Herbert Grönemeyer über sein Album "Tumult"

Von einem, der an sein Land glaubt

06.11.2018, Berlin: Der Sänger Herbert Grönemeyer bei einem Pressetermin zur Vorstellung seines neuen Albums "Tumult" im Hotel Das Stue. Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Herbert Grönemeyer trat im September 2018 auf der Unteilbar-Demonstration in Berlin auf und meint: "Wenn man den aufgeklärten Menschen ein Podium bietet, dann kommen die auch." © ZB
Herbert Grönemeyer im Gespräch mit Mathias Mauersberger · 09.11.2018
Es sei "die Hatz von rechts" etwa durch die AfD gewesen, die ihn zu seinem neuen Album "Tumult" inspiriert hat, sagt Herbert Grönemeyer. Der Sänger macht sich viele Gedanken um Deutschland und findet, es braucht einen geistigen, aufgeklärten Ruck.
Mathias Mauersberger: "Tumult", so heißt das neue Album, das ab heute erhältlich ist, und zumindest der Albumtitel, der erinnert doch stark an ein anderes Album von Herbert Grönemeyer, "Chaos", das vor 25 Jahren erschien, ebenfalls sehr politisch war 1993. Das war vier Jahre nach der Wiedervereinigung, Helmut Kohl war damals Kanzler, die Europäische Union war gerade erst gegründet. Welches Bild von Deutschland Herbert Grönemeyer beim Schreiben seiner neuen Songs im Kopf gehabt habe, das durfte ich ihn vor der Sendung fragen.
Herbert Grönemeyer: Ich glaube, dass Deutschland in meiner Wahrnehmung … wir sind ein ganz junges Land, wir sind jetzt gerade mal 28. Auch Bismarck hat dieses Land, glaube, 1871 nur gegründet, indem er den Westen bedroht hat, dass wenn ihr nicht ein Land bildet, dann lass ich die Franzosen auf euch los oder ich beschütze ich euch nicht gegen die. Ich glaube, dass wir uns nicht im Klaren sind manchmal, wie fragil und wie komplex dieses Land ist, und auch 80 Millionen Menschen ist eine ziemliche Wucht.
Im Moment blicke ich darauf, wie begreifen wir dieses Land, wie nehmen wir dieses Land an, wie nehmen wir es auch unter unsere Fittiche im wahrsten Sinne des Wortes und bewahren oder bilden immer weiter einen aufgeklärten Geist, der uns über die nächsten zehn Jahre bringt, nachdem die Welt ja doch im Moment sehr, sehr nervös ist durch ganz viele Kriege und terroristische Anschläge und Flüchtlingsbewegung. Also ich glaube, das ist so meine Sehensweise. Wir sind jetzt gefragt, als Gesellschaft dieses Land in die Hand zu nehmen.

"So brisant, das hatte ich noch nicht"

