Herzchirurg Umes Arunagirinathan

Ein Traum, eine Flucht, ein Ziel

34:28 Minuten
Umes Arunagirinathan steht mit verschränkten Armen vor einer weißen Wand und lächelt in die Kamera
"Wenn ich ein Ziel für mich definiert habe, verliere ich es nicht", sagt der Arzt Umes Arunagirinathan. © Sughanthy Puvaneswaran
Moderation: Tim Wiese · 13.10.2020
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Als Kind floh Umes Arunagirinathan allein von Sri Lanka nach Hamburg und erfüllte sich einen Traum: Medizin zu studieren. Heute schreibt der Herzchirurg auch Bücher und kritisiert die Entwicklung des Gesundheitswesens
Mit dem Bus zur Schule zu fahren – diesen Wunsch hegte Umes Arunagirinathan als Kind, erfüllt wurde er nicht: In seiner Heimat Sri Lanka tobte während seiner Kindheit in den 1980er Jahren ein Bürgerkrieg, der erst 2009 endete. Nach seiner Flucht nach Deutschland wohnte Arunagirinathan schließlich so nah an der Schule, dass er den Weg zu Fuß zurücklegen konnte.

"Ich habe diese Ärzte bewundert"

Es ist einer der wenigen Träume, die sich Arunagirinathan nicht erfüllt. "Wenn ich ein Ziel für mich definiert habe, verliere ich es nicht. Wenn ich eine Tür aufgemacht habe, um einen Weg zu verfolgen, dann bringe ich diesen Weg zu Ende."
Einer dieser Träume ist zunächst vor allem ein Wunsch der Mutter: Wie schön es wäre, wenn wir einen Arzt in der Familie hätten, flüstert sie ihrem Sohn ins Ohr, während sie mit ihm die nierenkranke Tochter im Krankenhaus besucht. Arunagirinathans Schwester überlebt die mangelhafte Gesundheitsversorgung während des Bürgerkrieges nicht. Diese Erfahrung und die wenigen Ärzte, die er damals trifft, zeigen ihm aber den Weg, den er gehen will. "Ich habe diese Ärzte bewundert. Das sind Menschen, die einen heilen und einem helfen. Medizin ist ja Helfen."

Ein Zwölfjähriger allein auf der Flucht

Nach der sechsten Klasse lassen es die Verhältnisse in Sri Lanka nicht mehr zu, dass Arunagirinathan weiter zur Schule geht. "Ich stand am Straßenrand und habe Obst und Gemüse verkauft. Ich habe so viel Geld verdient, dass es für die ganze Familie ausgereicht hat. Das hat mich bestätigt. Das hat mein Selbstbewusstsein noch verstärkt. Und ich habe schon als Kind die Verantwortung übernommen und fühlte mich dabei glücklich."
Doch die Mutter will etwas anderes für ihren Sohn. Sie nimmt einen Kredit auf und lässt ihn mit Hilfe von Schleppern zu ihrem Bruder nach Deutschland bringen. Acht Monate dauert die Flucht des Zwölfjährigen von Colombo über Singapur und Dubai nach Togo. Dort bleibt er sechs Monate, um von dort aus zu Fuß nach Ghana zu gelangen, bis er schließlich über Benin, Nigeria und Spanien in Deutschland ankommt. "Für Menschen, die so einen Krieg erlebt haben wie ich damals, für die ist so eine Reise lange nicht so schlimm."

Medizinstudium zwischen Tellerwaschen und McDonalds

Angekommen in Deutschland, holt ihn sein Onkel zu sich nach Hamburg. Die Schule zeigt große Solidarität und unterstützt ihn finanziell, als immer wieder die Abschiebung droht. Nach viel Papierkrieg und mithilfe einer Bürgschaft ist es schließlich möglich, dass Arunagirinathan seinen Traum verwirklichen kann und ein Medizinstudium in Lübeck beginnt.
Er spült am Wochenende nachts Teller in Restaurants, um sein Studium zu finanzieren, arbeitet bei McDonalds und findet schließlich einen Job in der Pflege. "Das war wunderbar. Ich habe so viel gelernt, was Empathie bedeutet und was Empathie ist. Das habe ich nicht im Studium gelernt, das habe ich durch meine Kolleginnen und Kollegen von der Pflege gelernt."

Schreibender Herzchirurg

Heute arbeitet der 42-Jährige als Herzchirurg und schwärmt von diesem "wunderbaren Organ", mit dem er sich jeden Tag beschäftigt. Gleichzeitig treibt ihn die Entwicklung des Gesundheitswesens um, so auch in seinem neuen Buch "Der verlorene Patient. Wie uns das Geschäft mit der Gesundheit krank macht".
"Ich habe das Gefühl, dass junge Ärzte zu Managern geformt werden. Die denken nicht nur wirtschaftlich, sondern die handeln teilweise auch wirtschaftlich. Davor habe ich Angst." Seine Kritik laut auszusprechen, fällt Arunagirinathan nicht schwer. "Ich habe diesen Mut. Wissen Sie, jetzt bin ich Facharzt. Ich habe nichts zu verlieren. Mein Traum war, Herzchirurg zu werden. Das bin ich jetzt."
(era)

Umes Arunagirinathan, Der verlorene Patient.
Wie uns das Geschäft mit der Gesundheit krank macht, Rowohlt Verlag 2020, 224 Seiten, 16 Euro.

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