Enthüllungen über Henri Nannen

Erschreckende antisemitische Propaganda

09:55 Minuten
Porträtfoto des Journalisten und Verlegers Henri Nannen aus dem Jahr 1990.
Im Zweiten Weltkrieg betrieb er Nazi-Propaganda, später wandelte er sich zum Förderer kritischer Journalisten: Henri Nannen. © imago / teutopress
Christina von Hodenberg im Gespräch mit Sigrid Brinkmann · 11.05.2022
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Neu entdeckte Flugblätter zeigen "Stern"-Gründer Henri Nannen als Verfasser antisemitischer Propaganda. Die Historikerin Christina von Hodenberg sieht keinen Anlass, die Biografie des Journalisten und Verlegers grundsätzlich neu zu bewerten.
Die Flugblätter, die die Journalisten von Strg_F vom NDR gefunden haben, verbreiten übelste antisemitische Klischees: Ein beleibter Jude lässt sich einen Truthahnbraten schmecken, während im Hintergrund ein alliierter US-Soldat stirbt. Auf einem anderen Blatt dreht ein Jude Soldaten durch den Fleischwolf und macht sie zu Geld. Und natürlich fehlt auch das Stereotyp vom lüsternen Juden nicht, der eine blonde Frau bedrängt.
Verantwortlich für diese Machwerke war Henri Nannen. Nach 1945 steigt er zu einem der bedeutendsten Journalisten der Bundesrepublik auf. 1948 gründet er das Wochenmagazin "Stern", später ruft er den Nannen-Preis ins Leben, prägt Generationen von Journalistinnen und Journalisten.

Kriegsberichterstatter in einer Propagandaeinheit

Während des Zweiten Weltkriegs aber war Nannen bei der Propagandaeinheit "Südstern" in Italien. Auf diese Zeit angesprochen, blieb er in späteren Jahren vage: "Dort habe ich das gemacht, was man psychologische Kriegsführung nennt. Wir haben Flugblätter gemacht, haben eine Zeitung gemacht, haben Rundfunksendungen gemacht und so weiter."
Henri Nannens Vergangenheit sei spätestens seit den 1970er-Jahren erforscht gewesen, sagt Christina von Hodenberg, die das Deutsche Historische Institut in London leitet: "Es ist bekannt, dass er Kriegsberichterstatter in einer Propagandakompanie war. Das war auch nicht ungewöhnlich für seine Generation der Journalisten."
Neu sei die bildliche Kraft der Flugblätter, die man sich jetzt anschauen könne. "Das ist menschenverachtend und das ist ganz krasser Antisemitismus. Das hat immer noch das Potenzial, uns heute zu schockieren", sagt von Hodenberg.

Es herrschte Schweigen

Dass jemand wie Henri Nannen seine Vergangenheit als Teil der nazistischen Propaganda öffentlich nicht thematisierte, sei in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit normal gewesen, so die Historikerin.
Im Journalismus jener Jahre gab es drei verschiedene Gruppen, sagt von Hodenberg. Da war erstens eine kleine Minderheit von den Nazis ehemals verfolgter Journalisten, die aus dem Exil zurückkamen; zweitens sehr junge Reporterinnen und Reporter, die unbelastet waren und von den Alliierten gefördert wurden.
Drittens gab es diejenigen, die wie Nannen schon im Dritten Reich für die Medien gearbeitet hatten und damit bruchlos in der Bundesrepublik fortfuhren. "Alle drei Gruppen haben sich darauf verständigt, dass man nicht darüber redet, was man in der Vergangenheit gemacht hat", sagt von Hodenberg. Denn ein Austausch hätte das Potenzial gehabt, eine Zusammenarbeit unmöglich zu machen.

Zum Demokraten gewandelt

Man müsse Nannens Biografie nach der Entdeckung der antisemitischen Flugblätter nicht neu bewerten, meint von Hodenberg. Er sei keine Lichtgestalt, aber auch kein Schurke gewesen. Nach dem Krieg habe er sich zu einem Demokraten gewandelt und junge, kritische Journalistinnen und Journalisten gefördert.
(beb)

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