Mauersberger: Auf "Chaos", um noch mal auf das Album zurückzukommen, fand sich auch das Stück "Die Härte", ein Stück gegen Neonazis, das unter dem Eindruck der Anschläge in Rostock-Lichtenhagen entstand. Gab es dieses Mal ein konkretes politisches Ereignis, das Sie inspiriert hat?
Grönemeyer: Ja, sicherlich die Hatz von rechts, die natürlich jetzt seit dem Thema der Geflüchteten sich breit macht in Deutschland, sicherlich auch das Aufkommen der AfD, und das ist für einen selber … Ich bin jetzt 62, ich habe nun auch schon einiges miterlebt, auch im unvereinigten Deutschland, aber so brisant wie es im Moment um mein Land steht, das, glaube ich, hatte ich noch nicht.
Mauersberger: Im September sind Sie in Berlin auf der Unteilbar-Demonstration aufgetreten, die sich für eine offene und solidarische Gemeinschaft einsetzte. 40.000 Menschen wurden erwartet, 240.000 kamen. Mit welchem Gefühl sind Sie da auf die Bühne gegangen?
Grönemeyer: Wir waren völlig überwältigt, muss ich sagen, von dem Zuspruch. Wir waren alle baff, keiner hatte damit gerechnet, und gleichzeitig bestätigt es aber meinen Glauben an die Gesellschaft, weil ich immer denke, wir sind im Grunde genommen reifer und klarer, so haben wir uns auch gezeigt, als wir den … wie die Gesellschaft auch den Geflüchteten entgegengegangen ist damals, als sie kamen, so die ersten in 2015 und auch bis jetzt, wie viel Menschen sich um Geflüchtete kümmern tagtäglich. Ich selber habe auch eine Wohngemeinschaft für minderjährige traumatisierte Geflüchtete hier in Berlin, die ich seit zwei Jahren betreue, und ich glaube, es hat mir Mut gemacht.
Wir waren völlig überwältigt von dem Zuspruch an diesem Tag und gleichzeitig aber auch motiviert, und es hat einem Mut gemacht, weil man sieht, wenn man die Gelegenheit bietet, dass dieser große Block, sagen wir mal, der aufgeklärten Menschen, wenn man denen ein Podium bietet, dann kommen die auch. So sehe ich auch die Gesellschaft. Ich glaube, wir sind weiter als wir gemeinhin manchmal denken.

Song "Doppelherz" als Hommage ans Ruhrgebiet

Mauersberger: Viele Ihrer Fans dürften ja überrascht gewesen sein, als Sie die erste Single aus Ihrem neuen Album "Tumult" hörten, "Doppelherz". Darin singen Sie erstmals nämlich auch auf Türkisch, also nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Türkisch. Sie selbst sind im Ruhrgebiet aufgewachsen in einem Milieu, das sehr multikulturell war. Ist der Song auch eine Art Hommage an Ihre Heimat?
Grönemeyer: Absolut. Ich glaube, ich bin großgeworden in einem Gebiet, was damals sehr von der Kohle geprägt war, was in Deutschland immer so ein bisschen betrachtet wurde als die graue Gegend Deutschlands, aber dass Menschen zu uns kamen aus Griechenland, aus Italien, aus Spanien, aus Polen, aus der Türkei, die haben das Wirtschaftswunder mit angeschoben. Diese Menschen, diese Kulturen sind maßgeblich daran beteiligt, dass wir so wirtschaftlich auch heute noch so stark hier stehen, und bis heute stemmen die dieses Land mit uns. Im Ruhrgebiet, wir waren stolz, dass die kamen. Wir waren wirklich verblüfft, dass sie überhaupt kamen speziell aufgrund unseres Images.
Mir geht es ganz klar darum, ich bin mit denen zur Schule gegangen, ich habe mit denen Fußball gespielt. Die Thematik gab es bei uns überhaupt nicht. Es wurde überhaupt nicht drüber debattiert. Im Gegenteil, man war begeistert, dass die da waren und dass man Menschen traf aus anderen Kulturen. So bin ich geprägt, das hat mich im Ruhrgebiet geprägt, und das ist bis heute im Grunde genommen auch eine Hommage an meine Heimat, ja.
Mauersberger: Nun scheint in Deutschland aber wieder der Rassismus um sich zu greifen. Das ist auch ein Thema, was ich in den neuen Songs Ihres neuen Albums durchhöre. Man denke beispielsweise an die Debatte um den ehemaligen Nationalspieler Mesut Özil oder auch die Ausschreitungen in Chemnitz. Wie konnte es soweit kommen, und wo liegen die Gründe Ihrer Ansicht nach?
Grönemeyer: Ich glaube, wir neigen, wenn wir nervös werden, schnell zu Schuldzuweisungen. Wir sind kulturell noch nicht megastabil in unseren Köpfen. Das weiß man selber auch von … also weiß ich selbst von mir. Wir tendieren sehr schnell zum Ausgrenzen und haben wenig … Also bei Özil, muss ich sagen, das wurde mit Erdogan … halte ich für absolut falsch, aber die Art und Weise, wie dann mit ihm umgegangen wurde beziehungsweise auch, dass sich niemand hinter ihn gestellt hat, auch nicht die Fußballnationalmannschaft beziehungsweise auch nicht der DFB, das zeigt, wie schwer Menschen sich tun mit Haltung. Ich meine, in keinem anderen Land wäre das möglich gewesen.
Ich glaube, mit Schweden hat man direkt gesehen, wie die sich hinter ihren Spieler gestellt haben. Ich glaube, der Mesut Özil ist ein hochverdienter deutscher Fußballer, kommt auch aus dem Ruhrgebiet, kommt aus Gelsenkirchen, hat Deutschland zur WM geschossen. Plötzlich den durch die Mangel zu drehen halte ich für … war eine ganz tragische Aktion und tut mir unheimlich leid und zeigt aber, wie viel wir noch trainieren müssen, um Haltung zu lernen.

