Herrscher übers Eis

Rezensiert von Florian Felix Weyh · 21.12.2008
Mit Eis am Stil machte er sein geschäftliches Glück: der Unternehmer Theo Schöller. Er erarbeitete sich den Nimbus eines Herrschers, der Strenge mit Güte vereint, wie der Historiker Gregor Schöllgen in der Biografie "Eiskönig" darstellt. Doch die Herrschaft war beeinträchtigt: Schöller blieb immer die Nummer zwei hinter Langnese.
Unternehmer gibt es viele in Deutschland, renommierte Zeithistoriker weitaus weniger. Wenn sich Letztere Ersteren widmen, muss das also einen Grund haben:

"Theo Schöller war erstens ein ungewöhnlich erfolgreicher Unternehmer. Er ist zweitens nach wie vor in Deutschland über sein ja noch lebendes Produkt ungewöhnlich bekannt und zum dritten stellt er einen Sonderfall dar. Das ist nämlich ein Unternehmer, der seinen Betrieb von den Anfängen an aufgebaut, zu größten Erfolgen geführt und dann selbst liquidiert hat","

sagt der Erlanger Historiker Gregor Schöllgen, der sich in seinem jüngsten Buch dem 2004 verstorbenen Theo Schöller widmet, allen bekannt als Vater der zweitbeliebtesten deutschen Speiseeismarke.

Ausgerechnet 1933 steigt der gerade mal 16-jährige Theo Schöller mit seinem älteren Bruder Karl ins Geschäftsleben ein. Regionale Kinoreklame produzieren beide, akquirieren Anzeigen für die damals noch üblichen Programmhefte und blenden bald schon Werbedias vor den Filmen ein.

Drei Jahre später sieht Theo Schöller in Berlin, wo er den Filmmogulen von der UFA großspurig die Zusammenarbeit anbieten will, ein "offenbar industriell hergestelltes" Eis am Stiel. Beim jungen Entrepreneur macht es Klick: Kino und Eis - das ist nachgerade eine zwingende Verbindung. Schon ein Jahr später laufen die Geschäfte der beiden Brüder hervorragend, auch wenn sie zunächst nur als Lizenznehmer eines Münchner Eisproduzenten agieren können. Wichtig vor allem: Der Erfolg ist Ergebnis brüderlicher Zusammenarbeit.

Gregor Schöllgen: ""Sie kennen sich, und in diesem Lebensalter vertrauen sie sich folglich. Und wenn man ein solches Geschäft aufbaut und einen Partner sucht, ist naheliegenderweise der Bruder, dem man vertraut, der ideale Partner. Wie sich das dann später darstellt, wenn das Leben zahlreiche neue Umstände in die Beziehung hineingespielt oder -gespült hat, ist ein anderes Thema."

Schon der Buchtitel legt nahe, dass aus dem Brüderpaar trotz früher Erfolge kein langfristiges Geschwisterunternehmen werden wird. Zunächst jedoch überlebt die Firma nur, weil ihr zwei Gründer zur Verfügung stehen. Der jüngere, Theo, muss für sechs Jahre in den Krieg und kann nur während seiner Fronturlaube nach dem Rechten sehen.

Dem älteren, Karl, gelingt es hingegen, "uk" gestellt zu werden. Er hat ein Geschäftsfeld entdeckt, das die Firma für die Nazis unersetzlich macht und ihn als deren Leiter vor der Front bewahrt:

"Seit Oktober 1941 friert Schöller im Auftrag des Oberkommandos der Wehrmacht Kartoffeln ein; im November bestellt die Marine-Intendantur, Kiel, die 'Einfrostung' von 100.000 Kilogramm Fleisch- und Wurstwaren, im Januar 1942 noch einmal dieselbe Menge, fast gleichzeitig die 'Einfrostung' von 1,5 Millionen Zitronenwürfeln. Allein für 1941 erteilt die zuständige Hauptvereinigung der Deutschen Gartenbauwirtschaft Schöller eine Verarbeitungsgenehmigung über 1,2 Millionen Kilogramm Obst und Gemüse."

Gregor Schöllgen: "Es gibt ähnlich wie beim Speiseeis in Frankreich frühe Versuche, aber in dieser Form massenhaft - für die Verhältnisse damals massenhaft - Tiefkühlkost herzustellen, das ist ein deutsches Phänomen. Es ist in der Tat die Firma der Gebrüder Schöller gewesen, also Theo Schöllers und seines älteren Bruders, die dann während des Krieges vor allem für die Wehrmacht, namentlich für die Marine, für die U-Boot-Besatzungen, diese Tiefkühlkost hergestellt hatten."

