einer Seite oder einer Verhandlungslösung, die Zugeständnisse von beiden Seiten erfordert. Trotz amerikanischer und europäischer Waffenlieferungen ist es unwahrscheinlich, dass Russland besiegt wird. Das bedeutet, dass die Ukraine den höchsten Preis für einen nicht friedlich beigelegten Konflikt zahlen wird.

Max Paul Friedman ist Professor für Geschichte und Internationale Beziehungen an der American University in Washington. Sein Buch "Rethinking Anti-Americanism" ("Antiamerikanismus umdenken") erschien bei Cambridge University Press.

Der Historiker Max Paul Friedman
© American University / Jeff Watts
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