Hilfsprojekt

Kunst als Zufluchtsort

Von Theodora Mavropoulos · 26.12.2013
In Griechenland hat mittlerweile fast jeder die Krise zu spüren bekommen. Doch Hilfsprojekte gibt es kaum. Kurze Auszeiten und Reisen in andere Welten ermöglicht griechischen Bürgern die Kunst - auch jenen ohne Geld.
Opernsänger Konstantinidis: "Es stimmt, dass die Kunstszene in Griechenland in diesen schweren Zeiten nochmal kreativer wird, weil einfach die Gesellschaft immer stärker danach verlangt. Wir Künstler beobachten was die Menschen brauchen, von uns wollen und versuchen, darauf zu reagieren."
Dionysos Tsantinis ist Sänger an der griechischen Nationaloper Athen. Der Bass-Bariton singt mit bei der "Oper im Koffer“ - einem Projekt, das vor gut zwei Jahren ins Leben gerufen wurde. Umsonst und an öffentlichen Plätzen, wie in Bibliotheken oder heute im kleinen Stadttheater im Athener Außenbezirk Xaidari werden bekannte Opern in leicht gekürzter Fassung aufgeführt. Diesmal Don Giovanni von Mozart. Ein bisschen Glanz im oft schwierigen Alltag, dass sei besonders in Krisenzeiten wichtig, ist sich Ensemblemitglied Anna Stylianakis sicher:
Opernsängerin Stylianakis: "Ich glaube, die Oper im Koffer ist gerade in Krisenzeiten eine gute Möglichkeit, für die Menschen ein wenig ihre Sorgen zu vergessen, die durch die Krise herbeigeführt wurden. Hier wird ja kein Eintritt verlangt und jeder kann einfach vorbeikommen. Ich denke das ist momentan sehr wichtig."
Um den Menschen diese kurzen Alltagsfluchten ermöglichen zu können, braucht es vor allem Geld – und das wird in Krisenzeiten oftmals als erstes im Kulturbereich gekürzt. Doch Intendant Myros Michailidis scheint allen Finanzschwierigkeiten zu trotzen. 2011 übernahm er die Oper mit Schulden von circa 17 Millionen Euro und schraubte diese bis heute auf knapp fünf Millionen Euro herunter. Zwar wurde ihm in dieser Periode die Finanzierung des Hauses nahezu um die Hälfte gekürzt. Trotzdem schaffte es Michailidis die Produktionen fast zu verdoppeln.
Swing in Krisenzeiten
Sein Geheimnis? Zum Beispiel Requisiten und Kostüme umgestalten und immer wieder verwenden, ganz nach seinem Motto: Produktionen müssen nicht teuer, sondern gut sein. Damit überzeugt er auch private Finanziers: Ein Sponsor hat sich gefunden, der die Oper im Koffer finanziert, die nach den Stationen in Athen durch ganz Griechenland tourt.
"Die Tatsache ist, dass Nationaloper ist in der Gesellschaft präsent – nicht nur für die Elite aber für die Gesellschaft. Dass während der Krise niemand sagt, warum brauchen wir die Oper. Wir brauchen die Oper, weil die Oper nicht nur eine schöne Vorstellung im Hause ist, sondern auch ein Erlebnis der Bürger, die das so nötig haben. Es gibt viele Probleme im täglichen Leben, im Alltag und die Kunst generell und in unserem Falle die Oper, gibt eine kurze Reise in eine andere Welt."
Auch Salvador Loui lässt sein Publikum in eine andere Welt gleiten. Der Gitarrist und Sänger spielt meist umsonst in kleinen Bars und auf den Straßen Athens. Loui hat in Krisenzeiten einen neuen Musikstil entwickelt: Rembetika-Lieder, die aus der Zeit der kleinasiatischen Katastrophe Anfang des 20. Jahrhunderts von griechischen Flüchtlingen gesungen wurden, kombiniert er mit Swing.
"Das Ergebnis passt sehr gut in die heutige Zeit der Krise. Denn der Swing entwickelte sich ja damals in den 20ern, als es den ersten großen Börsencrash gab. Ich bringe diesen Stil ins Heute und kreuze ihn mit Rembetika-Liedern der 20er- und 30er-Jahre. Damals hatten es die Menschen auch sehr schwer. Und die Texte gelten auch heute noch. Zum Beispiel heißt es da 'Wenn du kein Geld hast, lassen sie dich hängen'. Die Rembetika-Lieder gelten als Basis der griechischen Kultur. Und vielleicht zeigt dieser Mix aus alten Stücken in neuem Gewand den Menschen, dass diese Basis immer noch da ist. Vielleicht gibt ihnen das etwas Halt in Zeiten der Krise."
Abseits ökonomischer Fragen
Sich unabhängig von Aufführungen selbstständig in eine andere Welt zu spielen – das entdecken immer mehr Griechen für sich. Laien- und semiprofessionelle Theater-, Performance- oder Musikgruppen sprießen. Auch der Musikwissenschaftler Alexis Bourfiadis sieht darin eine Möglichkeit, Abstand zum Alltag zu gewinnen. Er gründete in Thessaloniki die Gruppe "60 da Exit". Die Gruppe trifft sich einmal die Woche und steht jedem offen. Es geht hauptsächlich um die Freude am Spielen. Und genau dieses Konzept zog mit Fortschreiten der Krise immer mehr neue Mitglieder an, sagt Alexis Bourfiadis.
"Junge Menschen können einfach zu uns kommen und hier spielen, ohne dass es um irgendeinen ökonomischen Austausch geht. Das ist gerade in diesen Zeiten besonders gefragt, weil es die Menschen einfach mal aus diesem Gedankenstrudel 'Wie soll ich das alles überleben' herausholt. Kultur wird hier zum Zufluchtsort. Ist ein Ausweg aus diesem Elend, das immer stärker um sich greift."
Trotz ihrer offensichtlichen gesellschaftlichen Notwendigkeit: staatliche Unterstützung für solch kleine Projekte gibt es nicht.
"Es müsste eigentlich Unterstützung vom Staat geben. Das Problem ist, dass für das kapitalistische System nur der materielle Gewinn zählt. Aber natürlich ist das falsch. Die Kunst kann zwar keinen Gewinn in dieser Hinsicht schaffen, aber sie ist da, um den Menschen zu helfen, nach vorne zu schauen und wenn man so will, um aus ihnen bessere Menschen zu machen. Denn wer mit Kunst zu tun hat, hat eine andere Beziehung zum Menschen und auch zum kapitalistischen Denken. Die Kunst ist also unbedingt wichtig für die Gesellschaft."
Fernab vom Kapitalismus scheint die Kulturszene Griechenlands ein Auffangnetz für seine Bevölkerung zu spannen, die durch die Finanzkrise geplagt wird. Kultur wird hier zum Hilfsprojekt.
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