Das ist die historisch verblüffendste Passage in der ansonsten zeitgeschichtlich eher unaufregenden Unternehmerbiografie. Weil die "Blechlage" im Krieg immer prekärer wird - Buntmetall geht an die Rüstungsindustrie - muss die neue Kältetechnik in die Bresche springen und fehlende Konservendosen zu ersetzen versuchen. Nach dem Krieg brechen diese Staatsaufträge freilich weg und Eiscreme rückt wieder in den Mittelpunkt. Bald kommt es zum Bruch zwischen den Brüdern. Der hoch verschuldete Lebemann Karl scheidet aus und stirbt 1961 mit nur 47 Jahren, während sein jüngerer Bruder als klassischer Firmenpatriarch durchstarten kann. Er wird Nummer zwei in der deutschen Eisbranche, ergänzt als fränkischer Lokalpatriot seine Produktpalette zeitweilig durch Bratwürste - was fehlschlägt -, schafft es hingegen, zum größten deutschen Lebkuchenhersteller aufzusteigen.

Nur auf dem Eismarkt kann er die Nummer eins, Langnese, nie einholen, und der Leser erfährt auch ziemlich wenig über diese Konkurrenz, die doch Ende der 20er-Jahre ähnlich bescheiden begann.

Gregor Schöllgen: "Immer dann, wenn Theo Schöller oder das Unternehmen sich über die Konkurrenz definieren mussten, taucht sie natürlich auf. Es hat aber vielleicht damit zu tun, dass Langnese so weit vorne war, dass der Abstand zu Schöller so groß war, dass Schöller genau wusste, dieser Abstand ist nicht einholbar. Was nicht hieß, dass beispielsweise die Geschäftsführer von Langnese zu großen Festen auch herkamen und sich das ansahen. Die waren sehr beeindruckt von dem, was Schöller oder die Schöllers hier auf die Beine gestellt haben."

Dazu zählt neben dem Firmenimperium seit Anfang der 50er-Jahre auch ein ausgeprägtes soziales Engagement, das von Kinderspeisungen bis hin zu Millionenspenden an Krankenhäuser der Umgebung geht. Nicht zuletzt das begründete in Nürnberg den Nimbus des Unternehmers als "Eiskönig" - jenem unumschränkten Herrscher, der Strenge mit Güte vereint. Vielleicht hätte dieses Modell des patriarchalen Unternehmertums sogar bis an Theo Schöllers Lebensende funktioniert, wäre nicht der Fall der Mauer dazwischen gekommen - mit ihm ein neuer unternehmerischer Enthusiasmus. Er brachte das Imperium zu Fall:

Gregor Schöllgen: "Schöller hat zunächst immer gesagt, wenn ich in ein anderes Land gehe, zum Beispiel nach Frankreich oder Belgien, da ist er hingegangen, da muss ich mal kucken, welche Geschmäcker die Leute haben. Ich kann nicht sagen, hier komm ich, ich hab ein tolles Eis aus Deutschland und das wird funktionieren. Das war sehr erfolgreich, so zu denken.

Und bei dem Gang in die neuen Bundesländer und die Staaten Osteuropas nach dem Mauerfall hat er offenbar dieses Prinzip nicht mehr so in Rechnung gestellt wie bis dahin. Ich würde schon glauben, dass das einre der Gründe ist, warum er dort gescheitert ist und sehr bald - das musste er selbst ja noch erleben -, beispielsweise ist die Fabrik in Potsdam mit großen Investitionen aus dem Boden gestampft worden, dass er sie wieder schließen musste."

Nach einem kurzen Zwischenspiel bei der Südzucker AG existiert Schöller heute nur noch als Marke innerhalb des Nestlé-Konzerns, und der tut gut daran, den Namen weiterhin auf seine Eiskreationen zu schreiben. Denn wie beim Konkurrenten Langnese ist es nicht zuletzt das Eisgenuss verheißende "L", das den Namen Schöller so gut auf der Zunge liegen lässt. "Jopa"-Eiscreme, einst Lizenzgeber der Brüder in München, ist seit fünfzig Jahren vom Markt verschwunden. Sie klang einfach nicht nach Lecken und Lutschen.

Gregor Schöllgen: Der Eiskönig. Theo Schöller - ein deutscher Unternehmer
C.H. Beck Verlag, München 2008
Gregor Schöllgen: Der Eiskönig. Theo Schöller - ein deutscher Unternehmer
Gregor Schöllgen: Der Eiskönig. Theo Schöller - ein deutscher Unternehmer© C. H. Beck Verlag