Hilary Mantel: "Spiegel und Licht"

Brillant, belesen, zu Ruchlosigkeiten fähig

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Porträt von Hilary Mantel.
Mit "Spiegel und Licht" ist gerade der finale Teil von Hilary Mantels Trilogie um den Staatsmann Thomas Cromwell erschienen. © Getty Images / David Levenson
Von Sigrid Löffler · 23.03.2020
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Hilary Mantel schreibt nicht einfach Historienromane. Sie lässt uns unmittelbar eintauchen in die Welt der englischen Renaissance. "Spiegel und Licht" ist das gewaltige Finale ihrer Trilogie um den genialen Staatsmann Thomas Cromwell.
Bis vor zehn Jahren war sein Name außer in Fachkreisen völlig vergessen, heute kennt ihn die ganze bücherlesende Welt: Thomas Cromwell, den genialen Staatsmann und zweitmächtigsten Mann Englands am Hofe des notorischen Tudorkönigs Heinrich des Achten. Diese Auferstehung aus den Sarkophagen der Geschichtsschreibung verdankt sich dem monumentalen historischen Romanzyklus der britischen Autorin Hilary Mantel, deren erste beiden Cromwell-Romane "Wölfe" (2009) und "Falken" (2012) es jeweils zu Weltbestsellern in Millionenauflage brachten. Beide gewannen den renommierten Booker-Preis und wurden höchst erfolgreich fürs Fernsehen und für die Bühne adaptiert.
Erzählt wurde darin der phänomenale Aufstieg Cromwells (1485–1540), Sohn eines Grobschmieds, zum allmächtigen Minister und Schatzkanzler, indem er sich dem achten Heinrich als dessen engster Ratgeber, Chefstratege und Top-Diplomat unentbehrlich machte. Es ist Hilary Mantels Anliegen, Thomas Cromwell – die neben König Richard III. meistverleumdete Gestalt der englischen Geschichte – zu rehabilitieren. Sie zeichnet Cromwell nicht so sehr als Bösewicht, der für seinen König die Dreckarbeit macht, sondern vielmehr als schillernden Mann der Aufklärung und anbrechenden Moderne, der als vielseitiger Reformpolitiker seiner Zeit weit voraus ist – brillant, belesen, mehrsprachig, weitgereist in Europa, weitblickend und loyal. Im Dienst seines Königs ist er allerdings auch zu manchen Ruchlosigkeiten fähig.

Unerhört sinnlich und farbenprächtig

Nun ist der lang erwartete Abschlussband der Romantrilogie erschienen: "Spiegel und Licht", ein gewaltiges, rund 1100 Seiten umfassendes Finale. Der Roman erzählt die vier Jahre zwischen der Enthauptung Anne Boleyns, der zweiten Ehefrau Heinrichs des Achten, und Cromwells eigener Hinrichtung vier Jahre später. Da die Vorgänge allgemein bekannt sind, muss die Kunst darin liegen, die Geschichte spannend zu erzählen, obwohl wir den Ausgang kennen. Und dazu ist niemand befähigter als Hilary Mantel. Sie hat es geschafft, die Tudor-Zeit, eine in England von der Unterhaltungsindustrie völlig abgenudelte Epoche, ausgebeutet als ewige Goldgrube für Seifenopern, Kostümfilme und Kolportageschmöker, mit ihrer großen Kunst zu adeln.
Das Gemälde von Hans Holbein zeigt ein porträt von Thomas Cromwell, dem 1. Earl of Essex.
Thomas Cromwell ist dank der Romantrilogie von Hilary Mantel die Auferstehung aus den Sarkophagen der Geschichtsschreibung gelungen.© picture alliance / dpa / Active Museu/MAXPPP
Das gelingt der Autorin vor allem kraft zweier literarischer Kunstgriffe. Sie erzählt diese 500 Jahre alten Geschehnisse durchgängig in einem atemberaubend rasanten Präsens, reich durchsprenkelt mit schneidigen, schlagfertigen und oft sehr witzigen Dialogen, die im Leser ein Jetzt-Gefühl des direkten Dabei-Seins erzeugen.
Außerdem verzichtet Mantel auf die wohlfeile Instanz eines allwissenden Erzählers und wählt stattdessen die subjektive, personale Erzählform. Sie versetzt sich in das Bewusstsein ihres Helden, indem sie alle Vorgänge aus seiner momentanen Perspektive schildert. Wir sind als Leser und Leserinnen mit Cromwell in der krawalligen, gewalttätigen, gefährlichen, unerhört sinnlichen und farbenprächtigen Welt der englischen Renaissance unterwegs.

Cromwells fataler Fehler

Hilary Mantels gesamte Trilogie dreht sich um das beherrschende Thema der Regierungszeit Heinrichs des Achten: seine dynastische Obsession. Politik ist für ihn immer nur Heiratspolitik, mit allen grausigen und tragikomischen Folgen. Heinrich verschleißt eine Königin nach der anderen in der manischen und immer wieder frustrierten Hoffnung auf einen männlichen Thronerben.
Diese Causa Prima beherrscht das gesamte innen- und außenpolitische Handeln des Königs, und damit auch Cromwells tagtägliche Agenda. Nachdem er in den ersten beiden Bänden die Scheidung Heinrichs von seiner ersten Frau (unter Inkaufnahme des religiösen Brexit mit dem Papst) eingefädelt und seine zweite Ehe mit Anne Boleyn sowie deren Sturz mangels Produktion eines Sohnes organisiert hatte, ist es nun im dritten Band Cromwells Job, dem König die Ehefrauen Nummer drei und vier zu beschaffen. Die dritte stirbt leider im Kindbett, und die vierte, die deutsche Prinzessin Anna von Kleve, erweist sich als Cromwells fataler Fehler und kostet ihn schließlich die Gnade des Königs und den Kopf. Trotz allem ist König Heinrich für ihn immer noch "Spiegel und Licht der Christenheit", während er selbst "sich nur im Spiegellicht des Königs dreht".
Am Ende kann Cromwell seinen König nicht mehr davon abhalten, zu tun, was er bereuen wird. Am Tag der Hinrichtung seines besten und treuesten Dieners macht Heinrich die Hofdame Katherine Howard zu seiner fünften Ehefrau. Sie ist "saftig und drall und keine fünfzehn Jahre alt" - und außerdem ein kleines Luder. Keine anderthalb Jahre später wird sie Cromwell aufs Schafott folgen.

Hilary Mantel: "Spiegel und Licht"
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
DuMont Verlag, Köln 2020
1100 Seiten, 32 Euro

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