Geld gegen Rechts ist nicht genug

Mauersberger: Und um Haltung geht es ja auch in den Songs Ihres neuen Albums. Im Song "Bist du da" zum Beispiel singen Sie: "Bist du da, wenn zu viel gestern droht, wenn wir verrohen, weil alte Geister kreisen". Dennoch ist unsere Welt ja komplexer geworden als noch meinetwegen in den 90er-Jahren. Ist es heute vielleicht schwieriger geworden, eine eigene politische Haltung auch zu finden?
Grönemeyer: Na gut, es geht nicht nur politische Haltung, es geht natürlich auch um eine humanistische Haltung, und ich glaube, die ist nicht so schwierig zu finden. Die Welt ist komplexer geworden, ist viel vielschichtiger geworden, viel transparenter, viel durchsichtiger, viel nervöser, aber das heiß ja nicht, dass man sich dem nicht stellen kann und nach Lösungen sucht. Man kann ja nicht sagen, es ist alles furchtbar, deswegen machen wir nichts, sondern im Gegenteil: es ist kompliziert, das muss man lernen, das muss man trainieren. Man muss sich auch klar sein, das dauert, das dauert jetzt nicht vier Wochen, sondern das dauert vielleicht zehn Jahre.
Ich habe selber nach der Wiedervereinigung ein Jugendheim gegründet in Leipzig '93 für rechte Jugendliche. Da haben mich damals alle für bekloppt erklärt, und ich habe gesagt, wenn ihr euch nicht um die Jugendlichen kümmert, dann werdet ihr irgendwann sehen, dann entgleiten die euch. An dem Beispiel wollte ich klarmachen und habe selber gemerkt, das hat lange gedauert, bis sich die Aggressionen, bis ich den Jugendlichen geholfen habe, aggressionsfrei zu werden. Das hat acht Jahre gedauert. Also wir müssen uns einstellen auf eine lange Phase. Das lässt sich auch nicht mit Geld einfach nur bewerkstelligen, sondern auch mit einem kulturellen Ruck, mit einem geistigen, humanistischen, aufgeklärten Ruck.

Auch im Alltag "begrenzt" politisch aktiv

Mauersberger: Zu guter Letzt finden sich auf Ihrem neuen Album "Tumult" ja auch, wie immer, Liebeslieder, also ruhige Songs über die kleinen Momente des Glücks beispielsweise. Ganz kurz, wie politisch ist denn der private Herbert Grönemeyer?
Grönemeyer: Ich bin, glaube ich, mit dem, wenn ich was machen kann, wie mit meinem Jugendheim für traumatisierte Jugendliche, also wir haben eine Gruppe, Hauptstadthelfer, die im Flüchtlingsheim arbeitet und sich mit Geflüchteten trifft und versucht, denen zu helfen. Ich versuche in meinem kleinen Kosmos politisch aktiv zu sein und mir Gedanken zu machen und Aktionen zu machen und auch Dinge in Gang zu setzen. Also ich glaube schon, dass mein Alltag auch begrenzt auch politisch …, dass ich da auch politisch aktiv bin.
Mauersberger: Das sagt Herbert Grönemeyer über sein neues Album "Tumult", das heute erscheint und auch politische Töne anschlägt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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